Termonia. Renate Doms
die Alte.
Salenga fühlte sich mehr und mehr unwohl in Gegenwart dieser Zauberin, denn sie spürte die schwarze Magie, die durch Youlas Adern floss. Angst überkam die Kräuterfrau und schließlich brach sie ein. Keine Sekunde länger hätte sie diesem Blick standhalten können, und Youla wusste das sehr genau.
»Ja, du hast recht, ich weiß um Nemelist und auch was es beherbergt. Ich weiß aber auch, dass es besser für uns alle ist, dass das, was im Schloss aufbewahrt wird, an seinem angestammten Platz verbleibt. Oder willst du den Zorn der Elementare auf dich ziehen?«
»Lass die Elementare meine Sorge sein. Brau du mir nur einen Trank, der den Lauerfisch außer Gefecht setzt«, erwiderte die Zauberin.
Salenga beäugte Youla nun argwöhnisch. Trotz Furcht witterte sie ein großes Geschäft … Größer als alle Geschäfte, die sie je abgewickelt hatte. Hiernach würde sie sich zur Ruhe setzen können. Sie durfte jetzt nur keinen Fehler machen. Sie stand auf, ging ein paar Schritte auf Youla zu und reckte sich zu voller Größe, was nicht viel nützte, denn Youla überragte sie um einen ganzen Kopf.
Die hochgewachsene Zauberin schaute hochmütig auf das Kräuterweib herab.
Salenga räusperte sich. »Was springt für mich dabei heraus? Mit ein paar lumpigen Tibar wirst du meine Dienste für dieses Vorhaben nicht bekommen«, tönte sie und mühte sich, ihre Stimme fest und fordernd klingen zu lassen, was Youla jedoch kaum beeindruckte. Die halbherzige Forderung rang der Zauberin nur ein müdes Lächeln ab. Sie packte die Alte an ihrem Tuch, drängte sie in eine Ecke des Wagens und drückte sie gegen die mit Haken bestückte Wand. Knisternd zerbröselten die Kräuter in abertausend Stückchen und rieselten zu Boden. Der Geruch von Salbei, Melisse und Minze breitete sich aus. Die metallenen Spitzen der Haken drückten sich durch Salengas Kleid und stachen sie in den Rücken. Die Alte stöhnte auf.
»Ich denke nicht, dass du in der Position bist, Forderungen an mich zu richten«, gab Youla ihr unmissverständlich zu verstehen, dann ließ sie sie los. »Die Bedingungen unserer Geschäftsbeziehung stelle ich.«
Salenga sackte zusammen, japste nach Luft und kroch von Youla weg.
»Ich gebe dir genau zwei Tage Zeit, dann komme ich wieder und hole den Trank. Und lass dir ja nicht einfallen zu verschwinden. Ich werde dich aufspüren«, drohte Youla und verschwand in einer weißen Rauchwolke.
Zwei
Pläne
Das monotone Piepsen des Weckers holte Cathy Punkt 5 : 30 Uhr aus einem unruhigen Schlaf. Ohne sich groß aufzurichten, suchte sie mit ausgestrecktem Arm im Dämmerlicht nach der nervenden Uhr, um sie zum Schweigen zu bringen. Der Inhalt des Bechers, den sie tags zuvor auf dem Nachttisch abgestellt hatte, ergoss sich über ihrer linken Schulter. Nun schnellte Cathy hellwach empor.
»So ’n Mist«, wetterte sie und schlug ihre Bettdecke zurück. Sie verpasste dem Wecker, den sie aus Watford mitgebracht hatte und der noch immer nervtötend piepste, einen kräftigen Schlag und er verstummte augenblicklich. Es war noch dunkel und Cathy horchte in die Stille. Sie hoffte, dass ihre Großeltern nicht wach geworden waren, was bei dem Lärm, den der Wecker und ihr Gepolter veranstaltet hatten, sehr unwahrscheinlich war. Cathy sollte sich nicht täuschen, denn Sekunden später pochte es ganz sachte an ihrer Tür.
»Komm rein, ich bin wach«, rief sie leise und ihre Großmutter trat ins Zimmer. Unter ihrem langen gelben Nachthemd schauten lustige bunte Pantoffeln hervor.
Perl hatte eine große Stola um ihre Schultern gelegt. Ihr graues Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, der über ihrer Schulter hing.
»Was in Hedogs Namen veranstaltest du denn so früh schon hier drin?«, flüsterte Perl verschlafen.
»Entschuldige, ich wollte euch nicht aufwecken. Ich habe den Wasserbecher umgestoßen, als ich den blöden Knopf vom Wecker nicht gleich gefunden hatte. Jetzt ist mein Bett ganz nass.«
Perl entzündete die kleine Lampe an der Wand über der Waschschüssel, woraufhin sich ein gemütliches Licht in der kleinen Kammer ausbreitete.
»Wo willst du denn um diese Uhrzeit hin?«
»Ich wollte mit Annabelle und Finn zu Hesekiel. Wir wollen schauen, wie weit er mit dem magischen Spiegel ist.«
Perl schüttelte ungläubig ihren Kopf. »Magischer Spiegel. So ein Unfug und dann auch noch mitten in der Nacht, als ob das nicht bis zum Tagesanbruch Zeit hätte.« Perl schüttelte müde den Kopf. »Der alte Hesekiel schafft es aber auch immer wieder, euch Kinder in seinen Bann zu ziehen. Kein Wort glaub ich ihm. Ich geh Frühstück machen.«
»Nein, warte, Großmutter, das brauchst du nicht. Leg dich wieder hin. Ich komm schon allein zurecht«, beteuerte Cathy, doch Perl winkte nur ab.
»Soweit kommt es noch, ich bereite seit Jahrzehnten das Frühstück in diesem Haus und das wird sich nicht ändern«, erklärte Cathys Großmutter lächelnd und verschwand nach unten.
Nachdem Cathy sich gewaschen und angezogen hatte, fand sie sich in der Küche ein. Ihre Großmutter schüttete gerade heiße Milch in einen Becher und stellte ihn zu dem Topf Honig auf dem Tisch. »Bei aller Magie um diesen Spiegel, Cathy, vergiss nicht, dass du deine Mutter und Onkel Milo heute noch holen musst«, erinnerte Perl ihre Enkelin und schob ihr die Brötchen hinüber.
Cathy gab einen Löffel Honig in die Milch und begann zu rühren. »Keine Sorge, das vergess ich nicht, Großmutter.«
»Cathy, willst du dir das mit der Schule nicht doch noch einmal überlegen? Nicht, dass wir dich nicht sehr gern hier haben, aber ich habe doch Bedenken, ob das alles so richtig ist, was wir hier tun.« Nachdenklich füllte Perl einen weiteren Becher mit Milch und setzte sich an den Tisch.
»Keine Chance, du kannst aufhören, Großmutter. Ich geh nicht zurück. Ich werde Youla suchen und ich werde sie aufspüren. Sobald Hesekiel eine Möglichkeit gefunden hat, wie Mom und Onkel Milo ohne das Amulett zwischen Watford und Termonia hin und her reisen können, mache ich mich mit Finn und Annabelle auf den Weg.« Cathy war entschlossen und Perl wusste, dass daran nicht zu rütteln war.
»Aber wo wollt ihr eure Suche beginnen?«
»Zunächst werden wir uns nach einem weiteren Portal umsehen. Das am Brunnen ist ja leider nur im Winter zu sehen. Aber es gibt sicher noch andere. Wir müssen nur die Augen offen halten.« Voller Zuversicht schaute Cathy ihre Großmutter an. »Ich finde diese Hexe und bringe sie zur Strecke. Und wenn es das Letzte ist, was ich tun muss. Sie wird nicht ungestraft davonkommen, nicht solange ich das verhindern kann.« Cathy stopfte sich den letzten Bissen ihres Brötchens in den Mund und stand auf. Sie ging zu ihrer Großmutter hinüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Danke, du bist die Beste. Ich hab dich lieb. Muss jetzt los, Finn und Annabelle warten. Bis später.« Sie schlüpfte in ihre Jacke und die Schuhe, nahm den Bogen und die Pfeile und trat vor die Tür. Ein frischer Wind blies ihr um die Nase.
Cathy sog die Frische des Morgens in sich hinein. Es roch nach Frühling und sie liebte diesen Duft. Die ersten Frühlingsboten steckten ihre farbenfrohen Köpfe bereits aus der Erde und ein paar Vögel zwitscherten munter durcheinander. Cathy blickte zufrieden nach oben. Am Himmel über dem Berg zeichnete sich die Morgenröte ab.
»Hallo Frau Sonne, na, schälst du dich auch langsam aus deinem Bett?«, begrüßte Cathy den Tag, schloss ihre Jacke und überlegte kurz, ob sie den Weg zu Annabelles und Finns Haus zu Fuß oder durch die Luft beschreiten sollte. Sie entschied sich zu laufen. Obwohl sie das Fliegen in letzter Zeit für sich entdeckt hatte, ging sie auch gern zu Fuß. Sie liebte dieses Land und es fühlte sich an, als sei sie nie irgendwo anders gewesen.