Der Akron Tarot. Akron Frey
Die Priesterinnen der Weißen Göttin
Was schlagt Ihr da für wortgewandte Haken, verletzend-spöttischer Fürsprecher männlicher Abgründe, wenn Ihr in einem ergreifenden Plädoyer für die Weiße Göttin die Hohepriesterin einerseits als Ursprung, doch im gleichen Atemzug als ein aus dem Willen des Magiers entstandenes Bild erklärt? Mit Sicherheit entstand die Hohepriesterin im Tarot als die vom Magier abgespaltene andere Hälfte, die er zu einem Bild formte - weiblich, weil er männlich ist, und passiv, weil er sich auf altmodisch dualistische Weise als aktiv darstellt. Aber das ist nicht die unsichtbare Göttin! Es ist eine Ahnung dessen, was ihm fehlt, eine schwache Erinnerung an das, was sich jenseits seines Bewusstseins befindet, denn es ist der Magier allein, der die Dualität erschaffen hat, nicht die Göttin oder die Hohepriesterin. Sie auf die Zahl zwei zu setzen und zur Herrin der Dualität zu machen, wie das in so vielen populären Kartenspielen der Fall ist, ist ein Trugschluss - es sei denn, man nimmt den Standpunkt des Magiers ein: Dann kann die Hohepriesterin nichts anderes sein! Der Magier setzt das von ihm ersonnene Bild in diese Prägung. Aus der Sicht von uns Priesterinnen, die wir der Weißen Göttin nahe stehen, ist sie keine Repräsentantin der unsichtbaren Welt - sie ist die Welt selbst! Und das, was der Magier als passiv definiert, beinhaltet in Wahrheit jegliche Form und Richtung von Energie, die nur möglich ist. Wir erfahren dies auf unseren Reisen zu ihr und wir wissen auch, dass das, was wir in der Lage sind, aus unseren Erfahrungen in der unsichtbaren Welt mit zurück auf die Erde zu nehmen, nur ein Bruchteil dessen ist, was dort existiert - eben das, was wir wahrzunehmen gelernt haben. Somit müsste sie im Tarot in Wahrheit vor dem Magier stehen, und zwar als (hermaphroditisches) Imago der unsichtbaren Welt, aus dem der Magier sich löst und sich aufgrund dessen mit dem ihm eigenen, unerschütterlichen Selbstvertrauen des Nicht-Wissenden für den Initiator aller Bewegung und Zeugung hält. Und wer hat gesagt, dass er sich löst und nicht die Göttin selbst ihn auf große Fahrt schickt, da sie schon lange zuvor sein Schicksal auf dem großen Spinnrad des Lebens gesponnen und verwoben hat?
Akronos als Advocatus Diaboli
Im Grunde drückt die Karte das unbewusste Wissen der Seele aus, liebe Priesterinnen, deren Assoziationsgeflechte strickmusterförmig im Unbewussten aufgespannt sind und aus deren Netzen der Mensch seine individuellen Erinnerungsfäden herausziehen kann. Durch die duale Sicht stellt sich ihre Energie als Vision oder zukünftige Vergangenheit dar, d. h. entweder als vergessenes Ereignis, das im Dunkeln wirkt, bis es sich wieder in die Gegenwart drängt, oder als psychisch mögliche, aber noch unerlebte Wirklichkeit, die der Mensch als unbewusste Option in den Tiefen der Seele eingelagert hat und die er bruchstückweise in den Träumen oder in visionären Zuständen erfährt. Trotzdem kann man nicht sagen, auch wenn ich euch damit möglicherweise erzürne, dass sie ein nicht zu entschlüsselndes Mysterium darstellt, nur weil sie sich mit den Werkzeugen des Bewusstseins nicht völlig ausloten lässt. Man kann sich der Struktur ihres Wirkens mental zumindest annähern, wenn man Mechanismen in der Tiefe der Seele grundlegend erfassen will, und man kann sich kontemplativ in die Dimension ihres Wesens hineinfallen lassen, um die Wünsche und Ziele im Unbewussten erahnen zu lernen, die sich dem Zugriff des Verstandes entziehen. Die Hohepriesterin bündelt auf der unbewussten Ebene unsere Absichten zusammen, deren Ausformungen wir nach ihrer materiellen oder energetischen Verdichtung irgendwann als Haus, Weltreise oder Managerposten wahrnehmen können. Die (zukünftige) Realität führt über die Absicht und Aufmerksamkeit dieser Karte: Sie versinnbildlicht die tief in der Seele schlummernden Kräfte, die sich im Leben zu den Zielen und Absichten formen, die der Mensch in seinem Alltag zu verwirklichen sucht. Anders herum gesagt erschafft und verändert sie unsere Wirklichkeit, weil sie uns in den unergründlichen Kammern der Seele die Wünsche vorträumt, die wir später in der Realität zu verwirklichen suchen. Sie streut pränatale Assoziationen oder kollektive Symbole in unsere Träume ein, die uns wie Anker zu den betreffenden Stellen im Unbewussten fuhren und deren Erkenntnisse wir wie Blitzlichter visualisiert bekommen, und sie bildet in unserem Bewusstsein die Gefäße aus, durch die wir plasmatische Gebilde als Objekte wahrnehmen und nutzen können. Nichts, was wir aus der Tiefe fischen, kann außerhalb dieser bewusstseinsformatierten Hirnkassetten Gestalt annehmen, und deshalb ist jedes Objekt schon lange vor seiner Materialisation im Fluid um der Hohepriesterin vorhanden. Beispielsweise ist die Ferienwohnung mit Blick auf den See (Herrscher), die wir in zehn Jahren bewohnen, heute noch gar nicht gebaut - aber der Wunsch nach der Traumwohnung (Hohepriesterin) verdichtet sich durch die Aufmerksamkeit der Herrscherin peu à peu in der Realität1. In dieser Karte verbergen sich alle potenziellen Wünsche und Hoffnungen in Form psychischer Energie, und die Hohe Göttin ist die Moderatorin, die die Visionen aus der Tiefe der Seele in die zukünftigen Behälter der Wirklichkeit leitet.
Deutungen
Allgemein
Die Hohepriesterin ist die geheimnisvolle Seite des Magiers, die in der Dualität die Dunkelkammer der Bewusstheit - das Unbewusste - repräsentiert. Sie ist die Erinnerung an seine verlorene Einheit, das innere Sehnen nach dem Paradies, das er auf sie projiziert. Und obwohl es ihm schwer fällt, sie überhaupt zu spüren, so fühlt er zumindest eine starke Sehnsucht nach ihr. Selbst wenn er sie ahnen könnte, wäre er nicht in der Lage, sie ganz zu erfassen, denn sie ist diejenige, die sein Wirken aus dem Verborgenen dirigiert, indem sie aus den dunklen Nischen und Verflechtungen des Seelenraumes, in welchem der Magier in einer kleinen, hellen Flamme das Bewusstsein gepflanzt hat, Impulse und Träume an die Oberfläche schickt, die er verwirklichen kann. Sie ist die Spinnerin der Schicksalsnetze, die sie im Verborgenen webt, zwischen deren Maschen sie uns immer wieder Botschaften an die Bewusstseinsschwelle des täglichen Lebens schickt. Sobald sie sich im Alltag bemerkbar macht, geht es um die Seele, die Gefühlswelt und die Intuition. Ihre Medialität ist in unserer hektischen Gesellschaft nicht immer einfach zu leben, denn sie braucht die Stille, die innere Einkehr und den intensiven Kontakt zu sich selbst, um sich entfalten zu können. Sie braucht auch die Offenheit. In Zeiten, in denen wir diese Karte ziehen oder der Energie der Hohepriesterin besonders nahe sind, sind wir sehr empfänglich fürihre, unsere innere Stimme. Sind wir nicht bereit, in die Blackbox zu gucken und uns auf unsere tieferen Schichten der Seele und die Botschaften, die sie uns in unser Bewusstsein schickt, einzulassen, dann werden wir ihre Mitteilungen im Alltag kaum zu hören bekommen. Es ist die Stimme, die uns die Wahrheit zuflüstert über die Menschen, denen wir begegnen, auch wenn wir mit unserem Verstand keinen Grund erkennen können, warum wir bei der einen Person sofort Misstrauen und bei der anderen Person Liebe empfinden. Es ist ihre Stimme, die uns im Alltäglichen rät, ein Regencape zum geplanten Ausflug mitzunehmen, obwohl die Sonne scheint, denn sie weiß schon, dass es Regen gibt. Und es ist auch die Stimme, die uns aus vollem Herzen ein Ja oder ein Nein zu einer Entscheidung fühlen lässt, ganz egal, wie viel Vernunftgründe etwas anderes raten. Außerdem haben wir Déjà-vu-Erlebnisse und Vorahnungen und unsere nächtlichen Träume sind ebenso intensiv wie die Sehnsüchte, die wir in unseren Tagträumen erleben. Es sind alles Botschaften, die uns unsere Seele sendet, um uns unseren Weg zu zeigen. Die Bewegung findet dabei im Inneren statt und wird im Außen erst sichtbar, wenn wir sie mit Hilfe des Magiers losschicken und mit der Herrscherin ins Leben gebären. Die Hohepriesterin verkörpert somit eine Art »aktive Passivität«. Ihre Aktivität geschieht in dem Bereich, den wir mit unseren fünf Sinnen nur unvollständig wahrnehmen können. Dafür ist sie unser sechster Sinn.
Beruf und Finanzen
Die Göttin weiß den richtigen Zeitpunkt, um ein Projekt zu beginnen oder eine Veränderung im Berufsleben zu bewirken, aber sie braucht die Hilfe anderer Karten, um diese Neuerungen im Leben sichtbar zu machen. Im normalen, hektischen Alltag, in dem wir funktionieren müssen, hat ihre zyklische, weibliche Energie zumeist nicht viel Raum, es sei denn, wir üben einen künstlerischen, therapeutischen oder spirituellen Beruf aus. Dennoch können wir sie in allen Arbeitsbereichen leben. Zum Beispiel, indem wir unsere Intuition benutzen, um zu erspüren, was uns der Chef zwischen den Zeilen sagen will. Oder indem wir auf unsere innere Warnleuchte hören, die uns mit einem schlechten Gefühl und dem Impuls, das Projekt noch einmal genau zu überdenken, darauf aufmerksam macht, dass unserem mentalen Überwacher ein gravierender Fehler entgangen ist. Mit dieser Karte