Die Politik und ihr Wahnsinn. Ralph Llewellyn

Die Politik und ihr Wahnsinn - Ralph Llewellyn


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ich weiß nicht, ob das wirklich gut gehen kann“, sagte der Herr im dunklen Seidenanzug und seufzte. Ein Präsident hatte es sicher nicht immer leicht. Besonders nicht in Amerika.

      „Inwiefern, Mister President?“, fragte ihn sein Berater und beugte sich ein wenig nach vorne. Einmal in der Woche saßen sie hier zusammen und berieten sich über das, was draußen in der Welt vor sich ging.

      Ein müdes Lächeln umspielte die Lippen des Präsidenten. Unter seinem Nachfolger würde sich vieles verändern. Die Republikaner waren mal wieder außer Rand und Band. Selbst in den eigenen Reihen war der Neue nicht beliebt. Aber davor fürchtete er sich nicht. Seine acht Jahre neigten sich unaufhaltsam dem Ende entgegen. Vieles hatte er sich vorgenommen gehabt, doch nur wenig davon auch wirklich umsetzen können. Das politische Machtspiel kam einem hochgetakteten Sportwagen gleich, dem man den Zündschlüssel weggenommen hatte. Wer ihn bewegen wollte, musste ihn schieben. Und das dauerte seine Zeit.

      „Na ja, ich frage mich, ob es wirklich okay ist, was wir mit Europa machen“, sprach der Präsident nach der kurzen Gedankenpause weiter. „Haben Sie keine Angst, dass sie sich irgendwann wehren könnten?“

      „Wehren? Sprechen wir über dieselben?“ Ein süffisanter Unterton lag in der Stimme des Beraters, als hätte er die Frage nicht richtig verstanden. Aber er wusste genau, worauf der Präsident hinauswollte.

      „Nun, wir fordern viel, bringen Unordnung in das Weltgeschehen und treiben die Europäer vor uns her. Wir überwachen sie auf Schritt und Tritt und sagen ihnen, was wir von ihnen wollen.“

      In den acht Jahren seiner Amtszeit war der Präsident alt geworden. Sein zu Beginn noch jugendliches Aussehen war dem Antlitz eines alternden Mannes gewichen, und tiefe Falten hatten sich auf seine Stirn eingegraben. Eigentlich könnte es ihm egal sein, was andere dachten. Seine Aufgabe war es, das Beste für sein eigenes Volk zu tun, er hatte nur seinem Amerika gegenüber Rechenschaft abzulegen. Und er liebte sein Land wie kaum ein anderer. Aber es war eine globale Welt, in der alle miteinander vernetzt waren. Man konnte sich nicht auf einer Insel einigeln und glauben, dass man für andere keine Verantwortung trug.

      „Das politische Geschäft war, ist und wird nie eine saubere Angelegenheit sein“, gab sein Berater zu bedenken. „Es ist ein schmutziges Geschäft, und man darf sich nicht zu viele Gedanken über andere machen. Wenn wir stärker sein wollen, müssen wir andere zu Schwächlingen machen. Stärke hat eine Grenze, und die haben wir erreicht.“

      Der Präsident hob die Augenbrauen. „Andere zugrunde richten, nur um selbst besser dazustehen?“ Das war etwas, das er niemals verstehen würde.

      „Ja, genau so läuft das Spiel. Wir destabilisieren Länder und lassen andere dafür zahlen. Wir stürzen Regierungen, um wiederum anderen die Vorteile, die sie vielleicht hatten, zu nehmen. Wir verunsichern die Märkte, um unsere Wirtschaft zu stärken. Wir überwachen alles und jeden, um rechtzeitig zu erfahren, wenn etwas gegen uns gerichtet ist. Das ist doch eine gute Situation für uns“, kam prompt die Antwort des Beraters, trocken und ohne jegliche Emotion.

      „Aber es handelt sich hier um Menschen, Familien und Kinder, die unter dem, was wir anrichten, leiden müssen. Die Europäer knicken bald wegen der vielen Flüchtlinge ein. Das überstehen sie nicht.“

      „Mag sein. Was wir geplant hatten, hat nicht ganz hingehauen. Der syrische Präsident will einfach nicht loslassen. Er ist der Böse, nicht wir“, erklärte der Berater, erntete dafür jedoch nur ein verbittertes Grinsen.

      „Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen, aber doch nicht mir.“

      Der Berater beugte sich nach vorne und revanchierte sich mit einem entspannten Lächeln. „Mister President, unsere Aufgabe ist es, zu überleben und zu siegen, die Ersten zu sein. Ja, wir haben das angezettelt, um den Russen ihre strategische Position dort zu nehmen, aber es hat eben nicht funktioniert. Und? Ist das nun schlimm? Für uns läuft doch trotzdem alles sehr gut. Wir unterstützen die PKK, indem wir ihr Waffen liefern, und bekommen das sogar bezahlt. Das stärkt unsere Wirtschaft. Dafür kämpft die PKK gegen den IS. Die Türken wiederum bombardieren die PKK-Stellungen, also liefern wir ihnen ebenfalls Waffen. Vor Kurzem waren auch die Russen sauer auf die Türken. Wir intervenierten und gaben den Russen die ganze Schuld, aber am Ende kaufen auch die bei uns Munition und Waffen ein. Die Europäer ächzen unter der Last der Flüchtlinge, und unsere deutschen Verbündeten laden sie auch noch alle ein, ha! Das schwächt auch sie. Der Dreh mit der Ukraine war ebenso genial. Die Russen nehmen die kaputte Krim und andere pleitegegangene Ländereien. Das macht sie noch schwächer. Die Deutschen geben den Ukrainern Geld und werden dafür ärmer. Alle werden schwächer, nur wir nicht. Wir benötigen starke Partner, aber sie sollten nicht zu mächtig sein. Ganz einfach.“ Der Berater lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück und neigte nachdenklich den Kopf. „Sie haben gefressen, dass wir sie abhören, selbst dass wir das Handy der deutschen Kanzlerin überwacht haben. Klar, man hat sich ein wenig aufgeregt, aber mehr doch nicht. Sie haben auch akzeptiert, dass wir geopolitische Interessen in der Welt verfolgen, wie zum Beispiel in Griechenland und der Ukraine. Wir wollen unser Militär dort stehen haben, und die anderen müssen eben auch etwas dafür tun. Im Gegenzug gewähren wir ihnen Schutz.“

      Der Präsident blickte kopfschüttelnd zu Boden. „Das klingt ein wenig nach Mafiamethoden. Wir bieten ihnen Sicherheit und verlangen dafür Schutzgelder.“

      „Nicht ganz, Mister President, nicht ganz. Wir verlangen Schutzgelder, bieten aber nicht wirklich Sicherheit. Es scheint nur so, als würden wir das tun.“

      Als sich ihre Augen trafen, lag etwas im Raum, das sie sich beide nicht erklären konnten. Die amerikanische Verfassung garantierte jedem ein Recht auf Glück. Was sein Berater gerade erläutert hatte, entsprach sicherlich der Wahrheit. Aber es war eine Wahrheit, die nicht glücklich machte.

      Hans saß steif auf seinem Stuhl und schaute sich zaghaft im Vortragssaal um. Er glich einer verschüchterten grauen Maus, die nicht anecken oder auffallen wollte. Nach den Erlebnissen am Morgen wäre er lieber zu Hause geblieben, aber er hatte sich nun mal für dieses Symposium angemeldet – und was er sich einmal vorgenommen hatte, das zog er auch gewissenhaft durch. Das war eine seiner wirklich guten Eigenschaften, die auch seine Kunden zu schätzen wussten. Er war verlässlich und konnte klar strukturiert arbeiten – zumindest dann, wenn er nicht mit Schmutz jeglicher Art hantieren sollte. Die Besichtigung am Vormittag war abscheulich gewesen. Die Bilder dieser Kloake, wie er es empfunden hatte, schwelten noch immer in seiner Erinnerung. Wie konnte ein Haus nur so verdreckt sein? Einige Male musste er stehen bleiben und vor Übelkeit würgen. Zwar schob er es sofort auf eine Magenverstimmung, bedingt durch eine schlechte Mahlzeit am Abend zuvor, in den Augen der Frau aber sah er, dass sie ihm nicht glaubte. Als ihm dann auch noch unabsichtlich ein verräterisches „Igitt“ über die Lippen rutschte, geschah das Unvermeidliche. Auf ihre Frage, ob er etwas an ihrem Haus auszusetzen habe, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen. Und das tat er. Ohne Wenn und Aber. Nichts ließ er aus, nicht ihre klebrigen Finger, den schmutzigen Boden, die verrauchten Gardinen, die die Räume unsinnig verdunkelten, und auch nicht das Badezimmer, in dem er eine Unzahl kleinster Lebewesen vermutete, die sich in verdreckten, nicht gelüfteten Räumlichkeiten wunderbar entwickeln konnten.

      Ihre unmissverständliche Aufforderung, sofort das Haus zu verlassen, überraschte ihn nicht. Der scharfe Ton ihrer Stimme spie förmlich die Empörung heraus. Diese Dame – wenn man sie überhaupt als solche bezeichnen konnte – würde ihn niemals weiterempfehlen.

      Unten auf der Straße traute er sich dann endlich wieder, tief durchzuatmen. Zwar hatte er einen potenziellen Auftraggeber verärgert, dafür aber seine Lunge vor Schimmelpilzen verschont. Die dumpfe Wehmut, wieder einen Auftrag wegen seiner Unfähigkeit zu lügen verloren zu haben, konnte er nicht gänzlich unterdrücken. Noch einmal schaute er sich verstohlen zu dem Haus um, in dem er die Hölle gesehen hatte. Seine Augen verweilten für einige Sekunden an dem Fenster, von dem aus die Dame ihm einen giftigen Blick nachwarf. Oh, wie konnten die Wesen der Nacht und des Unrats doch böse schauen! Mit einem Seufzer hatte er sich umgedreht und war gegangen.


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