Tote wie Sand am Meer. Группа авторов

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Manöver bevorstand. Man fährt so lange einen Kurswechsel durch mehrere Wenden, bis man auf dem Kurs fährt, den man von vornherein mit der scharfen Heckdrehung hätte erreichen können. Nicht umsonst war Marion in ihrer Kieler Kripozeit viel gesegelt.

      Der Brief in der heutigen Post war adressiert an die ‚Ehemalige Frau Kommissarin‘. Kein Absender. Marion Kaempf wusste aus vielen Polizei-Jahren, dass Briefe ohne Absender entweder von verlassenen Frauen mit kriminalistischem Insiderwissen stammten, oder von Spaßvögeln, die die Polizei auf eine falsche Fährte locken wollten. Und dann gab es die dritte Sorte, wo man als ordentliche Polizistin handeln musste. Sie war zwar nicht mehr in der Kieler Mordkommission, sie war im Ruhestand. Aber Neugier endet nicht mit einer Entlassungsurkunde.

      Im Brief lag ein Foto, auf dessen Rückseite geschrieben war: Verenas Mörder lebt! Vom Foto sah ihr eine junge Frau entgegen. Schwarze Augen, roter Mund, das Haar unter einem schräg aufgesetzten Hut verborgen. Nicht die Frau selbst, sondern ein Porträtbild ihres Gesichtes war fotografiert worden.

      „Verena von Heyden“, sagte Marion überrascht. Die Akte Ungelöst.

      Der Fall Verena von Heyden hatte sich mit dem Eintreffen des jungen Kommissariatsleiters ereignet. Tür-auf-Schulz nannte Marion ihn. Sie selbst hatte sich einige Türen nach oben zugeschlagen. Zu hartnäckige Recherchen in den falschen Fällen.

      Damals, als der Funkspruch hereinkam, hatte sie Bereitschaftsdienst. Yacht aus Kieler Segelclub mit zwei Insassen vermisst. Aber als Marion eilig ins Auto gesprungen, die Kieler Förde entlang gefahren und im Yachthafen eingetroffen war, stand nur noch der blau-silberne Wagen der Kieler Schutzpolizei da. Die Ermittlungen vor Ort waren bereits beendet. Ihr neuer Chef war vor ihr da gewesen. Und hatte ihr schon einen anderen Fall zugeteilt.

      Die Eile, mit der Schulz die Ermittlungen im Yachtclub führte, wunderte Marion nicht. Er war halt ein kleiner Wichtigtuer. Dafür war die Schlagzeile groß genug für einen Sehtest aus der Ferne: Nasses Grab für Industriellen-Ehefrau und Begleiter! Der Begleiter war, wie sich später herausstellte, nicht der Ehemann und Besitzer der Yacht.

      Verenas Mörder lebt! Sollte sie den anonymen Brief einfach als kleinen perfiden Gruß weiterleiten? Lieber Herr Kommissariatsleiter, vielleicht möchten Sie die Akte Verena von Heyden noch mal öffnen? Ich bin damit beschäftigt, meine 3 000 Euro Pension auszugeben.

      „Der Kunstmaler Michael Kandzior war von mir beauftragt, ein Porträt meiner Frau zu erstellen“, hatte der Witwer Egbert von Heyden, ein älterer Unternehmer mit Anwesen in Holtenau an der Förde, damals zu Protokoll gegeben. „Nach Fertigstellung des Porträts belohnte meine gutmütige Verena den Maler mit einem Törn. Sie kehrten nie zurück.“ Die Aussage hatte sich eingebrannt.

      Aber jetzt schrieb jemand etwas anderes: Verenas Mörder lebt! Es war klar, warum derjenige gerade an sie schrieb. Marion war in einer Fernseh-Doku des NDR über Polizei-Frauen auftreten. 40 Jahre Kripo hatte sie hinter sich, 20 mehr als der neue Chef.

      „Werden Sie sich auch nach Ihrer Pensionierung noch ungelösten Morden widmen?“ Es war als Scherz zum Abschied gemeint und die Reporterin schien überrascht über Marions Antwort.

      „Warum denn nicht?“ Marion machte ein ernsthaftes Gesicht. Tür-auf-Schulz saß bestimmt vorm Fernseher: „Es gibt Fälle, in denen noch zu tun ist.“

      Am Abend rief sie Bernie an, der als Polizeitechniker arbeitete. Was Marion mit Bernie verband, war ihr gleiches Alter, ihre gemeinsame Abneigung gegenüber Forderungen der Polizeispitze nach immer mehr Effizienz in der Arbeit und eine, nach einem Betriebsausflug mit Fährenfahrt nach Göteborg, gemeinsam verbrachte Nacht, die Marion, mehr als Bernie, im Nachhinein als Versehen abtat.

      „Jetzt wird mir klar, dass Schulz dich sedieren wollte, aber nicht das richtige Beruhigungsmittel gefunden hat“, sagte Bernie. „Der Fall ist abgeschlossen. Die Leichen haben eine Seebestattung erhalten. Die Yacht ist verschollen. Wo sollen da noch Spuren herkommen?“

      „Trotzdem.“ Marion ärgerte sich, weil Bernie genau ihren Gedanken aussprach.

      „Willst du beim Gericht einen Durchsucher für die Ostsee erwirken?“

      „Trotzdem.“ Marion legte auf.

      Es war ja richtig, was Bernie sagte. Es gab Seeunglücke. Marion als ordentliche Tochter der Ostsee wusste, dass bei Wendemanövern das Segel schnell und schlagartig von einer Bootsseite zur anderen wechseln und einen unerfahrenen Segler über Bord schleudern konnte. Trotzdem.

      Am nächsten Tag nahm Marion ihr Fahrrad. Warum machst du das?, dachte sie, als sie an Wiesen mit grasenden Schafen entlang zur Kieler Bucht fuhr. Warum machst du nicht einfach einen Ausflug? Wäre bestimmt gesünder. Aber sie nahm zielgerichtet Kurs auf den Segelclub. Das große Vereinshaus war aus rotem Klinker gebaut und hatte ein prächtiges Reetdach. Marion ging an dem Schild Eintritt nur für Mitglieder oder Gäste in Begleitung eines Mitglieds vorbei ins Casino.

      „Einen Kaffee, und, finde ich hier Herrn Egbert von Heyden?“

      Die Bedienung, eine Frau um die fünfzig mit weinrotem Haar, starrte Marion aus blau geschminkten Augen an, als sei sie ohne Poloshirt und wasserdichte Segelhose hier völlig deplatziert. „Die Mitglieder sind draußen in der Bucht“, sagte sie endlich. „Gutes Segelwetter, NW 5, zunehmend.“

      Das war keine Antwort auf ihre Frage. „Ist vielleicht Verena von Heyden hier?“, fragte Marion, gespannt auf die Reaktion.

      Die Frau biss sich auf die Unterlippe. „Frau von Heyden ist ums Leben gekommen. Und ihr Mann ist weggezogen.“ Sie drehte ab und ging in die Küche.

      „Die Vergangenheit sollte man ruhen lassen.” Ein älterer Herr kam auf Marion zu. Er war in Weiß gekleidet. Jackett, weiße Krawatte mit roten Punkten, eine Bügelfaltenhose, die kurz unterm Knie endete. „Schönbeck. Ich bin im Vorstand dieses Clubs.“

      Marion entschloss sich, ihre Identität nicht aufzudecken. „Mein Name ist Leibniz.“

      „Eine Nachfahrin des großen Philosophen?“

      „Schön, dass Sie nicht an Kekse denken.“ Marion lächelte. „Beim Erwachen hatte ich schon so viele Einfälle, dass der Tag nicht ausreichte, sie niederzuschreiben. Ich mache es kleiner als Leibniz. Ich arbeite an einer Chronik über die Kieler Bucht.“

      Der Herr in Weiß rief der Bedienung, die hinterm Tresen stand und Marion musterte, zu: „Machen Sie Frau Leibniz einen Sekt-Cocktail, Leni.“

      „Der Segelclub feiert demnächst sein 100-jähriges Bestehen“, sagte Schönbeck. „Wie wäre es, wenn Sie in Ihrer Chronik darüber berichten?“

      Sie setzten sich auf die Terrasse. Blauer Himmel, Wasser mit Schaumkronen, sich blähende weiße Segel.

      „Bei so schönem Wetter vergisst man, wie gefährlich die See sein kann“, sagte Marion.

      Die Kellnerin brachte einen Sektkelch, dekoriert mit Erdbeeren und Papierschirmchen. Nicht zu der filigranen Aufmachung passte, dass sie ihn klirrend auf den Tisch stellte.

      „Dass Frau von Heyden beim Segeln ums Leben gekommen ist, hängen wir nicht an die große Glocke“, sagte Schönbeck. Die Angelegenheit schien für ihn erledigt.

      Marion versuchte, wie eine naive Ostsee-Chronistin an den Todesfall heranzugehen. „Ein Unglücksfall?“ Sie schüttelte sich.

      „Ja.“ Schönbeck warf ihr einen Blick aus hellblauen Augen zu. „Es begann damit, dass Herr von Heyden ein Porträt seiner Gattin erstellen lassen wollte. Sie war wesentlich jünger, die zweite Ehe. Man empfahl ihm einen Kunstmaler. Michael Kandzior. Russischstämmig.“

      „Kandzior malte Verena von Heyden?“

      „Ja. Dann nahm die Tragödie ihren Lauf.“ Der Herr in Weiß musterte Marion mit leisem Lächeln. Ihre Vorstellung als unbedarfte Chronistin schien gelungen. „Sie verbrachten viel Zeit miteinander. Ein Maler will das Typische erfassen, zerlegt das Gesicht in Rundungen, Linien, Schwünge, spielt mit Farben.“ Schönbecks Tonfall glitt in die


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