Karl Polanyi. Группа авторов
mit ihrer persönlichen Lebenssituation relativ zufrieden, blicken aber mit Sorge auf die immer größer werdende „Schere zwischen Arm und Reich“. Trotz ihrer aktuellen Zufriedenheit haben sie das Gefühl, nicht dem zu entsprechen, was ihnen gemeinhin als normales und erstrebenswertes Lebensmodell präsentiert wird. Mit zwei Kindern kommen beispielsweise zwei der acht Befragten trotz ihrer Vollzeiterwerbstätigkeit und der ihrer Lebenspartnerinnen nur gerade so über die Runden. Urlaubsreisen und regelmäßige Restaurantbesuche mit der ganzen Familie, die für sie zu einem „normalen“ Leben dazugehören, können sie sich nicht leisten. Sie fühlen sich als „arbeitende deutsche Bürger“ und „kleine Leute“ nicht angemessen anerkannt sowie materiell entlohnt. Gegenüber Flüchtlingen fühlen sie sich benachteiligt, da für diese nun plötzlich Geld da sei, nachdem jahrelang nicht in das Bildungssystem oder in den sozialen Wohnungsbau investiert wurde.
Ob für die Flüchtlinge, die überbezahlten Politiker oder Griechenland – immer sei der kleine deutsche Arbeiter „der Zahlemann der Nation“. Die Befragten konstruieren „die Deutschen“ als Gemeinschaft ehrlicher, hart arbeitender Menschen, die von der eigenen Regierung betrogen wird. Das reale soziale Problem, dass nicht wenige Lohnabhängige selbst mit einer Vollzeittätigkeit mit ihren Familien nur gerade so über die Runden kommen, wird hier national überformt: Ihnen als Deutschen stünde ein besseres Leben, soziale Absicherung und Anerkennung zu, ethnisch „Fremden“ und Personen, die nichts zum Wohlstand des Landes beigetragen hätten, hingegen nicht. Sie sollen ausgegrenzt, in Sammelunterkünften untergebracht und ausschließlich mit den nötigsten Sachleistungen versorgt werden.
Zu dem Gefühl, nicht dem entsprechen zu können, was als „normal“ gilt, gesellen sich entwertende Arbeitsbedingungen. Ein autoritärer Führungsstil der Vorgesetzten, Bevormundung, wenig Mitbestimmungsmöglichkeiten für Beschäftigte und ausbleibende Lohnerhöhungen gehören zu den prägenden Erfahrungen und sind nach Aussagen befragter Gewerkschaftssekretäre in den untersuchten Regionen keineswegs eine Ausnahme. Erfahrungen solcher Art können dazu beitragen, dass sich Menschen ohnmächtig und permanent benachteiligt fühlen, dass Frust und Wut wachsen. Diese Gefühle münden keineswegs zwangsläufig in eine rechtspopulistische oder gar völkische Bewegung, können jedoch von solchen mobilisiert werden.
Bei unseren Befragten spielen spezifisch ostdeutsche Erfahrungen eine bedeutende Rolle. Viele Ostdeutsche erlebten infolge der sogenannten Wende 1989/90 in rasantem Tempo eine Entwertung von fast allem, was bis dato gegolten hatte. Als Ostdeutsche waren sie gegenüber Westdeutschen nicht nur in ökonomischer Hinsicht benachteiligt; sie fühlten sich als Bürger und Bürgerinnen Ostdeutschlands auch in kultureller Hinsicht von westdeutscher Politik, von Arbeitgebern und anderen bevormundet, abgewertet und in ihren Lebensrealitäten nicht anerkannt.
Gefühle solcher Art entsprechen realen Benachteiligungen und Anerkennungsdefiziten, sind Ostdeutsche doch bis heute in allen Bereichen der Positionseliten und Medien unterrepräsentiert. Die Löhne und die Qualität der Arbeit sind in Ostdeutschland nach wie vor niedriger als in Westdeutschland. Nach den tiefgreifenden erwerbsbiografischen, sozioökonomischen und demografischen Umbrüchen der Wendezeit haben viele Ostdeutsche gerade erst wieder eine gewisse Normalität und Stabilität erreicht, die sie nun mit der Ankunft von Geflüchteten erneut bedroht sehen.
Deutlich wird, dass sich der Wunsch danach, mit dem eigenen Einkommen ohne Sorge ein gutes Leben führen zu können, nach stärkerer materieller Anerkennung ihrer Leistungen, ihrer harten Arbeit, aber eben auch ihrer Lebensrealitäten, in ausgrenzenden Lösungen ausdrückt. Diese Haltung lässt sich als exklusive Solidarität mit den produktiv Beschäftigten und der nationalen Leistungsgemeinschaft in Abgrenzung zu Arbeitslosen und „kulturell fremden‚ unnützen Migranten und Migrantinnen“ bezeichnen.
Diese Grundproblematik lässt sich zu folgender These zuspitzen: Je geringer die Hoffnung ist, trotz individueller Anstrengungen Anschluss an eine Gesellschaft zu finden, die medial fortwährend als prosperierend dargestellt wird, desto stärker haben die von uns befragten Arbeiter das Gefühl, Verlierer einer Verteilungsungerechtigkeit zu sein. Infolgedessen interpretieren sie die aktuelle Situation als einen Konflikt zwischen innen – den leistungsbereiten, tüchtigen Deutschen – und außen, das heißt vermeintlich leistungsunwilligen, kulturell nicht integrierbaren Ausländern und Ausländerinnen.
Das gute Volk gegen das korrupte System
Dabei grenzen die Befragten das Volk und die von ihnen ersehnte nationale Leistungsgemeinschaft vom System ab. Sie kritisieren Egoismus, Macht- und Profitstreben sowie Vereinzelung und wünschen sich mehr Zusammenhalt und ein besseres Miteinander, das sie in der Nation zu realisieren meinen. Interessengegensätze und Meinungspluralismus kommen in dieser Vorstellung nicht vor. Das ist umso erstaunlicher, als alle als aktive, gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte davon überzeugt sind, dass es ein starkes Gegengewicht der Arbeitenden zum Management braucht. Diesen Interessengegensatz auf der betrieblichen Ebene beziehen sie jedoch nicht auf die Gesellschaft: Hier eint die Vorstellung des deutschen „Volks“ die Menschen über alle Interessengegensätze hinweg und verbündet sie im ethnischen Sinne gegen „das System“.
Die Systemkritik ist häufig verschwörungstheoretisch begründet. Auch wenn sie das grundlegend diffuse Gefühl haben, dass „etwas mit dem System nicht stimmt“, fällt doch auf, dass sich die Kritik der Befragten nicht auf die tieferen Ursachen von sozialer Ungleichheit, kapitalistischer Verwertungslogik oder sozialer Vereinzelung bezieht. Sie bestimmen lediglich Personen und Mächte, die allein an der gegenwärtigen Misere schuld sein sollen und Deutschland gezielt kleinhalten würden: die Migration, das vermeintliche Kartell von Parteien und Medien, die Politik, die Linken, die USA oder eben „irgendjemand“.
Die verbreitete Kritik an wachsender sozialer Ungleichheit, das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt, das Gefühl, politisch nicht repräsentiert zu werden und mit den eigenen Belangen in der Öffentlichkeit nicht vorzukommen, die mangelnde materielle und soziale Anerkennung als Arbeiter verbinden sich mit rassistischen Ressentiments und kanalisieren sich in einer völkischen Bewegung Polanyi’schen Typs. Diese richtet sich nicht gegen eine ausbeuterische Klasse, den Kapitalismus oder Ähnliches, sondern gegen das diffuse „System“ und die kulturell vermeintlich Fremden. Die Grenzen zwischen dem „Wir“ und „den Anderen“ verlaufen folglich nicht klassenspezifisch, sondern nach Leistung und „Kultur“.
Es handelt sich um eine Bewegung Polanyi’schen Typs, weil sie sich gegen die (vermeintliche) soziale Konkurrenz mit Migrierenden richtet und darauf abzielt, den eigenen Status, das Anrecht auf soziale Sicherheit und ein „gutes Leben“ auch in der Zukunft zu erhalten, nicht aber darauf, die tatsächlichen gesellschaftlichen und ökonomischen Ursachen der Konkurrenz infrage zu stellen und zu überwinden. Die Befragten empfinden rechtspopulistische, nationalistische Bewegungen wie beispielsweise Pegida als Bewegungen der Mehrheit, die den authentischen Willen des Volks artikulieren und gegen die aus ihrer Sicht verlogene „Systempolitik“ mit dem Ziel der Errichtung einer wahren, direkten Demokratie zu Felde ziehen.
Ausblick: Mehr vergleichende Forschung ist nötig
Rechtspopulistische Formationen greifen reale Anerkennungsdefizite und Themen auf, deren Bearbeitung sich lange Zeit linke Parteien recht erfolgreich verschrieben hatten. Dabei machen sie ausgrenzende, „national-soziale“ Angebote ganz im Sinne von „Deutsche zuerst“ oder „Österreicher zuerst“ und legitimieren und radikalisieren rassistische und nationalistische Haltungen und Verhaltensweisen. Die sozialpopulistische Rhetorik und die Verknüpfung sozialer Themen mit Einwanderung läuft letztendlich immer darauf hinaus, Migration zu beschränken oder zu verhindern und soziale Gruppen gegeneinander auszuspielen, und lenkt so davon ab, ernsthaft soziale Probleme anzupacken.
Zu den Bedingungen des Aufstiegs rechtspopulistischer Formationen und ihrer Attraktivität für Arbeiter und Arbeiterinnen gehören politische Diskurse, politische Kräfteverhältnisse, sozioökonomische Veränderungen, politische Repräsentationsdefizite und Ähnliches, die sich in den verschiedenen Ländern voneinander unterscheiden und vergleichend untersucht werden müssten. Unsere Forschungen haben wir bisher nur in Deutschland und vorrangig in Industriebetrieben durchgeführt. Systematischer zu untersuchen wäre, wie es in anderen Branchen, wie beispielweise dem Dienstleistungsbereich,