Das große Littlejohn-Kompendium. John Martin Littlejohn
ist das bedingt durch die Wirkung der erhöhten Temperatur auf die großen Nervenzentren im Gehirn, teils aber auch durch die sedierende Wirkung im System verbliebener, in die Gehirnzirkulation gelangter toxischer Elemente auf diese Zentren. Bei einigen Fieberarten wie etwa Scharlachfieber tritt das Gegenteil ein, das heißt: Die Nervenzentren sind exzessiv stimuliert, was zu einem starken Herz- und Pulsschlag, rhythmischen muskulären Kontraktionen und gefährlichen Delirium-Formen führt. In der Mehrzahl der Fälle ist die Temperatur sehr hoch und die Haut gerötet. Sobald die Gehirnzentren erschöpft sind, neigt der Patient dazu, in einen komatösen Zustand zurückzufallen, und dem Koma können sogar Gehirnspasmen vorausgehen. Bedingt ist das zweifellos durch ein toxisches Element, welches in Kombination mit der gestiegenen Temperatur die Wärmeregulation sowie jene Funktionen stört, die speziell mit dem thermotaktischen Mechanismus verbunden sind.
Es ist klar, dass Fieber nicht nur eine erhöhte Temperatur bezeichnet, sondern vielmehr einen systemischen Zustand, erkennbar am Temperaturanstieg, an der Zunahme kardialer und arterieller Pulsaktivität, an einem verstärkten katabolischen Gewebestoffwechsel sowie an einer aus der Ordnung geratenen Sekretion. All diese Zeichen oder Symptome hängen von der Unordnung des Wärmeregulationsmechanismus und anderer funktioneller Zentren des Körperprozesses ab, die durch entzündliche, traumatische oder septische Einflüsse bzw. deren Produkte hervorgerufen werden. Auf welche Weise auch immer, ins Blut gelangte septische oder toxische Stoffe sind die Hauptursachen von Fieberzuständen. Bei der Verzögerung des Blutflusses gerät das Blut schließlich in einen statischen Zustand, das dynamische Prinzip geht verloren und das Blut devitalisiert und wird toxisch. So eine Stase als Ergebnis einer Verletzung, einer mechanischen Läsion oder einer Störung der vasomotorischen Einflüsse, die den Blutfluss regulieren, kann lokal oder generalisiert auftreten. Handelt es sich um eine leichte Form eines solchen Zustands, mag die Vitalität noch ausreichen, um ihn zu überwinden, sodass sich kein Fieberzustand entwickeln kann. Genügt jedoch die Störung, um die Funktion derart zu verändern, dass es zu einer Stase kommt oder auf reflektorischem Weg die kardialen, respiratorischen, sekretorischen oder metabolischen Funktionen verändert werden, dann gelangen toxische Elemente ins Blut und durch den Blutkreislauf zu den Gehirnzentren. Der Blutdruck verändert sich und die Blutverteilung gerät durcheinander, sodass die oberflächlichen und kleineren Gefäße dilatieren und größeres Quantum erhalten als normal. Die Dilatation dieser Oberflächengefäße impliziert einen inhibierenden Einfluss auf die kontraktile Funktion, sodass die elastische Tendenz der Fasern in diesen Oberflächengefäßen von der Tendenz zu dilatieren überwältigt wird, was zu einer Hyperämie an der Oberfläche führt. Daraus entstehen eine lokale Stauung und ein Verlust an Vasotonizität, was wiederum ihrerseits die gesamte Zirkulation, das Nervensystem und die davon abhängigen Funktionen betrifft. Das Ausmaß dieser Störungen wird dann abhängig von der Differenzialdiagnose der verschiedenen Fiebertypen bestimmt.
Ist der Temperaturanstieg physiologisch oder pathologisch? Ich glaube, er ist physiologisch. Leben ist der Kampf um Existenz. Wird der Körper durch Krankheit, Trauma usf. in Erregung versetzt, gerät der normale Wärmeregulationsmechanismus in Unordnung – und zwar durch den Versuch, toxische Stoffe auszuscheiden. Bei normaler Gesundheit hält dieser thermotaktische Mechanismus die Körpertemperatur innerhalb normaler Grenzen, weil der menschliche Körper einen selbstregulierenden Mechanismus repräsentiert. Sobald jedoch toxische Elemente das Körpergleichgewicht zu stören beginnen, versucht der Körper, sich selbst auf dem höchstmöglichen Standard zu halten. Mithin kommt es von der physiologische Seite her zu einer Zunahme des Stoffwechsels. Ein Beweis für diesen Vorgang ist die Tatsache, dass man den Körper unter bestimmten Umständen an diese verstärkte Stoffwechselaktivität und die entsprechend erhöhte Temperatur anpassen und es ihm somit ermöglichen kann, die Krankheit innerhalb der Grenzen der Körpervitalität zu bekämpfen.
Die Temperatur kann jedoch pathologisch werden und eine exzessive Temperatur führt zu Wärmestarre. Todesursachen sind in diesem Fall die Koagulation der Muskelsubstanz und die exzessive Verstärkung des Stoffwechsels bis zum Punkt der Zerstörung, erkennbar an beschleunigtem Herzschlag, Dyspnoe und an den rapiden Veränderungen im Nervengewebe des Gehirns, die zu Koma, Bewusstseinsverlust sowie zum Verlust der Kontrolle über die Körperfunktionen im Allgemeinen führen. Unmittelbar nach der thermogenen Muskelstarre kann jede der z. B. im Blut oder am Herzen hervorgerufenen pathologischen Veränderungen zur Todesursache werden.
Ist Fieber physiologisch oder pathologisch? Es ist pathologisch, weil es die Summe einer Reihe von Zuständen darstellt, die erhöhte Temperatur, verstärkte Gewebedesintegration, beschleunigte Herztätigkeit oder verstärkte arterielle und sekretorische Aktivität mit einschließen. Miteinander kombiniert, bilden sie jene Summe an Kräften, die einer Integrität des Lebens und der vitalen Körperprozesse entgegenwirkt.
Im Lichte der Entdeckung thermogener und thermolytischer Zentren erscheint Fieber als pathologische Folge einer Reihe primärer und sekundärer Ursachen. Dazu gehören als primäre Ursachen u. a. Läsionen, Traumata, Behinderungen und als sekundäre Ursachen aktive Bakterien und ihre Produkte, wobei die giftige Substanz die Zentren zu vermehrter Aktivität stimuliert.72 Die Ergebnisse sind u. a. erhöhte Temperatur, beschleunigter Herzschlag, beschleunigte Atmung und beschleunigter Stoffwechsel. Experimente haben gezeigt, dass bakterielle Produkte künstlich Fieber erzeugen, wenn Gehirn und Rückenmark intakt bleiben. Ist dagegen das Gehirn hingegen abgetrennt, findet keine derartige künstliche Produktion statt. Bei künstlich hervorgerufenem Fieber zeigt sich sogar dann eine markante Erhöhung des respiratorischen Austausches von Sauerstoff und Kohlendioxid, wenn Anstrengungen unternommen werden, die Temperatur zu kontrollieren. Dies scheint zu beweisen, dass verstärkte Stoffwechselaktivität eines der Hauptphänomene bei Fieberzuständen bezeichnet.
Offenbar ist die erhöhte Temperatur also kein primärer Faktor im pathologischen Fieberzustand, sondern ein Symptom des verstärkten Stoffwechsels. Als solche repräsentiert sie den Versuch des Wärmeregulationsmechanismus, sich selbst zu schützen. Die Zunahme an Wärme entsteht dabei eher als ein Heilmittel, um die Bakterien oder ihre Produkte zu zerstören. Die günstigste Temperatur für die Keimentwicklung liegt etwas oberhalb der Körpertemperatur, bei 37,5° Celsius. Das Wachstum von Diphtherie- und Typhusfieberbazillen verzögert sich, sobald die Temperatur 38° Celsius übersteigt. Im Typhuskeim ist bei dieser Temperatur die Fermentation von Zuckersubstanzen unmöglich. Der Varizellen-Zoster-Keim kann durch den Einfluss einer Wärme von mehr als 39,4° Celsius zerstört werden. Pneumokokken schwächt eine Temperatur von 41° Celsius. In diesen Fällen stellt die Temperaturerhöhung also einen physiologischen Zustand oder den Versuch der Natur dar, sich gegen die Keimwirkung zu immunisieren.
Klemperer zufolge dient die erhöhte Temperatur aber noch einem anderen Zweck. Die Produkte der Bakterien oder der bakteriellen Aktivität haben auf die Gewebe einen immunisierenden Einfluss, der sich bei einer Temperatur von 40,5° Celsius verstärkt. In einer Reihe von Experimenten wurde das Serum von Tieren, die man durch künstliche Mittel immunisiert hatte, anderen Tieren mit einer Temperatur von 41° Celsius injiziert mit dem Ergebnis, dass die Temperatur innerhalb von 24 Stunden auf 37,5° Celsius sank. Demzufolge stellt die Pneumoniekrise jenen Punkt dar, an dem sich die von den Pneumokokken produzierten Toxine in solchen Mengen im Blutkreislauf befinden, dass sie in den Geweben Reaktionsprozesse auslösen, die ihrerseits genug antitoxische Stoffe erzeugen, um der Aktivität der Giftsubstanzen entgegenwirken zu können. Das Pneumotoxin oder das bakterielle Produkt ist die Ursache der Krankheit73 und erzeugt die erhöhte Temperatur. Das Antitoxin in Form einer in den Zellen gebildeten Proteinverbindung löst die Gegenwirkung gegen die Krankheit und die Reaktion zugunsten der Zerstörung der Pneumokokken aus. Dies zeigt, wie mir scheint, sehr deutlich, dass es möglich ist, durch reaktive, in den Gewebezellen – seien es nun Leukozyten oder tatsächliche Gewebezellen – bewirkte Veränderungen Immunität im Körpergewebe aufzubauen. In diesem Existenzkampf zwischen Bazillen und Gewebezellen wird die Produktion reaktiver Veränderungen, dank derer die Gewebezellen Proteine generieren, die wiederum die bakteriellen Gifte zerstören können, offenbar entscheidend von der Temperatur beeinflusst. Hier scheinen sich im Blutplasma bestimmte Substanzen zu befinden, welche die Bakterien, wenn sie mit ihnen in Kontakt kommen, lethargisch machen und in Verbindung mit den Produkten der Bakterien die von den Bazillen hervorgebrachten giftigen Substanzen neutralisieren.
Gelingt es der