Briefe aus der Ferne. Группа авторов
Kommunikationstechnologien haben menschliche Produktionsarbeit in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern in nie da gewesenem Umfang unnötig gemacht. Weil es dem Kapitalismus nicht gelingen kann und er kein Interesse daran hat, die verbleibende Arbeit gleichmäßig zu verteilen, wurde die Massenarbeitslosigkeit ein unlösbares Problem.
3. Die Zahl der Träger des Klassenkompromisses auf Seiten der Arbeit und damit ihr politisches Gewicht in Gestalt der Gewerkschaften sinkt durch die galoppierende Rationalisierung. Die soziale Basis schrumpft. Dies wird dadurch verstärkt, dass sich die Tätigkeiten der Menschen aus der unmittelbaren Produktion in die Bereiche der Entwicklung und Steuerung, hin zum Überwachen, Vorbereiten, Planen, Verkaufen, Transportieren … verlagern, in sogenannte Dienstleistungstätigkeiten. Viele dieser produktionsnahen Dienstleistungen werden »outgesourct«.
4. Des Weiteren empfanden Emanzipationsbestrebungen vor allem von Frauen, aber auch von Jugendlichen, Homosexuellen und Transidenten den fordistischen Wohlfahrtsstaat als Gefängnis und setzten die Überwindung der Unterordnung und der Rollenzuweisungen auf die Tagesordnung. Frauen sind massenhaft auf den Arbeitsmarkt gedrängt. Der gegenwärtige Demografieknick, über den so ausgiebig gejammert wird, ist Ausdruck der Krise des fordistischen Systems, der Überlebtheit der Ernährerfamilie.
5. Die chronische Unterbezahlung der weiblichen Erwerbsarbeit war zwar immer Grund für linke Kritik, aber Linke und Gewerkschaften haben nie Strategien und Kampfkraft für ihre Überwindung entwickelt. So weckt sie neoliberale Begehrlichkeiten. Denn Frauen bringen nicht nur neue und interessante Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale mit auf den Arbeitsmarkt, sondern auch den Gender-Lohnabschlag.
6. Und zuletzt wird die Endlichkeit der Ressourcen und die Energieknappheit das zentrale Moment des Fordismus, den Massenkonsum, in Frage stellen. Der Linken insgesamt fehlt diese Analyse, sie nimmt sie nicht zur Kenntnis, sie ignoriert sie. Und das ist kein Zufall. Wichtige soziale Basis der neuen Partei DIE LINKE (nicht unbedingt der alten PDS), eingebracht vor allem durch die WASG, sind gerade die Träger des fordistischen Klassenkompromisses auf der Seite der Arbeit. Sie hatten Vorteile nicht nur durch ihre höheren Löhne, sondern auch durch die Bequemlichkeiten einer Versorgerehe, die die finanzielle Versorgung zwar ihnen auferlegte, die praktische aber ihren Ehefrauen. Ihr Teil war die finanzielle Unabhängigkeit, der ihrer Frauen die Abhängigkeit. Ihnen wurde eine Machtposition in der Familie zuteil, Grundlage für jene Verachtung, die einige den Frauen entgegenbringen. Sie hatten Freiraum für Engagement in der Gesellschaft, der Politik, dem Verein, denn sie waren von Familienpflichten weitgehend freigestellt. All diese Vorteile wollen sie keinesfalls aufgeben, all diese Vorteile verteidigen sie auch mit ihrem Kampf gegen die Rente mit 67, der sich um Altersarmut von Frauen ja gar nicht kümmert. Jener westdeutsche Aufstand, der sich in der WASG-Gründung manifestierte, fußte auf einem Verarmungsschub der männlichen Arbeiter. Arme Frauen, arme Mütter, arme Witwen haben jahrzehntelang nicht ausgereicht. Erst der in die Hartz-IV-Armut abrutschende, 30 Jahre lang malochende Arbeiter machte ein Gerechtigkeitsproblem sichtbar, nicht die sich zwischen Arbeit, Kindererziehung und Geldmangel aufreibende, schon immer arme alleinerziehende Frau.
Das Festhalten der Partei DIE LINKE an der Verteidigung des fordistischen Klassenkompromisses, das Festhalten an der Nicht-Analyse, die Verweigerung einer Strategie, die sowohl den Neoliberalismus als auch den alten Wohlfahrtsstaat überwindet, bietet jenen Kräften eine Basis, die in den Gruppen, im Kreisverband und im Land ihren alten »Herr-im-Hause-Standpunkt« vertreten, den ihnen der alte Wohlfahrtsstaat zubilligte. Dieser »Herr-im-Hause-Standpunkt« gebiert immer wieder neu antiemanzipatorische Positionen und Verhaltensweisen. Er ist Emanzipation insgesamt abgeneigt. Er ist der Schöpfer aller autoritären Wege der Arbeiterbewegung seit ihrem Bestehen.12
Das Festhalten am fordistischen Klassenkompromiss, den die Kapitalseite längst aufgekündigt hat und den auch die eigene Ehefrau kritisiert, erklärt auch die Gleichgültigkeit gegenüber den schlechten Ergebnissen der Partei DIE LINKE bei den Wählerinnen. Es erklärt, warum bei allen Programmentwürfen mit Mühe und Not noch die feministische Petersilie untergebracht werden kann, aber eine durchgehende Berücksichtigung der Geschlechterverhältnisse in der Programmatik nicht nur nicht verstanden, sondern eben auch abgelehnt wird. Es erklärt, warum das Erziehungsgehalt, das Christa Müller in die Diskussion brachte, als sozialer Fortschritt gesehen werden kann, aber der emanzipatorische Rückschritt nicht. Es erklärt, warum dies auch von Oskar Lafontaine so gesehen wird. Sein Populismus ist Interessenvertretung. Insofern haben wir es mit einer Linken zu tun, die, wenn sie nicht lernt, feministisch zu werden, nicht links wird.
Judith Butler
Berkeley, USA
Dr. Judith Butler, Professorin für Rhetorik und vergleichende Literaturwissenschaft an der European Graduate School in Saas-Fee, Schweiz, und an der University of California, Berkeley, USA.
Literaturhinweise: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 2003; Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, Frankfurt/M. 2009; Raster des Krieges, Frankfurt/M. 2010.
In Prozesse der Prekarisierung13 eingreifen
Das Linkssein ist immer das, was neu zu durchdenken ist. Demnach ist das neue Durchdenken Teil dessen, was es heißt, links und in der Linken zu sein. Ich denke dazu: Es ist zwingend erforderlich, die Prozesse der Minderheitenbildung im Licht der gegenwärtigen Kriege in Afghanistan und im Irak und der israelischen Angriffe auf die palästinensische Bevölkerung neu zu durchdenken und zu verstehen, wie diese Kriege die politische Diskussion über Einwanderung, den Status des Rechts, die Moral der Folter sowie über Sexualpolitiken und auch den Feminismus in Europa und den USA strukturieren. Dabei gehe ich davon aus, dass Denkmuster weithin akzeptiert worden sind, die Minderheiten gegeneinander ausspielen und die in der Linken das Gefühl einer Ausweglosigkeit erzeugen. Ich behaupte, dass die Linke dadurch gestärkt wird, dass sie ihre kritische Aufmerksamkeit auf den Staat, insbesondere auf staatlichen Zwang richtet und auf die Macht staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen, über Fragen der Staatsbürgerschaft zu entscheiden und damit darüber, welche Art Leben als berechtigt zu betrachten ist und welche nicht.
Dazu gehört das Begreifen, weshalb und in welcher Weise bestimmte Teile der Bevölkerung in Bedingungen ernster Prekarität geworfen werden, und die Suche nach Analysen und Bündnissen, die uns über die gewohnten Konzepte von Multikulturalismus und Identitätspolitik hinausbringen. Ich möchte des Weiteren behaupten, dass Bündnisse, um lebendig, einschließend und zielgerichtet zu bleiben, innere Antagonismen, den offenen Streit über Glauben und Praxis bejahen können müssen. Das wird meines Erachtens möglich, wenn die Linke sich auf staatliche Gewalt, staatlichen Zwang und die verschiedenen Formen radikal ungleicher Verteilung der Prekarität auf unterschiedliche Teile der Bevölkerung konzentriert. Minderheitenbildung ist ein Prozess, der auf sehr spezielle Weisen funktioniert, aber er bringt Bedingungen für Bündnisse hervor, insbesondere wenn überkommene Bezugssysteme im Dienst einer Kritik zunichtegemacht werden, die sich auf die Verknüpfung der gegenwärtigen Kriege mit den selbstverständlichen politischen Denkformen konzentriert.
Über Bündnisse nachzudenken ist nicht einfach, und Bündnisse selbst sind nichts Einfaches. Manche glauben, wir müssten lediglich den Diskurs über Rechte stärken und Verbands- und Gruppenrechte durchsetzen. Einige haben für Verbandsrechte lokaler religiöser Gemeinschaften plädiert, mit der Begründung, dass der Entzug solcher Rechte zur Entmündigung solcher Gemeinschaften führe oder sogar zu ihrer Entwurzelung (Woodhead 2008). Natürlich müsste ein solches Projekt in der Lage sein, Gemeinschaften örtlich festzulegen, und sie als stabile und selbständige Einheiten behandeln, was zu komplizierten Entscheidungen darüber führen würde, wie sich Gruppenzugehörigkeit bestimmt. Der Vorteil eines solchen Ansatzes ist zwar, dass er einen gewissen Individualismus durch die Vorstellung von Gruppenrechten ergänzt, die Beschränkung liegt aber darin, dass die »Gruppe« oder die »Gemeinschaft« als einheitliches Subjekt wirkt, wo doch gerade jetzt neue gesellschaftliche Formationen erfordern, dass wir über solche mutmaßlichen Einheiten hinaus oder gegen sie denken.
Die Strategie, ein Bündniskonzept von Staatsbürgerschaft wie auch von Verbandsrechten zu entwickeln, mag der Ausweitung bestehender