Ich bin am besten wie ich bin. Группа авторов

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sie zum Putzen bereitgestellt, geht jetzt auch nicht mehr), schnappe die Autoschlüssel und bin aus der Tür!

      Ja, ich bin nervös. Ich habe Karin seit vielen Jahren nicht gesehen und nun haben wir uns vor zwei Wochen bei einem überregionalen Frauentag wiedergetroffen. Sie war eine der Rednerinnen, hielt einen blendenden Vortrag über Zeitmanagement und sah natürlich aus wie aus dem Ei gepellt. Karin eben, eigentlich sogar eine Super-Karin. Ich hatte mir das Programm vorher nicht durchgelesen, leider, so hatte ich keine Ahnung, dass sie da sein würde. Eine Vorwarnung wäre schon nicht schlecht gewesen.

      „Du musst mich unbedingt besuchen kommen!“, hatte sie gesagt, „keine Widerrede, liebe Doris, wir haben uns bestimmt viel zu erzählen!“ Und natürlich habe ich nicht nein sagen können. Karin war immer schon sehr überzeugend, und mir fiel kein vernünftiger Grund ein, wie ich dieser Einladung hätte entgehen können, zumal sie nur eine halbe Stunde Autofahrt entfernt von uns lebt.

      Gut, ich hätte sie auch zu uns bitten können, aber da hätte ich doch gerne vorher die Wohnung gründlich durchgeputzt und aufgeräumt, unsere Wohn-Provisorien (immer noch keine Arbeitsplatte in der Küche, dabei sind wir vor zwei Jahren eingezogen) elegant gelöst und am besten noch den Sperrmüll bestellt. Für all das habe ich aber gerade keine Zeit, und eigentlich fühlen wir uns wohl in unseren vier Wänden, auch unsere Freunde finden es gemütlich bei uns. Aber Karin würde es sicherlich nicht gemütlich, sondern „kreativ“ nennen und mich mit diesem freundlich-nachsichtigen Gesichtsausdruck betrachten, den ich nur zu gut kenne. Damals in der Jugendgruppe hat sie mich auch immer so angesehen, wenn sie nach einem perfekten Referat auch noch den Tee einschenkte und ich aus Versehen die Tasse umstieß.

      Karin wohnt in einer gepflegten Vorortsiedlung, kleine, adrette Reihenhäuser mit kleinen, adretten Gärten, an ihrer Tür hängt ganz saisongemäß ein herbstlicher Kranz in Orangetönen, auf der Fußmatte steht „Willkommen“.

      Ich schelle, es klingt wie ein sanfter Gong und dann wird mir auch schon die Tür geöffnet. Vor mir steht ein junges Mädchen, das ist also Thea. Thea ist zwei Monate älter als Paula, ihr Bruder Tim drei Jahre jünger, also fast der gleiche Abstand wie zwischen Paula und Sebastian.

      Karin hat kurz über die Erfolge ihrer Kinder berichtet, und als sie den Vorschlag machte, ich solle meine doch mitbringen, damit die vier sich anfreunden könnten, habe ich schnell ein paar Schultermine vorgeschoben, zumindest das konnte ich für meine Lieben tun – es reicht, wenn sich eine von uns dieser geballten Perfektion stellen muss. Und Thea ist perfekt, das muss ich ehrlicherweise zugeben. Groß ist sie, schlank, hat sanfte Augen, wunderschöne dunkelbraune Haare, eine samtene Pfirsichhaut und lange Finger. Sie lächelt freundlich und unbefangen, zeigt aber gleichzeitig einen gewissen Respekt vor mir als Erwachsenen, nimmt mir formvollendet den Mantel ab, führt mich ins Wohnzimmer. Dort werde ich von Karin herzlich begrüßt.

      „Wie schön, dass du da bist! Und nur zehn Minuten später als angekündigt.“

      Ich murmele etwas vom Verkehr, aber Karin hat schon wieder dieses nachsichtige Lächeln im Gesicht und ruft mit angenehmer Stimme Richtung Küche: „Thea, Liebes, machst du uns jetzt den Kaffee?“, und mit einem Blick auf mich: „Ich dachte, wir brühen ihn lieber ganz frisch auf, ich wusste ja nicht, wann du genau eintriffst.“

      Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, und sehe mich daher lieber demonstrativ im Wohnzimmer um.

      „Schön habt ihr‘s hier“, sage ich, und das meine ich auch. Das Zimmer ist sehr groß, mit einer Fensterfront zur Terrasse und zum Garten hin, einer gemütlichen Couchgarnitur, die Teppiche sind geschmackvoll und waren sicherlich teuer. Links steht ein schwarzes Klavier, rechts ein schöner langer Esstisch, und es gibt tatsächlich auch einen offenen Kamin, in dem ein kleines Feuer flackert. Gerade jetzt öffnet sich die Terrassentür und ein Junge, gefolgt von einem schwarzweißem Bordercollie, kommt herein, streift sich die Schuhe ab. Er trägt einen Eimer mit Holzscheiten, stellt ihn aber sofort vorsichtig hin und kommt auf mich zu. Der Hund hat sich brav direkt auf die Fußmatte gesetzt und guckt seinem Herrchen hingebungsvoll hinterher.

      „Hallo, ich bin Tim“, sagt der Junge und strahlt mich an. Schöne Zähne hat er, überhaupt ein sehr hübscher Bengel, dieser Tim, und so höflich. Basti kriegt ja kaum den Kiefer auseinander, wenn wir Besuch haben.

      „Ich gebe Ihnen nicht die Hand, ich bin etwas schmutzig“, und an Karin gewandt: „Ich habe noch etwas Holz gehackt, Mama, dann habt ihr es schön warm.“

      „Danke, mein Schatz. Du kannst dir gleich etwas Kuchen in der Küche holen.“

      „Mach ich, aber erst muss ich mit Rolli Apportieren üben.“

      Und schon ist er wieder aus der Tür, der Hund saust fröhlich hinterher.

      „Ein richtiger Junge eben“, sagt Karin zufrieden und schmunzelt. „Und er kümmert sich wundervoll um den Hund. Wir haben Rolli vom Tierschutz, ,Bordercollies in Not‘, es gibt ja so viele verantwortungslose Menschen, die sich einen Modehund holen und dann gar nicht mit ihm klarkommen. Bordercollies müssen etwas zu tun haben, da ist Tim genau der Richtige. Sie machen Agility-Training zusammen, dem Hund macht es Spaß und der Junge ist an der frischen Luft. Sie haben schon etliche Wettbewerbe gewonnen.“

      Frische Luft, die würde Basti auch mal guttun. Was haben die Kinder gebettelt, dass wir einen Hund bekommen, und nun bin ich meistens diejenige, die die Runden mit Tinka dreht. Tinka ist allerdings nicht besonders schlau, sie würde niemals einen Stock apportieren. Obwohl, vielleicht spricht ja gerade das für ihre Klugheit.

      „Hat er denn dafür Zeit?“, frage ich und werfe einen Blick auf die vielen Pokale, die auf dem Kaminsims stehen. „Du sagtest doch, er sei so aktiv im Tennis.“

      „Sicher, das ist gar kein Problem.“

      „Und die Schule?“

      „Die geht natürlich vor, aber da müssen wir uns Gott sei Dank keine Sorgen machen. Bei beiden nicht, Thea hat jetzt sogar ein Vollstipendium gewonnen und wird nächsten Winter ein Auslandsjahr in den USA beginnen. Wie möchtest du deinen Kaffee?“

      Wir haben uns hingesetzt, Karin gibt mir ein Stück Sachertorte auf den Teller („Ich habe das Rezept noch etwas verfeinert“) und gießt mir den Kaffee ein. Ich überlege, dass wir endlich einmal unser altes, ramponiertes Kaffeeservice ausrangieren und uns ein neues anschaffen sollten.

      „Wie geht es Gerd?“, frage ich. Ich habe Theas Mann vor einigen Jahren flüchtig kennengelernt.

      „Ach, er ist gerade wieder befördert worden. Er trägt eine ziemlich große Verantwortung und arbeitet natürlich zu viel. Dadurch kann er nur noch selten in der Gemeinde predigen.“

      Sie lächelt bedauernd.

      „Aber ich will mich nicht beklagen, er ist ein wunderbarer Ehemann und Vater. Er ruft täglich an und sagt mir immer genau Bescheid, wann er zu Hause eintrifft, damit ich das Essen vorbereiten und mich hübsch machen kann.“ Nun wirkt sie fast etwas kokett.

      „Bist du denn abends nicht oft unterwegs?“ In dem Programmheft zum Frauentag hatte ich nachgelesen, dass Karin eine gefragte Rednerin sei.

      „Ach, das ist kein Problem. Natürlich, seit mein Buch über Zeitmanagement erschienen ist und ich auch noch im Fernstudium meinen Bachelor in BWL gemacht habe, bin ich als Referentin viel unterwegs. Aber Männer sind ja auch nicht mehr so hilflos wie früher, Gerd ist im Notfall durchaus in der Lage, sich selbst zu versorgen. Meistens habe ich aber etwas vorbereitet oder Thea kocht für die Männer, das macht ihr große Freude. Es geht ja auch eher ums Prinzip, der arme Mann soll abends nicht Tiefkühlpizza essen müssen, das ist ungesund.“ Sie lacht. Tiefkühlpizza, nein, so etwas Absurdes! Die gibt es bei uns oft. Geht halt schnell. Noch leben wir.

      „Doris?“ Thea steht lächelnd in der Tür. „Würden Sie gerne etwas Musik im Hintergrund hören?“

      Kompliment, die Sache mit der persönlichen Anrede hat sie geschickt gemeistert – das ist ja bei Teenagern immer problematisch, als Kinder wurden andere Mütter einfach geduzt, als Teenager dagegen ist ein Du zu persönlich und ein „Frau Lütke“ zu distanziert.


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