GegenStandpunkt 1-17. Группа авторов
Noch’n Leserbrief zum Thema Gerechtigkeit: Eine Absage
Das Subjekt und seine geistigen Tätigkeiten – reine „philosophisch-idealistische Fiktion“?
Merkels Land
IV. Die deutsche Gewerkschaft:
„Das Stärkste, was die Schwachen haben“
Aus der Sicht der maßgeblichen deutschen Politiker gibt es keine offenen sozialen Fragen im Lande: Sie bewirtschaften sie schließlich. Darin wissen sie sich dermaßen einig mit denjenigen, deren soziale Fragen sie bewirtschaften, dass sie den Grad der Zufriedenheit erheben lassen und in einem Bericht zur Lebensqualität unter dem Titel „Gut Leben in Deutschland“ veröffentlichen. Für deutsche Gewerkschaften ist mit alldem die ‚Soziale Frage‘ allerdings keineswegs erledigt; sie meinen sogar, sie selbst in die Hand nehmen zu müssen. In den Worten von IG-Metall-Chef Hofmann:
„Ins Regelwerk eingreifen, Arbeitsbedingungen verbessern – das schaffen wir 1891 und 2016 nur aus einem einzigen Grund: weil wir uns freiwillig zusammentun und weil wir solidarisch handeln... Und Solidarität lebt von einer Einsicht, die 1891 genauso gültig war wie heute. Das gute Leben für jeden Einzelnen ist nur möglich, wenn gemeinsam für dieses gute Leben gekämpft und gestritten wird.“
Einer deutschen Gewerkschaft ist auch im 21. Jahrhundert absolut klar, dass die Belange der Lohnabhängigen unter die Räder kommen, wenn sie mit den Arbeitgebern des Landes und ihrem Interesse an immer mehr Leistung zu möglichst niedrigen Lohnkosten alleine gelassen werden, sprich: wenn ‚unternehmerische Willkür‘ herrscht. Ein kämpferischer Eingriff in das herrschende Regelwerk und die Arbeitsbedingungen ist unbedingt nötig, mit ihm aber – dies die gute Nachricht – ein ‚gutes Leben‘ auch möglich: als Resultat kontinuierlicher, kämpferisch durchgesetzter Korrekturen dieser Arbeitsbedingungen. Den nötigen Kampf müssen seine Nutznießer in spe freilich auch führen und ‚Solidarität‘ an den Tag legen, statt sich immer nur als ‚Einzelkämpfer‘ jeder nach seiner Decke zu strecken – und dies ist der eher nicht so gute Teil der Nachricht: Mit seinem Appell trägt der oberste IG-Metaller der mit Blick auf die Mitgliederstatistik unübersehbaren Tatsache Rechnung, dass die abhängig Beschäftigten in ihrer übergroßen Mehrzahl von ihrem großartigen, in grauer Vorzeit und unter großen Opfern erstrittenen Recht, für die Erträglichkeit der eigenen Lebensbedingungen kollektiv streiten zu dürfen, wenig wissen wollen. Die Sorgen und Nöte, die zweifellos alle mit ihrer Einkommensquelle haben, hat in dieser Republik eben vorrangig jeder für sich. Und sehr zum gewerkschaftlichen Verdruss bewältigt sie vorrangig auch jeder für sich mit den Mitteln, die ihm dafür zur Verfügung stehen, und kümmert sich auf eigene Faust darum, seine notorisch unsichere Lage möglichst sicher zu machen und seine notorisch knappe Kasse möglichst gut zu füllen, um nebenbei in dieser nicht enden wollenden Anstrengung noch seinen ganz persönlichen Lebensentwurf unterbringen zu können. Gegen diese Praxis moderner Proletarier, sich als individuelle ‚Marktteilnehmer‘ aufzuführen, gegen diese Konkurrenz der Lohnabhängigen gegeneinander um ihr jeweils eigenes Fortkommen setzen deutsche Gewerkschaften die Einsicht, dass genau dafür diese Praxis auch immer wieder einmal unterbrochen und die Arbeiterschaft gemeinsam, als gewerkschaftliches Kollektiv um die ‚Marktbedingungen‘ streiten muss.
1. Der Kampf um ‚Gute Arbeit‘
Der ‚gerechte Lohn‘ und die Gesichtspunkte seiner Ermittlung
Zur Beförderung dieser Einsicht werben deutsche Gewerkschaften mit den Vorteilen, die ihr Einsatz bringt. Und was könnte zur Veranschaulichung dieser Vorteile geeigneter sein als ein geeigneter Vergleich? „24 Prozent mehr Gehalt. Vier Stunden weniger Arbeitszeit im Durchschnitt und sechs Tage mehr Jahresurlaub – das ist die praktische Seite der Tarifbindung.“ Solche und andere Erfolge erzielen sie als kollektive Tarifpartei, als die sie in den alljährlichen Tarifrunden den regelmäßig wiederkehrenden Korrekturbedarf ebenso regelmäßig seiner passgenauen Erfüllung, nämlich einem Tarifvertrag zuführen. So verhelfen sie Metallern, Lokführern, Opelanern und öffentlich Bediensteten zu dem, was ihnen allen in der Marktwirtschaft zusteht, nämlich: ‚Ein gerechter Lohn für ein gerechtes Tagwerk‘, oder moderner: ‚Gute Arbeit‘.
Was das genau ist, ist je nach Branche, Lohngruppe und Konjunkturlage ganz unterschiedlich. Die verschiedenen Gewerkschaften nehmen die vorfindliche vielfältige ‚Tariflandschaft‘ zum selbstverständlichen Ausgangspunkt ihrer Forderungen nach Lohngerechtigkeit. So hält z.B. am oberen Ende der Lohnskala die IG Metall anno 2016 und angesichts der brummenden Geschäfte der Metallarbeitgeber 5 % mehr Lohn für „finanzierbar, fair und verdient“. Weiter unten, in der Kindererziehung – also von einem ‚branchenspezifisch‘ niedrigeren Niveau ausgehend – sind laut ver.di die hochgeschraubten pädagogischen Leistungen der Beschäftigten „mehr Wert“, nämlich Höhergruppierungen, die sich sogar zweistellig bemerkbar machen sollen. Noch weiter unten gibt es dann eine Logistikbranche, für die dieselbe ‚Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft‘ neben einem Tarifvertrag auch noch auszuhandeln versucht, dass bessergestellte Postangestellte vom Haus- nicht in den dortigen Niedrigtarif abgeschoben und auch Amazon-Mitarbeiter besser, nämlich nach dem von ihr ausgehandelten Einzelhandelstarif bezahlt werden.
Wodurch die Arbeitnehmer der verschiedenen Branchen und Betriebe sich die verschiedenen Verdienste verdient haben, die die jeweils zuständige Gewerkschaft für sie erstreiten möchte, ist dann wieder für alle gleich: durch ihre verschiedene Leistung an den verschiedenen Sorten von Arbeitsplätzen, die ihre Arbeitgeber ihnen bereitgestellt haben. Zwecks Untermauerung ihrer Forderungen nach einem gerechten Lohn kommt der ungemütliche Charakter der dafür erbrachten Leistungen ausführlich zur Sprache: die gewachsene Verantwortung, derentwegen Kita-MitarbeiterInnen mehr wert sind, nämlich immer neue pädagogische Anforderungen an das Erziehungspersonal, das längst mit zu großen Gruppen zu kämpfen hat, in die überforderte Eltern ihren ADS-Nachwuchs abschieben; die unzähligen Überstunden, die Lokführer an aufeinanderfolgenden Wochenenden und in flexibler Bereitschaft anhäufen; der vergangene Lohnverzicht in schweren Zeiten, auf den irgendwie so ziemlich alle Beschäftigtengruppen verweisen können... Die beliebig verlängerbare Auflistung hat eindeutig den Sinn, die tagtäglich erbrachten Opfer zu präsentieren, die überhaupt den Nutzen hervorbringen, den die privaten und öffentlichen Arbeitgeber und die von deren Rechnungen abhängige Kundschaft, Bürger oder sonst wie betroffene Menschheit daraus ziehen: Die Mühen der Beschäftigten sorgen z.B. für eine Kinderversorgung, die trotz aller sozialen Verwerfungen für ihre Veranstalter genauso verlässlich funktioniert wie ein kontinuierlicher Bahnverkehr