Opak. Matthias Falke

Opak - Matthias Falke


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nicht fehlerfrei funktioniert. Aber alles Weitere, euer bescheuertes Objekt und erst recht der Alte mit seiner Metaphysik, kann mir gestohlen bleiben.«

      »Es interessiert dich tatsächlich nicht, nicht wahr? Du liegst nachts nicht wach und fragst dich, was es sein und woher es stammen könnte.«

      »Ich frage mich, wann wir hier wegkommen.«

      »Du bist langweilig.«

      »Und du bist unausstehlich, obwohl du ’ne geile Figur hast.«

      »Das war’s dann wohl. Gute Nacht.«

      »Wie dicht sind wir dran?« Theresa kam auf die Brücke, um die Nachtschicht anzutreten.

      »Schwer zu sagen. Wenn wir die Bahn des Alpha-Phänomens zugrunde legen, sind wir jetzt auf etwa 10 000 km Distanz. Unser Beta-Objekt, von dem wir noch zu wenig Daten haben, um sie zu einer kohärenten Flugbahn zusammenzufügen – bis jetzt haben wir 32 punktuelle Einzelereignisse –, lässt sich nicht exakt genug bestimmen. Von unserer Position aus können wir keine Triangulation vornehmen, und solange wir kein Radarecho und keinen optischen Kontakt haben, ist der dritte räumliche Vektor reine Spekulation. Immerhin steht es auf drei Uhr wie festgenagelt. Ich schlage vor, du orientierst dich vorläufig weiter an Objekt Alpha und gehst bis zum Frühstück auf 1000 km.«

      Die Nacht verging geräuschlos. Wir lagen in unseren Kojen und fanden in der ängstlichen Überspanntheit, die wir uns vergeblich auszuschwitzen bemühten, keinen Schlaf. Bisweilen durchfauchte eine zärtliche Erschütterung die Dorset, wenn Theresa, die mit Silesio die erste, von Mitternacht bis sechs Uhr morgens dauernde Schicht fuhr, für einige Sekunden die Steuerdüsen zündete, die das Schiff auf seinem schüchternen Annäherungskurs dem irrationalen Phänomen entgegendrängten. Erst wenige Minuten bevor ihn seine innere Uhr gemeinsam mit den Bojen der Automatik aus der Bettruhe erlösen würde, nickte Commander Carlssen in kurze Zeitlosigkeit von wolkiger Schwereempfindung. Er träumte von einer kalten Hand, in der er eine unbestimmte Zahl blauer Steinchen hielt, deren vierzig bei der Division durch zwei neun ergaben, während die neun, ihrerseits dividiert, dreihundert sein konnten. Dann erschrak er, taumelte mit klebenden Lidern in die Nasszelle und bespritzte ein pelziges Gesicht mit Wasser. Die Brücke war bevölkert von fremdländischen Automaten.

      »Wie sieht es aus? Wie weit sind wir?« Carlssens Stimme war knotig, seine Augen waren von Abwesenheit beschwert, als er seinen Platz einnahm und die zählebigen Routinen des Schichtwechsels durchführte.

      »Die stationäre Distanz in Relation zum Objekt Alpha beträgt 978 km. Acht weitere Ereignisse bei der Überwachung des Beta-Opak. Bereit zur Übergabe.«

      »Ich habe einige mathematische Spielereien unternommen.« Silesio klang eher beiläufig als müde; er wartete, bis Carlssen eine Geste des Interesses hatte erkennen lassen, ehe er seine Ergebnisse vortrug.

      »Wir haben inzwischen genug punktuelle Daten des Beta-Objektes, die es erlauben, eine vorsichtige Bahndiagnose zu erstellen. Ich habe dies in den vergangenen Stunden durchrechnen lassen. Das Beta-Phänomen, das wir seit anderthalb Tagen von der Dorset aus beobachten, bewegt sich ohne jegliche Eskapaden auf einer ballistischen Flugbahn, die derjenigen entspricht, die die Überwachungseinheiten, die von Luna III gebündelt werden, seit mehreren Monaten kontrollieren und stündlich aktualisieren. Weitgehend, Commander; denn zum einen verfügen wir noch nicht über genügend Material zu einer befriedigenden Darstellung des Beta-Opak, zum anderen haben sich einige unleugbare Abweichungen ergeben, an denen Alpha- und Beta-Objekt zu gleichen Zeitpunkten an definitiv unterschiedlichen Positionen geortet wurden und wo auch in sämtlichen Langzeitbeobachtungen beide Kurven nicht über eine asymptotische Annäherung hinaus ineinander übergeführt werden konnten.«

      Carlssen schob die Erste Offizierin zur Seite, die ihn auf die Stirn geküsst und mit besorgten Fingern sein Haar zerteilt hatte.

      »Weiter!« Er versuchte, sich Aufnahmefähigkeit zu befehlen.

      »Außerdem habe ich die Bahn des Alpha-Objektes einigen stochastischen Prozeduren unterzogen. Es gibt in den Undulationen, die dieses Opak seit seiner Entdeckung beschreibt, keine erkennbaren Regelmäßigkeiten, die mit unseren Vorstellungen von Mathematik herauszufinden wären. Weder der Verdacht, die Aberrationen könnten als Modulationen einer Trägerwelle aufzufassen sein, noch die entlegenen Spekulationen lunarischer Nachtschwärmer, die nach Primzahlen und anderen nicht regelmäßigen Ordnungsprinzipien suchten, ließen sich verifizieren oder auch nur erhärten. Schließlich habe ich den Gegenbeweis angetreten und gegen zwei Uhr heute Morgen die Hypothese aufgestellt, es handle sich um ein frei randomisierendes Verhalten. Ich habe mehrere Millionen virtueller Zufallsgeneratoren kreieren und ihre Ergebnisse mit der Bahn des Alpha-Phänomens vergleichen lassen. Auch hier kam ich zu keiner Übereinstimmung.«

      »Es ist weder berechenbar noch unberechenbar.«

      »Sagen wir lieber: Es ist nicht regelmäßig und nicht vollkommen regellos. Ich erhielt bestimmte sehr vage Muster. Wenn wir die Flugrichtung und die Ebene der Ekliptik als Koordinaten zugrunde legen, so scheinen die Oszillationen, die es seitlich zur Bewegungsrichtung ausführt, geringfügig häufiger und schwächer, die Ausweichungen, die es senkrecht zur Planetenebene beschreibt, etwas seltener und heftiger zu sein. Bei wohlwollender Interpretation der Daten, denn es unduliert ja nicht nur in zwei durch Polarisation voneinander trennbaren Richtungen, sondern verlässt seine Bahnachse nach allen 360° einer orthogonal zur Flugrichtung stehenden Windrose. Außerdem ist die Vorwärtsbewegung von Sprüngen und Verwerfungen charakterisiert, die sich in keinem System mit den seitlichen Oszillationen koordinieren lassen.«

      »Ist gut. Haben wir eine Prognose über eine mögliche Identifikation von Alpha- und Beta-Phänomen?«

      »Nein.«

      »Wir haben es also mit zwei distinkten Objekten zu tun.«

      »Ich hielte es für voreilig, das so zu formulieren. Uns liegt ein Beschreibungszusammenhang vor, der sich je nach Beobachtungssituation unterschiedlich darstellt. Man kann es sich vielleicht metaphorisch vergegenwärtigen. Beobachter A befindet sich in einer nächtlichen Großstadt der gemäßigten Breiten, während Beobachter B sich in den Mittagsstunden in einer menschenleeren Wendekreiswüste aufhält. Es bedürfte eines gewissen Abstraktionsvermögens, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass sich beide auf demselben Planeten bewegen. Oder wenn wir als Alpha-Phänomen einen blühenden Apfelbaum ansetzen und als Beta-Korrelat eine einzelne herbstliche Frucht. Der Phänomencharakter ist inkohärent und doch handelt es sich um das gleiche Wesen von durchgehaltener Identität. Blüte und Apfel nehmen an der gleichen Raum-Stelle unterschiedliche zeitliche Positionen ein. Wir hier haben es mit einem Phänomen zu tun, das innerhalb derselben Zeit-Stelle unterschiedliche räumliche Positionen einnimmt – noch dazu in Abhängigkeit vom Beobachter.«

      Wir verharrten in gleichmäßigem Abstand zu dem sonderbaren Objekt, das seinen augenlosen Flug unter der Trümmerwüste des Asteroidengürtels entlang fortsetzte. Groenewold, die mit Verspätung ihre Vormittagsschicht an der Seite Commander Carlssens antrat, äußerte hartnäckiges Unwohlsein und meinte, es verursachte ihr krampfhafte Angstempfindungen, dass wir so dicht an das herumwackelnde Objekt heransteuerten. Sie sprach sich sogar dafür aus, das Ding auf seiner unsichtbaren Bahn davonflackern zu lassen. Silesio übergab die Stelle des Kopiloten und versuchte zu erläutern, dass nur das Alpha-Opak »herumwackele«, das für uns aber nicht existent sei; unser Opak verhalte sich dagegen vollkommen linear. Nachdem er sie nicht überzeugt hatte, folgte er Theresa, die sich lakonisch verabschiedet hatte, in den Wohntrakt, um sich bis zur Nachmittagsschicht auszuruhen.

      Als Gus auf die Brücke kam, um seine zwölfstündige Schicht aufzunehmen, die um acht Uhr begann, erhielt er vom Commander den Auftrag, drei Drohnen der mittelschweren Lambda-Klasse zum Aussetzen fertig zu machen. Mit mürrischem Triumph in den Augen entfernte sich der Bordingenieur zum Drohnendeck. Drei Stunden später klinkte die Dorset drei Beobachtungsdrohnen aus, die von der Automatik um das Schiff herumgeführt wurden und dann selbsttätig die konventionellen Wasserstofftriebwerke zündeten. Die drei magnesiumfarbenen Strahlenbündel verschmolzen mit der Indifferenz des Sternenhimmels. Auf wortkargen Monitoren kontrollierte Carlssen, wie sich die Observationsroboter dem Opak entgegenschnellten. Auf einem seitlichen Schirm war das Bild eines


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