Kleider find’ ich doof. Anke Kuhlmann

Kleider find’ ich doof - Anke Kuhlmann


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Biggi, abwarten. Diese Geschichte geht etwas anders und ist nicht von den Gebrüdern Grimm.“ Er schaute mich augenzwinkernd an.

      „Also, es war einmal ein Mädchen, das war ungefähr vier Jahre alt. Es hatte einen Bruder, der ein Jahr älter war als sie. Die beiden verstanden sich prima, vor allem dann, wenn es darum ging, gemeinsam etwas auszuhecken. Paula, so hieß das Mädchen, guckte der Schalk schon aus den Augen. Sie war eigentlich nicht das, was man sich unter einem Mädchen vorstellt. Kleider mochte sie nicht und bei ihren Spielsachen hatten Puppen gegen ihre Autos keine Chance. Sie spielte viel lieber mit den Jungen aus der Nachbarschaft Verstecken und Fußball, als sich unter die Mädchen zu mischen. Eigentlich war Paula wie ein Junge. Auch dem Aussehen nach war es schwer, in ihr ein Mädchen wiederzuerkennen.“

      Papa beobachtete mich. In meinem Gesicht konnte er lesen, dass ich wusste, wer Paula sein würde. Dennoch sprach er unbeirrt weiter: „Paula und ihr Bruder Tobi sahen sich ähnlich und hätten auch gut Zwillinge sein können. Wahrscheinlich lag es daran, dass Paula immer darauf bestand, das gleiche anzuziehen, was Tobi trug. Dazu kam dann noch, dass beide kurz geschnittene Haare hatten …

      Einmal, es war an einem kalten Wintertag, wollte sie ihre Mutter in den Kindergarten bringen. Es musste schnell gehen, denn sie waren schon spät dran.

      Während sich Tobi artig die lange Unterhose anzog, saß Paula auf dem Boden und rührte sich nicht. Ihre Mama hatte ihr Strumpfhosen hingelegt, die sie sich anziehen sollte.

      Als sie wenig später nach ihnen sah, war Tobi schon fertig angezogen, Paula hingegen saß mit vor der Brust verschränkten Armen da und sah vorwurfsvoll auf die Strumpfhose. ‚Die ziehe ich nicht an’, sagte sie und zeigte angewidert darauf. ‚Ich will auch eine lange Unterhose!’

      Sie schlug die Hände vors Gesicht und zog die Stirn kraus. Ihre Unterlippe schob sich nach vorn. Paula war eingeschnappt. Dabei stampfte sie noch mit dem Fuß auf, was ihrer Wut einen stärkeren Ausdruck verlieh.“

      Ich setzte mich kurz auf und stemmte entrüstet die Arme in die Seite und fühlte mich ertappt.

      „Was ist denn los? Kommt dir das irgendwie bekannt vor?“, fragte Papa. Ich hob schnippisch die Schultern und kuschelte mich wieder unter die Decke. „Och nee“, meinte ich schnell und bemühte mich unbeteiligt zu tun.

      Er erzählte ernst weiter: „Alles Zureden der Mutter half nicht, sodass die Mama schließlich eine Unterhose aus Tobis Schrank holte und sie ihr zum Anziehen gab. Paula war selig, sie hatte erreicht, was sie wollte. ‚Strumpfhosen’, sagte sie ‚tragen doch nur Mädchen. Wenn ich groß bin, werde ich ein Junge und die ziehen Unterhosen an.’ Darauf wollte sie sich schon jetzt vorbereiten.

      Dann vergingen viele Wochen und Monate. Dem Winter folgte der Frühling und dem der Sommer.

      An einem Sonntag entschlossen sich ihre Eltern dazu, mit ihr und ihrem Bruder einen Spaziergang zu machen. Die Sonne lachte vom Himmel, der sich in einem strahlenden Blau präsentierte.

      Paula besah sich im Spiegel, doch mit dem Bild, was sie erblickte, konnte sie sich nicht anfreunden. Ihre Mama hatte ihr ein Rüschenkleid angezogen. Ihre Füße steckten in roten Lackschuhen. Die Söckchen waren weiß und hatten ebenfalls Rüschen. Tobi trug eine kurze Hose und ein Nicki. Neidvoll schaute Paula auf seine Sandaletten. ‚Tauschen wir?’, fragte sie ihn und zeigte auf ihre Lackschuhe. Tobi zeigte ihr einen Vogel. ‚Spinnst du? Ich bin doch ein Junge’, antwortete er entrüstet.

      Paula erwiderte darauf: ‚Ich will auch Sandaletten. Wenn ich groß bin, werde ich ein Junge und dann … ’

      Tobi kicherte und stolzierte vor ihr her.

      Mama und Papa schauten stolz auf ihre beiden Sprösslinge. So herausgeputzt konnten sie sich gemeinsam auf den Sonntagsspaziergang machen. Paulas Mama hatte sogar noch eine Überraschung. Sie schenkte ihrer Tochter passend zu den Schuhen eine rote Lackhandtasche und schaute Paula erwartungsvoll an.“

      Ich versteckte mich wie ertappt schnell unter der Bettdecke und lugte langsam wieder hervor. Die Geschichte kam mir doch irgendwie bekannt vor.

      Papa atmete seufzend, bevor er fortsetzte: „Eigentlich hatte ihre Mama erwartet, dass sie ihr dafür dankend um den Hals fallen wurde, doch sie erntete eher einen vorwurfsvollen Blick. Paula fügte sich notgedrungen dem Willen ihrer Eltern, obwohl sie sich ganz und gar nicht wohlfühlte. Der asphaltierte Weg führte sie schließlich vom Straßenlärm fort in die Natur. Vorbei ging es an Sträuchern und Hecken, an denen Paula besonders dicht entlang schlenderte und dabei ihre neue Lacktasche an den Zweigen schrammte.

      Was konnte sie schließlich dafür, dass die Büsche ihrer Tasche im Weg waren. Sie wich ihnen nicht aus, sondern suchte wie zufällig immer wieder ihre Nähe. Sie mochte die Tasche nicht und zeigte es ihr auf diese Weise deutlich. Am liebsten hätte sie ihr einen Fußtritt gegeben, ja als Fußball wäre sie gerade gut genug.

      Wütend stieß sie mit dem Fuß ein kleines Steinchen vor sich her. ‚Scheiß Schuhe!’, fluchte sie leise und trat den Stein erneut voran. Während des ganzen Weges litten so die neuen Lackschuhe unentwegt. Plötzlich klebte das Steinchen auf der Straße im Teer fest, den die Sonne verflüssigt hatte, sodass er stellenweise breiig und klebrig war. Paula stocherte mit der Schuhspitze gegen das Steinchen und versuchte, ihn herauszuschießen. Immer wieder blieb er stecken. Die Schuhspitze war inzwischen klebrig schwarz. Sie streifte sie eifrig an der Straßenkante ab, doch das Zeug wollte einfach nicht abgehen.

      ‚Wie siehst du denn aus?’, rief ihre Mama entsetzt als sie näher an Paula herantrat. ‚Dein Kleid hat ja hinten lauter Teerspritzer. Das schöne Kleid! Das kriege ich doch nie wieder raus!’ Sie zupfte an Paula herum. ‚Und die Schuhe! Ach Paula!’, rief sie resignierend. Paula schaute sich an und hob schnippisch die Schultern. ‚Dafür kann ich nichts’, sagte sie schnell und popelte an dem Teerfleck herum.

      ‚Das geht nicht ab’, erwiderte ihre Mama und in ihrer Stimme schwang nun doch ein bisschen Wut mit. Paula wandte sich ihr zu und versuchte zu beschwichtigen, indem sie sie an sich drückte. ‚Es tut mir leid’, sagte sie. Dennoch konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das Kleid und die Schuhe bin ich los, Gott sei Dank, dachte sie bei sich.

      Als sie zu Hause ankamen und ihre Mama beim Wegräumen der Sachen auch die Tasche an ihren Platz räumen wollte, bemerkte sie die kleinen und großen Kratzer im Lack. Paula hatte natürlich sofort eine Antwort parat und meinte: ‚Das ist eine doofe Tasche, die nichts aushält und außerdem – wenn ich groß bin, werde ich sowieso ein Junge. Dann brauche ich solche Taschen nicht mehr.’ Ihre Mama schüttelte wortlos den Kopf.“

      Papa schaute mich an. Ich grinste zurück.

      „Kann es sein, dass ich Paula kenne?“, fragte ich verschmitzt.

      Papa sah mich schmunzelnd an, erwiderte jedoch nichts darauf.

      „Ihr habt das mit der Tasche also doch mitbekommen?“ Ungläubig wartete ich auf eine Antwort.

      „Natürlich, was denkst du denn? Ich hatte Mama ja sogar vorgewarnt, weil ich vorher schon geahnt habe, dass du die Tasche nicht mögen würdest. Ich kenne doch meine Tochter.“ Papa zupfte die Decke zurecht. „Rabauke!“

      „Aber das ist doch schon so lange her“, erwiderte ich entrüstet.

      „Na ja, so lange nun auch wieder nicht.“

      „Was ist denn hier los? Du schläfst ja immer noch nicht.“ Mama schaute zur Tür hinein.

      „Papa erzählt mir nur noch eine Geschichte“, erklärte ich schnell und wandte mich ihm wieder zu.

      Mama schüttelte den Kopf und zog die Tür wieder zu.

      „Wie geht es denn weiter?“, fragte ich ihn interessiert.

      „Paula bekam danach keine Handtaschen mehr. Und auch in Sachen Kleidung verstand sie es, ihre Eltern zu überzeugen, dass sie lieber Hosen trug, als Kleider und Röcke. Allerdings musste sie sich auch gefallen


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