Von der Südküste in das Fjordland: Norwegen, eine Reisebeschreibung. Rolf Schmidt
durch Felsen gehauen. In dem kleinen Dörfchen Ana Sira überquere ich auf einer sehr schmalen Stahlbrücke den Fluss Sireana. Mit der Auffahrt auf die Brücke verlasse ich die Provinz Vest-Agder. Als ich von der Brücke herunter fahre, bin ich in der Provinz Rogaland angekommen.
Am Jössingfjorden erreiche ich den mit 388 Metern höchsten Punkt der Straße. Hier komme ich nur hin, indem ich dem interessanten Verlauf der Reichsstraße 44 folge. Die Straße führt vom Ufer des Fjords durch Tunnel und sogar teilweise außen an einer Felswand entlang bis auf diese Höhe.
Straßenführung am Jössingfjorden
Es ist schon ein komisches Gefühl, dort außen entlang zu fahren. Rechts sind die senkrechten Felswände nach oben und links geht es fast senkrecht nach unten. Zum Glück ist die Straße aber breit genug, dass sich zwei Fahrzeuge mühelos begegnen können. So richtig kann ich es immer noch nicht glauben, dass ich mich hier im Süden von Norwegen befinde. Alles erinnert mehr an die Alpenregion in Italien oder Österreich. Die Reichsstraße 44 führt in Serpentinen durch gebirgige und felsige Gegenden.
Kurz vor dem höchsten Punkt der Straße weist ein Schild auf einen Aussichtspunkt hin. Natürlich muss ich mir auch mal die Gegend von oben ansehen. Ich stelle mein Auto auf dem kleinen Parkplatz ab und klettere auf den durch Geländer abgesicherten Felsen. Von hier aus habe ich einen wunderbaren Blick hinunter auf den Jössingfjorden. Leider ist es zurzeit sehr nebelig und so kann ich auch nicht weit auf das Meer sehen. Beim Gang zum Auto zurück komme ich an einer großen Hinweistafel vorbei. In mehreren Sprachen wird über die im Jahr 1940 in diesem Fjord durchgeführte Aktion der Alliierten zur Aufbringung eines deutschen Transportschiffes mit Kriegsgefangenen informiert. Diese Aktion hat zwischen den Norwegern und den Briten für einige Verstimmung gesorgt. Das deutsche Versorgungsschiff „Altmark“ wurde im Jössingfjorden am 16. Februar 1940 von dem britischen Zerstörer „HMS Cossack“ geentert. Dabei wurden 303 alliierte Matrosen, die zuvor in Kriegsgefangenschaft geraten waren, befreit und nach England gebracht. Diese ganze Aktion war nicht mit der norwegischen Armeeführung abgestimmt worden.
Nach weiteren rund 30 Kilometern komme ich nach Egersund. Die Stadt ist größer als Flekkefjord und hat etwa 13.700 Einwohner. Sie war bis zum Jahr 1979 das Zentrum der Porzellanindustrie in Norwegen. Mit dem Erreichen von Egersund habe ich auch den gebirgigen Teil der Strecke hinter mir. Von hier aus führt die Reichsstraße 44 jetzt durch die Landschaft Jären. Diese Strecke ist auf einer Länge von 41 Kilometern zwischen den Orten Ogna und Bora als „Nationale Touristenstraße Jären“ (nasjonale turistvegen) ausgewiesen. Sie ist genau das Gegenteil vom ersten Abschnitt meiner heutigen Tagesetappe. Sie führt nicht mehr durch Gebirge, sondern durch flaches Land. Leider ist die Straße aber nicht breiter geworden. Auf der rechten Seite meines Weges befinden sich kleinere Orte oder einzelne Gehöfte. Dazwischen sind immer öfter große Felder, aber auch Weideflächen. Linksseitig habe ich wieder die Nordsee im Blick. Leider regnet es jetzt so stark, dass es überhaupt keinen Sinn macht, auch nur für kurze Zeit irgendwo anzuhalten. Durch den dichten Nebel ist außerdem auch noch die Sicht erheblich eingeschränkt. Trotzdem kann ich bei meiner Fahrt immer wieder lange Sandstrände erkennen, die mich an südlichere Gefilde erinnern. Trotz dieser unangenehmen Witterungsverhältnisse möchte ich bald doch noch eine kleine Pause machen. Ich finde eine Raststätte, die direkt an der Straße liegt und von deren Parkplatz man bei schönem Wetter wahrscheinlich einen herrlichen Blick auf das Meer und den Strand hat. Aber heute kann ich das alles nur erahnen. Ich kaufe mir für 15 NOK einen Becher Kaffee und setze mich damit in mein Auto. Zur Stärkung esse ich dazu einen von Zuhause mitgebrachten Knacker. Der Nebel ist jetzt so stark, dass es nicht einmal sinnvoll ist, den Versuch zu unternehmen, um Fotos zu machen.
Nach einer halben Stunde fahre ich weiter. Ich muss jetzt nur noch einen Supermarkt finden, in dem ich mich mit Lebensmitteln für mein heutiges und morgiges Abendessen eindecken kann. Es wäre schön, wenn ich das noch während der Fahrt erledigen könnte. So bräuchte ich nicht durch Stavanger zu irren, sondern könnte mich gleich auf die Stadterkundung konzentrieren.
Ungefähr 30 Kilometer vor Stavanger erreiche ich den kleinen Ort Bryne. Direkt an der Umgehungsstraße steht ein riesiges Einkaufscenter. Also verlasse ich an einem Kreisverkehr die Reichsstraße 44 und fahre zum Markt. Auf dem Parkplatz ist jetzt am Sonnabendnachmittag so viel Betrieb, dass es sehr schwer ist, noch einen freien Platz zu finden. Nach langem Suchen sehe ich doch eine Lücke und stelle dort sofort mein Auto ab. Schnell gehe ich in das Center, da es wieder einmal regnet. Im Gebäude sind sehr viele Geschäfte und einige Supermärkte. In einem davon decke ich mich mit dem Notwendigen ein. Neben Brötchen und Wurst muss auch unbedingt der berühmte Jarlsberg-Käse dabei sein. Ein Sechserpack Limonade geht auch noch mit. Somit ist die Verpflegung für die nächsten zwei Abende gesichert. Bei meinem Gang durch das Center fällt mir auf, dass es in jeder Etage mehrere Spielplätze für die Kinder gibt. Bei einem kann man sogar die Kleinen abgeben und in aller Ruhe die Einkäufe erledigen. Eine Erzieherin beschäftigt sich in der Zwischenzeit mit den Kindern.
Auf dem Parkplatz verstaue ich schnell meine Einkäufe und fahre anschließend wieder zurück auf die Reichsstraße. Meine Fahrt geht jetzt an dem kleinen Ort Kleppe vorbei. In Sandnes endet die Reichsstraße 44 und ich erreiche wieder die Europastraße 39. Auf ihr werde ich jetzt bis nach Stavanger fahren. Unmittelbar in Sandnes beginnt auch die Reichsstraße 13, die dann ab übermorgen meine Fahrtstrecke durch das Fjordland sein wird. Bis zu meinem heutigen Zielhotel sind es nur etwa 20 Kilometer. Dann habe ich auch schon im dichten Sonnabendverkehr die Vororte der Stadt Stavanger erreicht. Die Europastraße ist seit geraumer Zeit als vierspurige Autobahn ausgebaut, auf der man aber nur 70 Stundenkilometer fahren darf. Nach dem Passieren einer engen Brückenbaustelle muss ich mich darauf konzentrieren, dass ich nicht den richtigen Weg verpasse. Aber die Verkehrsbeschilderung ist eindeutig und so folge ich ab der Abfahrt Ullandhaugsveien der Umgehungsstrecke der Europastraße 39. Mein Hotel liegt nämlich nicht im Stadtzentrum, sondern etwas außerhalb am See Mosvatnet in der Henrik-Ibsen-Gate. Da das „First Hotel Alstor“ direkt an der Straße liegt, ist es auch schnell gefunden. Nach einer Fahrtstrecke von 275 Kilometern stelle ich mein Auto auf dem hoteleigenen Parkplatz ab und bin nun in Stavanger angekommen.
Stavanger ist die viertgrößte Stadt Norwegens und hat rund 129.500 Einwohner, die vorrangig in der Ölindustrie, im Tourismus und in der Fischindustrie beschäftigt sind. Die Stadt liegt in der Provinz Rogaland. Sie wurde zwischen 1122 und 1125 gegründet. Im Jahr 1125 ist auch mit dem Bau der größten Sehenswürdigkeit der Stadt, des Doms (stavanger domkirke), begonnen worden. Noch heute ist die historische Altstadt von Stavanger (gamle stavanger), die ausschließlich aus Holzhäusern des 18. und 19. Jahrhunderts besteht, ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Stavanger hat sich von einer ehemals kleinen Industriestadt mit Fischkonservenproduktion zur größten Ölmetropole Norwegens entwickelt. Alle namhaften in- und ausländischen Ölfirmen haben in der Stadt ihre Niederlassungen.
In Stavanger wurde auch der bedeutende norwegische Schriftsteller und Autor Alexander Kielland (1849-1906) geboren. Schon zu seinen Lebzeiten gehörte er neben Ibsen, Björnson und Lie zu den „großen Vier“ der norwegischen Literatur des 19. Jahrhunderts.
Das Hotel macht einen viel besseren Eindruck als das gestrige in Mandal, das zur gleichen Gruppe gehört. Beladen mit Koffer und Fototasche mache ich mich auf den Weg vom Parkplatz ins Hotel. An der Rezeption gebe ich meinen Voucher für die heutige und morgige Übernachtung ab. Ein Blick in den Computer und ich erhalte die Schlüsselkarte und auch die Information, dass es von 7 bis 10 Uhr Frühstück im Restaurant gibt. Mein Zimmer befindet sich im zweiten Stock und hat einen kleinen Balkon, den ich aber wegen des andauernden Regens heute nicht nutzen kann. Nach dem Auspacken meiner Sachen probiere ich schon mal ganz kurz das Bett aus. Dabei muss ich doch wohl einfach eingeschlafen sein. Nach dieser kurzen Erholungspause mache ich erst einmal einen Rundgang durch das Hotel und erkunde so die Örtlichkeiten. Ich muss doch wissen, wo sich das Restaurant befindet. Dann brauche ich morgen nicht erst lange zu suchen.
Ich habe mir vorgenommen, noch heute die Stadt Stavanger zu erkunden. Nach dem Studium des Stadtplanes verwerfe ich aber meine eigentliche Idee, bis in das Zentrum zu laufen.