Bionik. Bernd Hill

Bionik - Bernd Hill


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die rein maßstäbliche Vergröße-

      rung des Menschen im Riesen zu finden. Ist so ein gewaltiger Riese denn über-

      haupt lebensfähig? Kann er sich überhaupt bewegen? Im Märchen der Gebrüder

       Grimm ist das möglich.

       Das kleine Schneiderlein und der Riese sind zwar gleich gebaut, aber der Riese

       ist um den Faktor 3 größer. Nehmen wir für das tapfere Schneiderlein großzügig

       eine Masse von 70 Kilogramm an, dann müsste sich dagegen der Riese mit einer

       Masse von 1,89 Tonnen bewegen. Ziemlich schwer für das Knochengerüst des

       Riesen. Es ist aber erwiesen, dass die Festigkeit des Knochengerüstes nur pro-

      portional der Querschnittsfläche der einzelnen Knochen ist. Das Knochengerüst

       des Riesen würde unter dieser Last zusammen-

      brechen, wenn er sich bewegen würde. Da die

       Querschnittsfläche des Oberschenkelknochens

       des Riesen im Vergleich mit dem des Schnei-

      derleins zwar 30-mal größer ist und somit eine

       30-fach höhere Tragfähigkeit aufweist, muss

       er aber auch eine 300-fach höhere Belastung

       aushalten. Auf 1 Quadratzentimeter würde der

       Riesenknochen dreimal so stark belastet wie

       1 Quadratzentimeter des Menschenknochens.

       Die Verhältnisse des Wachstums von Fläche,

       Volumen und Länge lassen sich anschaulich an

       einem Würfel verdeutlichen. Die Oberfläche

       des Würfels wächst um das Vierfache, sein

       Volumen und damit seine Masse sogar um das

       Achtfache – und das nur, wenn man lediglich

       seine Kantenlänge verdoppelt. Beim Riesen ha-

      ben wir also festgestellt, dass bei seinen großen

       Abmessungen das Körpervolumen sehr schnell

       wächst und damit natürlich auch sein Gewicht.

       Nun wissen wir auch, warum Bäume nicht

       in den Himmel wachsen und man Ameisen

       nicht einfach vergrößern kann. Das hat schon

       Galileo Galilei (1564–1642) durch Berechnungen

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       festgestellt. Urwaldriesen können Höhen von fast 100 Metern erreichen. Mam-

      mutbäume sogar 120 Meter. Höher geht nicht, da sie dann viel zu schwer werden

       würden. Dadurch könnten sie sich nicht mehr halten. Diese Tatsache gilt auch

       für alle Bauwerke, wie Wolkenkratzer und Fernsehtürme. Auch die größten auf

       der Erde lebenden Tiere, wie früher die Dinosaurier und heute die Wale und Ele-

      fanten, hatten und haben ihre Maximalgröße erreicht. Größer geht nicht, denn

       die Naturgesetze lassen das nicht zu.

       Es geht nicht darum, naturgetreue Kopien von Lebewesen anzufertigen und

       sie dann in die Technik zu übertragen. Aber was von der Natur übertragbar ist,

       sind die vielen Gestaltungsanregungen und Prinzipien, die wir in kreativer Wei-

      se nutzen können. Die Natur zeigt uns an vielen Beispielen, wie leistungsfähig

       ihre Strukturen und Mechanismen sind, und das bei geringstem Material- und

       Energieeinsatz. Es lassen sich noch viele Leichtbauprinzipien bei Pflanzen und

       Tieren entdecken und nach ihrem Vorbild Material sparende Konstruktionen

       entwickeln.

       Wir können diese Prinzipien aufdecken und mit unseren kreativen Fähigkei-

      ten so weiterentwickeln, dass daraus neue technische Lösungsmöglichkeiten für

       den Leichtbau entstehen.

       Dieser Band zeigt, wie man von den natürlichen Leichtbauprinzipien lernen

       kann – die dabei dargestellten Methoden helfen bei der Entschlüsselung der

       Naturgeheimnisse und ihrer Übertragung in die Technik.

       12

       I

       n einer Auto-Reparaturwerkstatt:

       Der ständige Umgang mit einer Zange bereitete einem Schlosser ziemliche Schwie-

      rigkeiten. Sie war zu schwer und ließ sich daher gar nicht so einfach in der Hand

       halten. Er überlegte, wie die Zange leichter gemacht werden könnte. Vor ihm auf

       dem Tisch lagen stählerne U-Profilstangen. Wenn sich nun die beiden Griffe aus

       solchen Profilstangen fertigen ließen, wäre das Problem gelöst – überlegte der

       Schlosser. Die Idee für den Profilgriff einer leichteren Zange war „geboren“ – eine

       beträchtliche Materialeinsparung bei gleichzeitiger Sicherung der Stabilität.

       Das nennt man Leichtbau.

       Materialeinsparung durch Profile

       LEICHTBAU WAS IST DAS?

       2

       Materialeinsparung durch U-Profil an den Zangengriffen

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       Mit Leichtbaukonstruktionen in Form von Brücken beschäftigte sich schon das

       Universalgenie der Renaissance Leonardo da Vinci (1452–1519). Wir kennen ihn

       als einen hervorragenden Künstler, der die Mona Lisa geschaffen hat. Er war

       aber auch ein genauso erfolgreicher Baumeister, Wissenschaftler und Erfinder.

       Damals hat er schon viele Erfindungen, wie beispielsweise Kamera und Schiffs-

      kompass, Tauchboot, Schnorchel und Taucherbrille, Hubschrauber und Flugge-

      räte, Drehmaschinen sowie Wasserräder hervorgebracht. Auch erfand er eine

       einfache Brücke, die sich schnell auf- und abbauen ließ. Sie war außerdem leicht

       zu transportieren und bei Gebrauch äußerst stabil. Ihre Besonderheit bestand

       darin, dass die Bauweise aus Holzstämmen ohne Nägel, Schrauben und anderen

       Verbindungselementen auskommen konnte und trotzdem ihre erforderliche

       Stabilität sicherte.

       Die Brücke von Leonardo da Vinci

       Zeichnung

       Brückenmodell aus Holzleisten


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