Bastis Welt. Moni Rehbein

Bastis Welt - Moni Rehbein


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anzugehen. Das sagte ich ihr und auch, wie gut es mir jedes Mal tut, mit jemandem zu reden, der nicht gleich mir die Schuld gibt oder meinen Sohn als bösen Jungen hinstellt, der gewalttätig und gemeingefährlich wirkt.

      Wir redeten noch ein wenig über die Denkweisen der Menschen im Allgemeinen und Autisten im Besonderen und beendeten das Gespräch mit dem guten Gefühl, in der jeweils anderen eine Freundin gefunden zu haben, die einen auch mal in die Tiefen der menschlichen Psyche hinein begleitet.

      Jana hatte sich schon oft als treue Freundin erwiesen und der Kontakt zu ihr stellte für mich eine der größten Erhörungen meiner Gebete dar, seit ich Christ geworden war, und als lebendiger Beweis für das Handeln Gottes in meinem Leben.

      Ich hatte Jana tatsächlich kennengelernt, nachdem ich Christ geworden war und angefangen hatte zu beten, dass der Herr mir einen Menschen zur Seite stellt, der mir nicht nur hilft, sondern mich auch wirklich versteht. Eigentlich hatte ich bei diesen Gebeten an einen Mann gedacht, doch meist weiß der Schöpfer der Welt sehr viel besser als wir, was wirklich gut für uns ist, wenn wir unsere Angelegenheiten vertrauensvoll in Seine Hände legen. Und so hat Er mir in Jana nicht nur einen Menschen geschenkt, der mich versteht und mir hilft, sondern zudem noch ein Christ ist, und selbst Mutter eines Autisten. Wenn man nun bedenkt, dass es in Deutschland maximal fünf Prozent Christen gibt, bei denen Jesus Christus wirklich die Regie im Leben führt, und wenn man dann noch bedenkt, wie verschwindend gering der Prozentsatz der Mütter von Autisten in der deutschen Bevölkerung ist, von denen auch noch die wenigsten sich mit den verschiedenen Formen des Autismus beschäftigen und ihre Kinder fördern und betreuen, dann kann man vielleicht das Ausmaß des Wunders ermessen, das Jana für mein Leben darstellt.

      Ich ließ mir unser Gespräch noch etwas durch den Kopf gehen und wartete einen Zeitpunkt ab, an dem keine seiner Lieblingssendungen im Fernsehen liefen und auch sonst keine wichtigen Dinge anstanden, die ihm durch den Kopf gehen konnten, bevor ich Basti darauf ansprach: »Basti, ich möchte dich mal was fragen.«

      »Dann frag schon.« Er schlug bewusst einen gelangweilten Tonfall an, aber ich wusste, wie sehr er Fragen und die Beantwortung von Fragen liebt.

      »Hat hin und wieder schon mal jemand bei dir fürs Elektroland angerufen?«

      »Ja«, an seinem Eifer bemerkte ich, wie gern er sich mir nun mitteilen wollte, ich hatte also den richtigen Zeitpunkt für das Gespräch erwischt, »stell dir vor, die haben doch wirklich gedacht, wir wären das Elektroland.«

      »Was hast du dann getan?«

      »Na was schon?« Ich meinte ein klein wenig Stolz in seiner monotonen Stimme zu vernehmen. »Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich wohl verwählt haben und ihnen die richtige Nummer gegeben.«

      »Wo hattest du die denn her?«

      »Ich musste doch damals, als ich wegen des PC-Spiels fragen wollte, selbst dort anrufen und seitdem weiß ich die Nummer. Stell dir vor«, nun hatte seine Stimme sogar einen leicht belustigten Unterton, »die haben fast die gleiche Nummer wie wir, nur mit einer Neun davor.«

      Er schien wirklich gerade mitteilungsbereit und gut aufgelegt, deshalb wagte ich mich gleich weiter vor: »Sag mal, hat auch hin und wieder mal jemand einfach aufgelegt, wenn du dich gemeldet hast?«

      Sofort verwandelte sich seine bisher so freundliche Stimme in ein schrill-zorniges Aufbrausen: »Diese Drecksäcke«, keifte er wütend, »diese Drecks-Amis mit ihren Lauschangriffen!!!« Seine Stimme wurde immer lauter, sein Gesicht verzerrte sich zu einer Maske der Wut und sein Kopf wurde knallrot. »Die haben nicht aufgelegt. Die haben sich nur nicht gemeldet und im Hörer geknackt, damit ich meine, sie hätten aufgelegt. Aber ich bin ja nicht blöd. Diese Schweine denken wohl, dass ich auf den Trick reinfalle, aber die wollen mich nur ausspionieren. Und ihr Drecks-Christen steckt mit ihnen unter einer Decke.« Dabei spie er jede Silbe einzeln heraus. Sein ganzer Körper war nun gespannt, sein Oberkörper wie zum Angriff leicht nach vorne gebeugt und seine Hände zu Fäusten geballt. Er war nun in Rage und ließ sich nicht mehr bremsen. Feindbild Nummer zwei – gleich nach den Amerikanern – waren zu der Zeit gläubige Christen.

      Ich vermute, er hätte liebend gern mit handlich kleinen Atombömbchen nach mir geworfen, wenn ich ihn nicht wöchentlich mit Nudeln, Milch und all den anderen Dingen versorgen würde, die er mir aufträgt. Ganz zu schweigen von seinem Taschengeld.

      »Hast du gesehen, was DEIN Drecks-Bush im Irak wieder macht?« Natürlich war er »MEIN Drecks-Bush«, immerhin ist er Mitglied derselben Kirche, der auch ich angehöre, was mich allerdings zu keinem Zeitpunkt stolz gemacht hat.

      Ich war jetzt nicht in der Stimmung, mich über die Weltpolitik zu unterhalten, immerhin hatte er mir schon oft genug klargemacht, dass ich und meine Kirche schuld seien an der weltpolitischen Lage und dass man es nur der Schachelite zu verdanken hätte, wenn die Welt noch nicht völlig zerstört worden ist.

      Ich unterbrach also seine Ausführungen und versuchte, mir Gehör zu verschaffen, indem ich nun auch meine Stimme erhob: »Und was hast du mit dem Telefon gemacht, als Bush versucht hat, dich abzuhören?«

      »Das war nicht nur Bush …«, seine Stimme fing an sich zu überschlagen und sein Gesicht hatte eine ungesunde lila-rote Farbe angenommen, »unsere Drecksregierung steckt doch mit denen unter einer Decke und du …«, ich wich geschickt dem Zeigefinger aus, der plötzlich mit Wucht auf mich zuschoss, »… hast diese Schweine auch noch gewählt.«

      »Ich habe gar nicht …«, wollte ich mich verteidigen, doch seine violett-rote Wut ließ keine andere Stimme zu.

      »Jawohl, mit deiner Dreckskirche, IHR …« Diesmal war ich nicht schnell genug und der Zeigefinger traf meine linke Schulter »… IHR, IIIIHHHHHR seid doch alle für diesen Bush mit seiner Drecksregierung und IHR seid auch schuld, dass unser Telefon kaputt ist, anders kann man sich als anständiger Bürger ja schließlich nicht wehren.« Beim letzten Satz hatte er sich umgedreht und mit einem zornigen Knall die Tür hinter sich zugeworfen.

      Ich wusste Bescheid. Das Telefonmysterium war endlich geklärt und ich atmete erst mal erleichtert die Luft aus, die ich seit der Zeigefingerattacke unbewusst angehalten hatte.

      Am nächsten Tag marschierte ich dann zum hoffentlich letzten Mal zur Telekom. Der Berater war sehr freundlich zu mir und schien sich auch noch gut an mich zu erinnern. Kein Wunder, ich hatte den Laden wohl schon allein mit der Anzahl meiner Telefone saniert und ihm den Arbeitsplatz erhalten.

      Ich erklärte ihm die Situation und bat ihn um eine neue Nummer. Ich muss sagen, die Telekom ist wesentlich besser als ihr Ruf, denn ich erhielt bereits am nächsten Tag eine Geheimnummer, die Lauschangriffe von Seiten der Elektrofachgeschäftskunden hörten auf und das Telefon ging nie wieder auf mysteriöse Weise kaputt.

      Ein Autist will keine Veränderung. Alles Neue, sei es ein Ortswechsel, ein Wechsel der Bezugsperson, eine andere Klobrille oder auch nur frische Bettwäsche, alles bringt seinen Alltag richtig durcheinander. Neuerungen verursachen Beklemmungsgefühle bis hin zu wahrer Angst. So verwendet Basti zum Beispiel nur »seine« Tassen. Ich habe ihm einen Satz von blauen Glühweintassen gekauft und er verwendet ausschließlich diese und keine andere Person darf daraus trinken. Er trinkt alles daraus: Kaffee, Tee und auch kalte Getränke. Er verwendet keine Gläser, sondern für jedes Getränk seine Tassen. Niemals trinkt er aus einem anderen Behältnis, es sei denn, er trinkt aus der Flasche. Dann darf aus dieser Flasche jedoch kein anderer trinken oder getrunken haben.

      Besonders schrecklich ist es für ihn, sich an neue Kleidungsstücke zu gewöhnen. Ich bekam ihn schon als kleines Kind wesentlich leichter zum Zahnarzt als in einen Kleiderladen oder zum Frisör. Meist kaufe ich die Kleidung allein, um sie mit nach Hause zu nehmen und sie ihn in Ruhe anprobieren zu lassen. Ein wenig anstrengend ist das natürlich, ich muss die Kleidungsstücke, die ich in verschiedenen Größen mitnehme, zunächst einmal bezahlen, um sie dann einige Tage später, wenn sich rausgestellt hat, welche nicht passen, wieder in den Laden zurückbringen und mir mein Geld wieder ausbezahlen lassen.

      Seine Schuhe trägt er meist so lange, bis sie so viele Löcher haben, dass sich die Sohle löst


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