Leonardus Lofti und die Katzenmumie. Karla Schniering
Ding braucht Weile«, sagte er philosophisch und hob sein Glas.
Dankbar nahm sich Fred auch ein Glas vom Tisch, und selbst der Colonel, dem seit vorhin ein Ohrzipfel fehlte, sagte nicht Nein.
Nachdem alle drei getrunken hatten, nahm Professor Lofti seine Pfeife wieder zur Hand.
»So«, sagte er bedächtig, »jetzt langsam und schön der Reihe nach. Ich muss jedes Detail wissen, wenn ich helfen soll.«
DIE ÄGYPTISCHE
KATZENMUMIE
Der Colonel gab sich große Mühe, so genau und ausführlich wie möglich zu berichten, und noch Jahre später hätte Fred fast jedes Wort wiederholen können. Er war schließlich dabei gewesen, als die Katzenmumie aus Bubastis in Ägypten geliefert wurde. Er, Fred, hatte zusammen mit seinem Großonkel alles aus sicherer Entfernung beobachtet. Und selbst jetzt konnte er sich noch an die Schriftzeichen auf dem kleinen Sarkophag der Katzenmumie erinnern, das Entziffern war schließlich sein Hobby.
Damals, im Frühjahr, war die Lieferung aus Ägypten genauso normal gewesen wie ein antiker Topf oder eine prähistorische Vase. Normalerweise wurden alle Gegenstände von der Museumsleitung mit einer Nummer versehen und in eine Vitrine oder ein Regal gestellt. Da blieben sie dann für Monate, manchmal sogar Jahre. Aber in diesem Fall spukte es ganz mysteriös im Museum, kurz nach der Katzenmumienlieferung. Später passierten dann schlimme Dinge, überwiegend im Sommer und meist bei Nacht.
»Es begann tatsächlich mit der Katzenmumie. Ein paar Wochen danach bekamen wir Probleme mit der Katze des Museumswärters«, sagte der Colonel gerade. Er hatte wieder nach seinem Glas gegriffen und drehte es nachdenklich in den Pfoten.
»Die Katze und wir hatten ein Abkommen. Sie ließ uns in Ruhe, und wir knabberten nichts im Museum an. Das mussten wir ja auch nicht, wie Sie wissen. Wir leben schließlich seit Generationen in diesem alten Gemäuer und hatten uns seit ewigen Zeiten aus dem Garten und der Museumsküche ernährt. Die Räume des Museums dienten uns lediglich zu Studienzwecken. Jeder in der Stadt weiß, dass der Bildungsstand einer Museumsmaus ungeheuer hoch ist. Selbst Sie, Professor, kommen ja aus einer angesehenen Museumsfamilie.«
Lofti nickte bestätigend. Er hatte sich zwar vor Jahren von der Archäologie abgewandt und sich mehr seinen Erfindungen gewidmet, aber ohne die Wissensgrundlage der Museumsmäuseschule wäre er nie so weit gekommen.
Einige Mitschüler aus seiner ehemaligen Klasse – ein sehr intelligenter Jahrgang übrigens – hatten sich wie Lofti eine neue Wohnung gesucht und verfeinerten ihre Studien gerade im Keller des Raumfahrtzentrums, an der Universität oder einem anderen interessanten Ort.
Der Colonel fuhr fort: »Aber eines schönen Tages bemerkten wir, dass unsere Vorräte kleiner wurden. Irgendjemand stahl das, was fleißige Mäuse Tag für Tag zusammentrugen, um alle Familien im Museum zu ernähren. Dann verschwanden viele Glühwürmchen, unsere freundlichen Helfer in der Nacht. Es wurden immer weniger, und keiner wusste, wo sie waren. Aber wirklich schlimm wurde es, als einige unserer Kinder von den Nacht- und Studienausflügen im Museum nicht mehr zurückkehrten. Sie sind noch verschwunden, genau wie die Glühwürmchen und unsere Vorräte. Dazu kommt noch, dass die Museumskatze plötzlich Jagd auf uns macht und total aggressiv geworden ist. Wir sind verzweifelt, Professor, sogar ein alter Haudegen wie ich weiß nicht mehr weiter. Sie müssen uns helfen, bitte!«
Der Colonel zog ein großes Taschentuch aus der Hosentasche und putzte sich die Nase, während Fred überlegte, ob er nicht etwas vergessen hatte. Mit einem Mal fiel Fred was ein.
»Außerdem waren immer so komische Geräusche zu hören«, sagte er und sah den Professor aus großen Augen an.
Professor Lofti nahm die Pfeife aus dem Mund und beugte sich vor. »Interessant, welche Art Geräusche?«
»So ein Scharren und Schaben, als würde jemand große Lasten über den Boden schieben.«
»Aha!«
Der Colonel hatte seine Fassung wiedergewonnen und steckte sein Taschentuch zurück.
»Professor Lofti, mehr können wir Ihnen nicht sagen. Würden Sie mit ins Museum kommen? Wir können sofort loslaufen.«
Professor Lofti lächelte. »Natürlich werde ich versuchen zu helfen. Aber jetzt werden wir zu Bett gehen, denn für heute waren es genug Abenteuer. Außerdem muss ich noch überlegen, was ich alles einpacke. Eine gute Gelegenheit für Fred und Sie auszuschlafen. Zu Fuß wären wir übrigens viel zu lange unterwegs. Ich denke, wir nehmen eine Reisetaube, und sollte ich etwas vergessen haben, kann ich das gute Tier zu Blanche zurückschicken. Sie sehen, meine Herren, es wird bestens für alles gesorgt, und Sie müssen sich keine Sorgen machen. Gute Nacht! Blanche wird Ihnen Ihre Zimmer zeigen.«
Erleichtert standen Fred und der Colonel auf. In diesem Moment erschien Blanche im Zimmer, und der Professor verließ mit einem aufmunternden Kopfnicken den Raum.
Erst jetzt merkten die beiden Abenteurer, wie erschöpft sie waren. Dankbar folgten sie der weißen Maus zu ihren Zimmern. Und weil sie viel zu müde waren, nahmen sie noch nicht mal ein heißes Bad und schliefen kurze Zeit später tief und fest in den Gästebetten des Professors.
FLUGREISENDE
Als Fred am nächsten Morgen ausgeruht das Wohnzimmer betrat, sprach der Professor gerade in einen Messingtrichter an der Wand. Fred wollte sich schon wieder umdrehen, weil er nicht stören wollte. Da sah ihn der Professor und winkte ihn zu sich heran.
»Nein, meine Liebe«, sagte Lofti in den Trichter, »wir benötigen eine Taube für zwei und eine für mich und das Gepäck.«
»Grrugrruuut, Lllrrrofftii«, schallte es aus dem Trichter, »ddrrraas wiirrrd, grrruuu, ssooofforrt errrlediggggruuut.«
»Wunderbar!«, rief Lofti. »Dann wie besprochen in einer Stunde.«
Erleichtert stopfte er einen Korken in den Trichter und sah Fred an.
»Grausamer Dialekt, findest du nicht auch? Guten Morgen, übrigens. Ich werde nie begreifen, warum diese Tauben sich nicht eine normale Aussprache angewöhnen können.«
Fred grinste. »Guten Morgen. Ich habe kein Wort verstanden, Professor. Worum ging es denn?«
»Siehst du? Was ich immer sage, eine gepflegte Aussprache ist ganz wichtig! Wo kämen wir denn hin, wenn jeder so spräche wie er wollte. Ach ja. Wir fliegen in einer Stunde zum Museum. Habe alles organisiert. Weck mal den Colonel, wir müssen noch diverse Einzelheiten besprechen, und nimm doch da drüben die Röhren von der Wand. Habe Leuchtstäbe eingepackt, hochgefährlich, aber ganz nützlich. Werde dieser Katze was erzählen. Glühwürmchen klauen, also so was! Stell die Leuchtstäbe zu der Reisetasche. Danke, mein Junge, und jetzt beeil dich, hol mir den alten Haudegen her.«
*
Fred ließ sich nicht zweimal bitten. Er rannte wie der Blitz zum Zimmer des Colonels, nachdem er die Leuchtstäbe neben der Reisetasche aufgestellt hatte. Als er vorsichtig an die Tür klopfte, hörte er von drinnen ein kerniges: »Herein!« Langsam drückte Fred die Klinke herunter und steckte den Kopf durch die Tür.
»Morgen, Colonel, der Professor lässt dir mitteilen, dass wir in einer Stunde starten.« Fred stutzte. Sein Onkel lag auf dem Boden und streckte alle viere von sich.
»Was machst du da eigentlich?«, fragte Fred und trat näher.
Der Colonel blinzelte und sprang mit einem Satz auf die Füße.