Begegnungen im DDR-Knast. Artur Weiß

Begegnungen im DDR-Knast - Artur Weiß


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1972 die Sozialisierung derselben beschloss. Dem widersetzte ich mich mit allen Mittel der Rechtsprechung des Landes. Ich verwehrte mich entschieden dagegen, mir als Arbeiter- und Bauernsohn mein Lebenswerk zu nehmen. Auch mein Hinweis, dass meine Eltern durch Krieg, Flucht und Vertreibung schon zweimal Habe und Heimat verloren hatten, stieß auf taube Ohren. Ich beschwerte mich und riet, dass hierzulande die Diktatur des Proletariats solche Fehler wie Hitler und Stalin nicht machen sollten. Meine Verärgerung war so groß, dass ich der Abordnung Hausverbot erteilte.

      Das war wohl zu viel für die SED- und Stasi-Genossen, so dass sie beim Verlassen der Werkstatt mir Folgen androhten, weil ich mich nach ihrer Meinung mit der Staatsmacht angelegt hätte. Fortan wurde gegen mich ermittelt, so dass ich spürte, wie eine Lawine auf mich zurollte. Dies bestätigte sich Wochen später, als ich eine Ladung der VP (Volkspolizei) erhielt, „zwecks Klärung eines Sachverhalts“ nach Potsdam zu kommen. Wie es in Diktaturen üblich ist, wird kurzer Prozess gemacht. Ein Uniformierter brachte mich zu einem Staatsanwalt, der mir meine angeblichen Vergehen vortrug. Es waren dies:

      1 Verbrechen zum Nachteil sozialistischen Eigentums

      2 Widerstand gegen die Staatsgewal.

      3 Boykotthetze

      Als ich dann noch einem Haftrichter vorgeführt und verhaftet wurde, brach eine Welt in mir zusammen. Ein Beamter der JVA legte mir die Handschellen an und brachte mich auch in die U-Haft Potsdam. Auf dem Weg dorthin wurde ich von ihm misshandelt. Sein Schlagstock landete des Öfteren in meiner Nierengegend, so dass mir die Luft wegblieb. Auch auf dem Weg zur Sammelzelle spürte ich seinen Knüppel auf meinem Rücken. Als 18. U-Häftling stieß mich der Schließer in die Zelle hinein, mit dem Bettzeug auf den Händen machte ich eine Bauchlandung. Nun war ich in der Hölle angekommen und bezog ein Dreistockbett, ganz oben unterhalb der Zellendecke.

      Die erste Nacht in der U-Haft belastete mich sehr, zumal meine Familie nicht wusste, wo ich abgeblieben war. Auch die Ankündigung des Schließers, dass ich diese Nacht nicht vergessen werde, bestätigte sich. Zum wiederholten Male riss man mich in dieser Nacht bei höllischem Lärm aus dem Schlaf und brachte mich zum Verhör. Immer spürte ich den Knüppel im Rücken und ich musste mir Sprüche anhören: „Wir haben bis jetzt alle klein gemacht!“ Diese Schikanen dauerten etwa eine Woche bei Tag und Nacht. Als der Druck nachließ und etwas Ruhe eintrat, machte ich den Versuch, das Geschehene einzuordnen. Ich stellte fest, dass mir die Hände gebunden waren und ich der DDR Stasi-Diktatur voll ausgeliefert war.

      Bis dahin hatte mich das Erlebte so in Anspruch genommen, dass ich alles, was um mich herum geschah, kaum wahrgenommen hatte. Langsam bekam ich das Gefühl, mich in mein Schicksal widerspruchslos fügen zu müssen, wie es meine Zellenbewohner auch taten. Fortan brachte ich mich in die Gespräche mit meinen Leidensgenossen ein. So erfuhr ich, welche schrecklichen Täter mit mir in der Zelle sind: Einbrecher, Betrüger, Totschläger, Schwule, Sitte, Vergewaltiger und Mörder. Wenn ich mir die Männer so anschaute, konnte ich es nicht glauben, dass sie zu solchen Taten fähig waren. Die Tage vergingen mit Verhören draußen und Gesprächen in der Zelle, wodurch man sich näher kennen lernte. Mir fiel auf, dass ein Gleichaltriger des Öfteren zu nah an mich heranrückte. Ich stellte ihn zur Rede und verbot ihm unmissverständlich Kontakte dieser Art. Eine Zeitlang unterließ er es. Hier stand ich zum ersten Mal einem Mann gegenüber, der auf Männer und Kinder stand, was mir Unbehagen einflößte. Weil ich aber im Gespräch mit ihm bleiben wollte, verbarg ich ihm gegenüber meine Abneigung. Oft sind unsere Gespräche von JVA-Angestellten unterbrochen worden, weil man mich zum Verhör holte.

      Weil bei den Verhören immer dieselben Fragen gestellt wurden, veränderte ich mein Verhalten den Beamten gegenüber. Es erschien mir wichtig, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, um vielleicht noch etwas zu retten. Ein Anwalt aus meiner Heimatstadt erklärte sich bereit, mich zu vertreten. Als Erstes beauftragte ich ihn, eine Sprecherlaubnis für meine Frau zu erwirken, weil mich die Ungewissheit um das Schicksal meiner Familie Tag und Nacht quälte. War es doch so, dass wir am Tag meiner Verhaftung einfach auseinander gerissen wurden. Es war mir nicht gestattet zu telefonieren, um meine Frau zu informieren. Dies empfand ich skrupellos und menschenunwürdig, was aber zum zweiten Gesicht der DDR passte. Nach langer Zeit des Verhörs brachte mich ein Schließer in die Zelle zurück, wo kurz darauf das Mittagessen gereicht wurde, was nur der Hunger reintrieb.

      Was mir ungerechterweise vorgeworfen wurde, ist schon genannt, so macht es Sinn, über die Tatbestände anderer zu reden. Weil es in der U-Haft keinerlei Medien gab, war es ohnehin der einzige Gesprächsstoff, worüber aus Langeweile gesprochen wurde. In Gruppen oder zu zweit unterhielten sich die U-Häftlinge über ihre Taten und Vernehmungen. Auch mein Gesprächspartner, ich nannte ihn Schwuli, suchte das Gespräch mit mir. Meine Absicht war es herauszufinden, mit wem ich es hier zu tun hatte. Das eindringliche Auf-ihn-Einreden führte dazu, dass er gestand, wegen Sitte schon einmal zwei Jahre gesessen zu haben. Nun wollte ich es genau wissen. Zunächst zögerte er. Dann erzählte er aber wie ein Wasserfall seine Geschichte.

      „Schon in meiner Kindheit“, so Schwuli, „fühlte und bemerkte ich gewisse Unterschiede zwischen mir und meinen Spielkameraden. Dieses Anderssein war immer da und ich bekam zunehmend Probleme damit. In der Zeit, als ich meinen Schlosserberuf erlernte, zog es mich in der Berufsschule zu einem Gleichgesinnten hin. Dies gab mir die Bestätigung, dass noch andere mit den gleichen körperlichen Problemen konfrontiert waren. Weil wir uns gut verstanden, wurden wir für lange Zeit gute Freunde. Meine Eltern waren nicht erfreut darüber, dass ich schwul war und das war für mich immer eine Belastung. Sie wünschten sich wie alle Eltern, dass junges Leben in das Haus einzieht und dass sie Enkel heranwachsen sehen. Diesen Wunsch werde ich ihnen nie erfüllen können, weil es mir nicht möglich ist, Liebesgefühle und Zuneigung zu Frauen zu entwickeln. Dann schwieg er eine Weile, sah mich fragend an: „Könntest du mit einem Mann Sex haben?“ Verlegen war meine Antwort: „Niemals, weil es mich anekelt.“

      Wieder einmal war ich aus der Zelle geholt worden, diesmal war der Grund mein Rechtsanwalt. Dieser kam gleich zur Sache, bestellte Grüße von meiner Frau und den Kindern, die wie ich am Boden zerstört waren. Dass er eine Sprecherlaubnis erwirkt hatte, war nach langer Zeit für mich ein freudiges Ereignis. Dann kamen wir schnell zu dem Eigentlichen, meine Anklage. Er hatte Akteneinsicht genommen. Es folgte ein sachbezogenes Gespräch über die Anklageschrift, von der er mir eine Abschrift übergab. Für mich stand jetzt schon fest, dass ich dieses Schreiben niemals unterzeichnen werde. Das riet mir auch mein Anwalt, der sich um meine beschlagnahmten Beweismittel kümmern wollte, die beim Finanzamt in Potsdam lagern. Er versäumte auch nicht, mich auf das kommende Gerichtsverfahren hinzuweisen. Um mich darauf vorzubereiten, bekam ich ein Schreiben von ihm mit den für mich notwendigen Gesetzblättern.

      Es war mir ein Bedürfnis, mich über die Schikanen der JVA-Angestellten bei meinem Anwalt zu beschweren. Somit war erstmals alles gesagt, worauf der Anwalt sich von mir mit den Worten verabschiedete: „Wir bleiben in Verbindung.“ Dann klapperte der Schließer mit den Handschellen, die er mir anlegte, und er brachte mich zurück in die Zelle.

      Auf dem Weg dorthin war ich gedanklich bei meiner Familie und freute mich, bald meine Frau wiederzusehen. Andererseits fürchtete ich mich vor dem, was auf mich zukommt, weil die Ungewissheit an meinen Nerven nagte. Die Gespräche mit dem Anwalt hatten sich in die Länge gezogen, so dass inzwischen das Abendbrot ausgegeben wurde. Die nie so üppigen Malzeiten waren schnell von den Insassen eingenommen und die Langeweile nahm wieder Besitz von uns. Die Raucher sorgten dafür, dass die stinkende Luft in der Zelle zusätzlich vernebelt wurde. Die Nichtraucher, zu denen auch ich gehörte, hatten es besonders schwer, zumal es nicht möglich war, den Raum zu lüften. Dicht unter der Zellendecke empfand ich den Gestank besonders stark. Um Neun wurde Nachtruhe ausgerufen und das Licht erlosch.

      Seit dem Besuch meines Anwalts hatte ich eine für mich wichtige Aufgabe zu erfüllen, die Vorbereitung auf den Tag X. Zunächst aber möchte Schwuli mir seine Geschichte zu Ende erzählen. Als gelernter Schlosser nahm er eine Arbeit als Hausmeister in einer Schule an, wo es ihn auf Grund seiner


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