Upps!!?. Michael Schlinck
Verlegung der Toiletten in die Mitte einer jeden Etage könnten wir durchschnittlich 28 Sekunden pro Toilettengang je Mitarbeiter einsparen. Das würde bei 138 Beamten und vier Toilettengängen pro Schicht bedeuten, dass wir 94,5 Arbeitsstunden monatlich einsparen würden. Was wiederum bedeutet, dass wir etwas mehr als eine Halbtagsstelle einsparen könnten.“
Hab ich nun richtig gehört? Da schlägt mir wirklich einer allen Ernstes vor, wegen einer halben Stelle, das komplette Gebäude umzubauen. Nun bin ich wirklich gespannt, was der Gerhard Treiber zu sagen hat.
„Werter Kollege, sehr geehrter Vorgesetzter und alle anderen im Raum befindlichen Personen“, leitet er seinen Beitrag ein, „meinen Erkenntnissen zufolge muss ich Herrn Yang entschieden widersprechen. Einer finnischen Studie folgend, sollten wir die Toiletten im Haus schließen und auf die gegenüberliegende Seite vom Hof verlagern. Ein nicht unerheblicher Teil der Kommunikation unter Kollegen findet auf den Fluren statt. Somit sollten wir die Wege zu den Toiletten so gestalten, dass möglichst viel Raum für Gespräche entsteht. Zudem würde der Weg über den Hof zu einer erhöhten Sauerstoffzufuhr führen, was zusätzlich die Effizienz erhöht.“
Okay. Meiner Meinung nach würden wir die meisten Kosten einsparen, wenn wir die zwei Toilettenheinis wegrationalisieren würden.
„Den letzten asiatischen Forschungen zufolge ist meine Lösung die einzig richtige“, setzt sich nun Yang zur Wehr, „zielorientiertes Arbeiten ist nur am eigenen Arbeitsplatz, vernetzt in die modernen Medien, möglich.“
„Alles Firlefanz“, wird der Treiber nun etwas lauter, „der Faktor Mensch ist entscheidend. Wir müssen die Kommunikation fördern und wieder eine Verbindung zur Natur herstellen.“
„Natur, Natur. Wir können uns nicht davor verschließen, dass das natürliche Umfeld der Menschheit nun virtuell stattfindet. Vorbei mit Konversation und frischer Luft.“
So sehr mich das Schauspiel auch fasziniert, nun schwillt mir doch der Kamm. Die beiden bekriegen sich wie Politiker im Wahlkampf und dabei langweilen sich die stillen Beisitzer. Zudem sitzen Timo und ich auch noch dabei. Das sind entschieden zu viele Ausgaben für den Steuerzahler.
„Schluss mit der Seifenoper!“, schreie ich deshalb mal in den Raum. „Die Beisitzer gehen bitte zurück an Ihren Arbeitsplatz und die Herren Yang und Treiber erhalten von mir den Auftrag, für die nächsten Monate einen sozial verträglichen Dienstplan zu erstellen.“
„Und die Toilettenfrage?“, sagen die beiden Herren wie aus einem Mund.
„Gestorben!“, sag ich. „Und nun alle raus.“ Worauf auch alle gehen. „Du nicht.“ Nun bleibt Timo stehen. Wohl wissend, dass er der einzige ist, den ich mit du anrede.
„Ja, Chef“, sagt er eingeschüchtert dienstlich. Okay, er hat mich schon deprimiert, ängstlich oder freundschaftlich erlebt, aber so aufbrausend anscheinend noch nicht.
„Setz dich“, schlage ich nun ruhigere Töne an. „Gehe bitte meinen ganzen Wochenplan durch und sage sämtliche Meetings ab. Anschließend schreibe an alle Abteilungen, dass ich im Laufe der Woche ohne festen Zeitplan zu Besuch kommen werde, um mir vor Ort ein Bild von jedem Arbeitsplatz zu machen.“
Als ich geendet habe, geht Timo wieder Richtung Tür.
„Kannst du mir sagen, wo du schon wieder hin willst?“, frag ich ihn deshalb.
„Na ins Großraumbüro, die Mail schreiben.“
„Nix Großraumbüro“, sag ich, so wie man mit einem Kind redet, „du bleibst hier bei mir. So wie in Landau.“
„Dieter, das hier ist nicht Landau, das hier ist Neustadt! Und du bist nicht mehr Dieter, du bist jetzt Oberkommissar und Herr Schlempert.“
Jetzt redet der mit mir, als wäre ich bescheuert.
„Timo, rede nicht daher, als wäre ich bescheuert. Du holst auf der Stelle deinen Kram und schlägst hier dein Lager auf. Basta!“
„Oberkommissar Schlempert“, spricht Timo jetzt auch noch geschwollen, „ich werde mich Ihrer Autorität beugen.“
So zieht er von dannen und ich stehe wieder alleine in dem riesigen Büro. Zu allem Überfluss beginnt nun auch noch der Bildschirm über meinem Schreibtisch rot zu blinken und wie eine Sirene zu heulen. Wie gelähmt stehe ich davor und hab keine Idee, was das nun wieder soll. Glücklicherweise kommt Timo schon hereingestürmt.
„Los Dieter, ein Leichenfund, da musst du reagieren.“
Ach so ist das. Da reagiere ich doch gleich einmal und schnappe meine Jacke, den Autoschlüssel und mach mich auf den Weg.
„Dieter“, sagt Timo auffallend provokant.
„Was? Ich habe keine Lust auf Spielchen“, blaffe ich ihn an.
„Nicht auf und davon, Mensch. Delegieren! Du verdienst dein Geld nun mit dem Zeigefinger.“
„So ein Quatsch“, sag ich, weil das doch ein Quatsch ist, „wir fahren jetzt dorthin.“
„Wenn du das willst, kannst du das“, wird mein Kollege nun versöhnlicher, „nachdem du die Spurensicherung, den Pathologen und die Abteilung für Tötungsdelikte alarmiert hast.“
Und so sitzen wir drei Telefonate später tatsächlich im Auto und fahren durchs Elmsteiner Tal in Richtung Johanniskreuz. Eine Traumstrecke für mich und meinen Mini. Zumindest wenn man sich auf das Fahren konzentrieren kann. Ich konzentriere mich auf das Navigationssystem, das wir dieses Mal nicht mit einer Adresse gefüttert haben. Jede Menge Zahlen haben wir eingetippt. Zahlen für Längen- und Breitengrade, so ist das eben, wenn sich ein Toter dazu entschließt, irgendwo in der Botanik zu liegen und nicht in einem Gebäude mit Straße und Hausnummer.
Apropos Toter, nun fällt mir ein, dass ich gerade zum ersten Mal zu einem Tatort unterwegs bin, an dem noch nicht alle grausamen Überreste schon weggeräumt wurden. Und schlagartig wird mir schlecht. Als würde die kochende Magensäure, die mir aufstößt, nicht reichen, kommt mir nun auch noch der Geschmack von Kräuterbonbons in den Mund. Eine Macke, die ich einem Pathologen namens Hansi zu verdanken habe.
Nun holpern wir einen Feldweg entlang, was meinem tiefer gelegten Dienstwagen gar nicht gut tut. Laut Navi müssen wir drei, also Timo, ich und der Mini uns diese Folter noch mehrere Kilometer gefallen lassen.
Nach schier endlos erscheinenden Minuten steht ein aufgeregter, zwergenähnlicher Mann auf dem Weg und winkt hektisch.
„Sie kinne do nidd dorsch fahre“, sagt er in einem Dialekt, den ich nicht recht zuordnen kann, „do isch ei Verbreche bassiert, die Boolente missd ah ball do soi.“
Nun hab ich es verstanden, der ist kein Pfälzer, aber versucht die Sprache zu sprechen.
„Hören Sie“, sag ich deshalb, „zum Ersten können Sie gerne mit uns reden und brauchen nicht mit Gewalt zu babbele. Zum Zweiten sind wir die Polende. Darf ich vorstellen: Oberkommissar Schlempert und das ist mein Kollege Gebauer.“
„Dann kommen Se mit“, spricht er nun deutlich verständlicher, „dorde driwwe auf demm Trekkingblatz licht se, die Leich odder besser gsachd, was ebe ibbrig iss.“
Also ich fasse mal zusammen: Da steht nun mir gegenüber ein circa eins fünfundfünfzig großer Mann in grüner Waldkleidung mit blondem Haar und gleichfarbigem Rauschebart, einem Fahrradhelm auf dem Kopf und einer Wäscheklammer am rechten Hosenbein. Dazu versucht er krampfhaft pfälzisch zu reden, obwohl er es nicht kann. Dazu riecht er nach teurem Parfüm und behauptet, eine Leiche entdeckt zu haben. Das kann ja heiter werden.
Wir folgen ihm querfeldein in den Wald zum Trekkingplatz.
Diese Plätze wurden vor ein paar Jahren überall im Pfälzer Wald eingerichtet, um wildes Campieren zu vermeiden. In der Regel befinden sie sich an einem Bachlauf oder einer Quelle, haben eine eingeebnete Fläche, um Zelte aufzubauen, Bäume, um Hängematten aufzuhängen und eine Grube, um seine Notdurft zu entsorgen, also quasi ein Apartment für Rumpelstilzchen. So passt nun auch unser Leichenfinder ins Bild.
Was