Ordo Templi Magica. Karin Bachmann
die er sich die Örtlichkeiten sehr gut eingeprägt hatte. Es gab mehrere Gänge, die von der großen Säulenhalle hinausführten, aber nur zwei, die nicht in einer Sackgasse endeten. Mehrmals schlich er um die Kirche St. Gereon herum, konnte aber keine Hinweise auf weitere Ausgänge finden.
Es war nun schon wieder eine Woche vergangen, es war Freitagabend, und er hatte nichts erreicht. Er hatte sich in mehreren Bars herumgetrieben, hatte unauffällig Gespräche belauscht, hatte versucht manche vielversprechende Person auszuhorchen, aber er war nicht wirklich weitergekommen. Doch kleinste Hinweise setzte er wie ein Puzzle zusammen und konnte so wenigstens den Bruder von Andreas Vater ausfindig machen. Er hoffte, durch ihn in die Bruderschaft eingeführt zu werden. Aber als er genauer nachbohrte, stellte sich heraus, der Bruder von Andreas Vater war nur ein ganz kleines Licht in der Ordensrangordnung, eher ein Diener, also keiner von den dreizehn Ranghöchsten.
An diesem Abend lag er wieder vor dem Eingang des Ordens auf der Lauer und wartete auf eine günstige Gelegenheit. Er wusste selbst nicht, was das sein könnte, doch dann, als er eine Stunde nutzlos in seinem Auto verbracht hatte, kam ihm ein Gedanke. Er würde einfach die Konfrontation suchen. Er kramte in seinem Kofferraum, er meinte sich erinnern zu können, dort letzte Woche noch eine Skimütze gesehen zu haben. Und tatsächlich, da war sie. Er schnitt sich zwei Löcher für die Augen frei und zog sie sich über sein Gesicht. Er schaute, dass er seine Taschenlampe, natürlich mit neuen Batterien, bei sich hatte, sie war winzig und passte in jede Hosentasche. Am liebsten hätte er sich bewaffnet, doch da machte er sich keine Hoffnungen, eine Waffe würde er sicher nicht an den Wachen vorbeischmuggeln können.
So schritt er selbstbewusst und zielstrebig auf den Wachmann zu, den man von der Straße aus nicht sehen konnte. Dieser war entsprechend erschrocken, hatte er doch nicht mit jemandem gerechnet, der fremd war und nicht zum Orden gehörte. Paul sprach ihn auch direkt ziemlich forsch an und machte so gleich seine Stellung klar. So sprach man nur, wenn man es gewohnt war, Befehle zu geben, oder wenn man sich in reichen Gesellschaftsschichten bewegte. Der Wachmann telefonierte sofort mit seinem Boss und fragte nach, was er machen solle. Er nickte zweimal, was sein Boss am andere Ende nicht sehen konnte und legte nach einem „Jawohl, sofort!“ wieder auf.
Er kam auf Paul zu und tastete ihn nach Waffen ab. Als einziges zog er die Taschenlampe und Pauls Handy heraus und als er die Taschenlampe als unverdächtig einstufte, gab er sie Paul zurück, das Handy behielt er. Die Steinmauer glitt zur Seite und öffnete so den Durchlass, allerdings von jemandem, der von innen herauskam, wahrscheinlich, damit Paul den Öffnungsmechanismus nicht sehen sollte. Zwei Wächter, die aus der Tür heraustraten, nahmen ihn in ihre Mitte und brachten ihn ins Innere. Dort wurden seine Augen verbunden und er wurde, so kam es Paul vor, absichtlich im Zickzackkurs durch die Gänge geführt. Als Paul Weihrauch wahrnahm, da wusste er, dass sie sich in der großen Säulenhalle befanden. Auch hallten ihre Schritte hier viel heller. Dann bogen sie nochmals ab und drückten Paul auf eine kalte Steinbank. „Warten!“, lautete der Befehl. Paul dachte, dass deren Wortschatz nicht gerade berauschend war, aber wahrscheinlich waren die Wächter nur einfache Befehlsempfänger. Sie nahmen ihm die Augenbinde ab, seine Skimütze allerdings durfte er aufbehalten.
Es verging fast eine Stunde, bis sich der Großkontur, also die rechte Hand des Großmeisters, mit ihm befasste. Er bat ihn in eine Kammer, Kerzen und Fackeln erhellten den Raum nur bedingt. Es gab einige dunkle Ecken und Nischen, die für Paul nicht einsehbar waren. Er war auf der Hut, aber er schaute sich unauffällig um. Er registrierte eine Art Paravent und vermutete noch weitere Zuhörer.
Der Großkontur bat ihn Platz zu nehmen, blieb aber selbst stehen. Es war psychologisch ein guter Schachzug, auf den Gegner hinunterzuschauen. Doch Paul ließ sich davon nicht beirren, er war es gewohnt, von den vielen Blicken seiner Studenten täglich beobachtet zu werden. Als er an seine Studenten dachte, da fielen ihm auch gleich die vermissten Mädchen wieder ein, und die Aufgabe, die er hier zu erfüllen gedachte. So straffte er die Schultern und wartete ab. Der Großkontur sah ihn erst einige Minuten schweigend an, vermutlich um ihn zu testen und um ihn einzuschüchtern. Paul blieb eisern. Dann endlich räusperte sich der Großkontur und fragte: „Was führt Sie zu uns?“ Paul antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Ich möchte Ordensmitglied werden!“
„Woher haben Sie von diesem Orden erfahren? Niemand weiß um unseren Orden, er unterliegt strengster Geheimhaltung. Also, wer hat uns verraten?“ Paul überlegte nur kurz, dann sagte er herausfordernd: „Sagen wir einmal so, direkt verraten hat Sie niemand, aber durch unvorsichtige Handlungsweise sind mir einige Dinge aufgefallen und denen bin ich nachgegangen.“
Diese Aussage schien dem Großkontur einzuleuchten.
„Und was genau stellen Sie sich vor, was wir hier tun? Wissen Sie wie es in einem Orden zugeht?“
„Da ich mich schon lange mit dem Gedanken trage in einen Orden einzutreten, habe ich mich natürlich mit dem Ordensleben an sich schon lange befasst.“
„Wir sind aber kein gewöhnlicher Orden, es gibt hier einige Besonderheiten. Was wissen Sie darüber?“
„Im Großen und Ganzen nur, dass es hier einige Riten gibt, die ich persönlich absolut für nötig befinde, die aber bisher in keinem anderen Orden zelebriert werden. Darum ist dies ja wohl auch ein geheimer Ort, nicht wahr?“, schob Paul seine Frage hinterher.
Plötzlich ertönte eine rauchige Stimme hinter dem Paravent: „Genug jetzt, ich übernehme den Gast!“
Hinter dem Paravent kam eine mächtige Gestalt in einem riesigen schwarzen Umhang hervor, vor dem Gesicht eine grausig aussehende Maske. Die Maske erinnerte Paul vor allem an die verzerrten Masken der Schamanen und an die der Medizinmänner in Afrika. Er nahm wahr, dass der Großkontur eine Verbeugung andeutend, die Kammer verließ. Paul erhob sich von seinem Stuhl und nickte dem Großmeister kurz zu. Durch den Fackelschein beleuchtet, sah der maskierte Großmeister wirklich zum Fürchten aus, doch Paul ließ sich davon nicht beirren. Dahinter war ein Mensch, wenn er allerdings an die Torturen dachte, die dieser „Mensch“ seinen Mitmenschen angedeihen ließ, so zweifelte er daran es mit einem Menschen in diesem Sinne zu tun zu haben. Höchstens ein machtbesessener Irrer konnte sich solche Foltermaßnahmen ausdenken, wie er, Paul, sie schon gesehen hatte. Ganz zu schweigen von den Methoden und Ritualen, die er noch nicht kannte. Im Grunde genommen hatte er einen gehörigen Respekt vor diesem Monster, doch er durfte sich nichts anmerken lassen.
„Sie sind schon ziemlich weit in mein Refugium vorgedrungen und ich behalte Sie lieber im Auge, als dass Sie weiter Ihre, nennen wir es einmal, Forschungen betreiben. Es gibt allerdings feste Regeln, bei Nichteinhaltung drohen äußerst üble, aber nützliche Strafen. Es wäre ihnen also nicht geraten mir zuwider zu handeln. Außerdem werde ich alles über Sie in Erfahrung bringen, aber Sie werden von mir nichts wissen. Ziehen Sie die Maske ab!“ Der Ton war wie der Befehl eines Generals an seine Soldaten. Paul gehorchte, obwohl ihm sehr flau in der Magengegend war. Der Großmeister umrundete ihn, Paul hatte sich nicht wieder gesetzt, und betrachtete ihn eingehend. Dann schaute er ihm in die Augen. Paul hielt mit starren Blick stand, wobei Paul nur in zwei gruselige, schwarze Höhlen blickte und kein Auge dahinter entdecken konnte. Der Großmeister schien zufrieden zu sein, er verlangte Pauls Ausweis, er musste seinen Beruf angeben, seine Arbeitsstelle und sogar seine Sozialversicherungsnummer. Mit anderen Worten, er wurde komplett durchleuchtet und seine Daten waren nicht mehr geschützt.
„Die anderen Ordensmitglieder werden nicht erfahren, wer Sie sind, die Daten sind bei mir gut aufgehoben!“, versicherte der Großmeister. Allerdings gab sich Paul nicht der Illusion hin, das zu glauben, denn er wusste, er würde nun auf Schritt und Tritt beschattet und beobachtet werden, nur so hatte ein solcher Orden seine Mitglieder in der Hand. Vielleicht wussten die maskierten Ordensmitglieder wirklich nicht, wer er war, aber der Großmeister hatte sicher genug Abschaum beschäftigt, die ihm alle Informationen zuverlässig weitergaben. Paul war jedenfalls auf der Hut, er würde von nun an jeden Schritt, den er tat, sorgfältig abwägen.
„Ziehen Sie nun ihre Maske wieder an, der Großkontur wird sich um Sie kümmern.“
„Wie geht es nun weiter?“, wagte Paul noch zu fragen.
„Ob Sie wirklich zu unserem Orden passen, werden wir in einer besonderen Sitzung