Sehnsucht nach dem Süden. Gerhard Dienes

Sehnsucht nach dem Süden - Gerhard Dienes


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Landleben.

      Von einer ungeheuren Ausschweifung erzählt Romano Farina (1929 – 2000):

      „So wie sich viele Jahrhunderte später die Briten in Indien neuen kulturellen Strömungen öffneten, gaben sich die Römer in ihren istrischen Villen im Namen der Cybele (der asiatischen Göttin der Fruchtbarkeit) geheimen, mystisch verschlüsselten Zeremonien“ hin:

      Geheime Feste als endlose orgiastische Bacchanale!

      Die Ausschweifungen erfolgten im Zeichen eines erigierten männlichen Gliedes. In den Gärten von Koper fand man Säulenbruchstücke aus Stein, Phallen überdimensionaler Größe darstellend!

      „Die Zeremonien verliefen nach der Regie des Großen Meisters, des Archigallo, ab. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Kastraten eingeschlossen, praktizierten diverse sexuelle Handlungen. Dabei wurden Jungfrauen defloriert, man ‚brauchte‘ die Knaben und genoss, ‚per via anale‘, die Alten, die unmittelbar danach geviertelt und beigesetzt wurden.“ Farina schließt nicht aus, dass der istrische Wein seinen Anteil an diesem orgiastischen Wahnsinn hatte.

      Im Archäologischen Museum der zur Römerzeit so bedeutsamen Stadt Aquileia fällt ein Relief mit Priapus-Szenen auf. Dieser war der Gott der Fruchtbarkeit und wird hier als kleiner Bub dargestellt, den Venus, die Göttin der Liebe, und ihre Mägde in einer Wanne baden. Sein übermäßig großes Glied erregt ihre Aufmerksamkeit und sie betrachten es mit Abscheu – oder mit Lust?

      Aquileia war eine Stadt, in der die Reichen reicher als reich waren. Ihr Luxus lässt sich im erwähnten Museum erahnen: ein Schleier, übersät mit unzähligen kleinen Goldfliegen, Parfumfläschchen aus Bernstein, geschmückt mit Amoretten und Akanthusblättern, Haarnadeln aus Elfenbein, ausgestattet mit plastischen Porträtköpfen, mit orientalischen Ornamenten verzierte Öllampem et cetera.

      Und wie waren die lukullischen Genüsse der Reichen? Per Schiff kamen die kostbarsten Früchte und Gewürze, die ausgefallensten Tiere und Spezereien von den afrikanischen und orientalischen Märkten. Spitzenköche, die so viel wie drei Pferde kosteten, bereiteten ihrer schwer wohlhabenden Klientel immer absurdere Gerichte: Flamingo- und Storchenzungen, Ragout aus Nachtigallenleber oder Schweinevagina, Zitzen und Gebärmutter von der Jungsau. Verbreitet war die Marotte, die Esser durch Saucen darüber zu täuschen, was ihnen vorgesetzt wurde. Im Kochbuch des Apicius (um 25 v.–42 n. Chr.) heißt es bei einem Rezept stolz: „Keiner an der Tafel wird wissen, was es ist.“ So wurden die Schweinshaxe zum Huhn und das Saueuter zum Fisch! Die High Society von „anno dazumal“ versuchte, sich an Aufwand und Extravaganz zu übertreffen. Von dem Geld für ein Galadinner der oberen Schichten hätte sich ein Normalbürger mehrere Jahre ernähren können. Aber selbst Superreiche trieb die Völlerei bisweilen in den Bankrott.

      Ob das Aufgetischte unseren Gaumen gemundet hätte? Wer weiß. Zeiten und Geschmäcker sind verschieden. Klar scheint, dass wir das zur Zeit der Römer als besonders erlesen erachtete Liquamen-Gewürz nicht als solches eingestuft hätten, denn:

      In ein Gefäß wurden Eingeweide von Fischen und auch kleinere Fische gelegt und eingesalzen. Dann ließ man diese Mischung in der Sonne stehen, bis sie gärte. Das konnte bis zu zwei Monate dauern. Wenn die Masse gut durchgefault war, trieb man sie durch ein Sieb und diese Flüssigkeit war dann das liquamen. Es war schlechthin das Universalgewürz im alten Rom.

       Von der Esskultur zur Sprachkultur

      Das nach dem Forum des Julius Caesar benannte Friaul ist eine Landschaft, in der die Geschichte, auch wenn sie Vergangenheit geworden ist, nicht stirbt. Vielmehr lebt sie in den Gebräuchen des Volkes und auch in mannigfachen Gewohnheiten, Kulturschöpfungen sowie im Furlanischen, einer eigenen romanischen Sprache, fort. Im Friaul sagt man demnach nicht buongiorno, sondern mandi, ein im übrigen Italien völlig unbekannter Gruß. Seine Herkunft ist ungewiss. Vielleicht leitet sich das Wort vom lateinischen manibus dei, also „in Gottes Hand“, ab.

      Pier Paolo Pasolini hatte seine Wurzeln im Friaul. Auch die seines Denkens und seiner Sprache fußen hier. In der Sprache seiner friulanischen Mutter schrieb er die ersten Gedichte.

      Pasolini setzte sich für das Furlanische oder auch Friulanische ein und forderte die Gründung einer „Academiuta di lenga furlana“. Nicht mehr vom Friulanischen als Dialekt, sondern als Sprache sollte die Rede sein.

      Pasolini: „Der Dialekt ist die bescheidenste, die gewöhnlichste Ausdrucksweise, er wird nur gesprochen, keinem fällt ein, ihn zu schreiben. Doch wenn jemand auf diese Idee käme? Ich meine, mit dem Dialekt seine Gefühle, seine Leidenschaft auszudrücken? Wohlgemerkt, nicht, um Leute mit Dummheiten zum Lachen zu bringen oder ein paar alte Geschichten aus seinem Heimatdorf zu erzählen …, sondern mit dem Ehrgeiz, anspruchsvollere, schwierigere Dinge zu sagen. Wenn jemand diese Idee gut umsetzt und andere, die denselben Dialekt sprechen, seinem Beispiel folgen und so allmählich eine Menge schriftliches Material zusammenkommt, dann wird dieser Dialekt zur ‚Sprache‘.“ Und Pasolini gibt uns eine Lektion Friulanisch.

       „Ich gehe das Vieh füttern und melken. Und du wirst mir helfen, sofort.“

       „I vai a governà e molzi. E tu ven a judami, e subit.”

       „Der Wille des Herrn geschehe!”

       „Ch’a si fedi la voluntàt dal Signòur.“

       „Lass mich in Ruhe.“

       „Va e tàs.“

       „Habt ihr schon zu Abend gegessen?“

       „Vèizu belzà senàt?“

      Aus: Pier Paolo Pasolini, I Turcs tal Friùl.

      Die Türken im Friaul (1944).

      Pasolinis Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Heute ist das Friulanische oder Furlanische als Minderheitensprache anerkannt.

      Friaul war die längste Zeit seiner Geschichte eine arme Region, ein Landstrich, der von den Mächtigen nicht wirklich geliebt wurde, ein Übergang vom mächtigen Norden in den Süden. Ein Land zwischen Kaiser und Papst, zwischen Apfel- und Zitronenblüte.

      Heute ist Friaul reich. Eine der reichsten Regionen Italiens. Die Ursprünge seiner Küche liegen aber, wie Christoph Wagner schreibt, in seiner „armen Vergangenheit“. Heute würde man die vielfältigen Einflüsse, die diese Küche geprägt haben, als „Multikulti“ bezeichnen. Die traditionellen Speisen werden aus Rüben, Sauerkraut, Bohnen, Reis, Mais und Kartoffeln zubereitet.

      Ein Beispiel dafür ist der Frico, die Antwort Friauls auf die Schweizer Rösti.

      Für dieses Erdäpfel-Käse-Gericht werden würfelig geschnittene Kartoffeln in der Pfanne zusammen mit einer Zwiebel in wenig Öl gebraten. Dann wird frischer Käse (höchstens einen Monat alt) untergemengt und gebraten, bis man auf beiden Seiten eine schöne Kruste bekommt. Üblicherweise wird der Frico mit Polenta serviert.

      Weil wir schon beim Käse sind: In Friaul gibt es zahlreiche köstliche Käsesorten, deren bekanntester Vertreter der Montasio ist. Diesen Käse, den man hier seit dem 13. Jahrhundert kennt, verdanken die Friulaner den Benediktinern der Abbazia di Moggio Udinese. Ihre Produktions- und Konservierungsmethode verbreitete sich in Karnien und der friulanisch-venetischen Ebene sehr rasch. Das Geheimnis der Benediktiner war die sanfte Technik der Milchverarbeitung und diese Art hat sich bis heute erhalten.

      Die meisten Käse werden nach den Orten ihrer Herkunft benannt. Es sind in erster Linie Kuhmilchkäse (Schafkäse sind eher selten) und sie haben üblicherweise einen hohen Fettanteil. In Scheiben geschnitten und unter die heiße Polenta gelegt (die mit


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