Eine verborgene Welt. Alina Tamasan

Eine verborgene Welt - Alina Tamasan


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erwiderte sie schließlich, „nur ist’s, wie du sicher ahnst, für mich nicht einfach, mich darauf einzulassen. Es ist schon lange her, dass ich einem Mann mein Herz schenkte, er ist lange tot.“ Bei diesen Worten füllten sich ihre Augen mit Tränen und Schmerz überzog ihr Gesicht. Auf einmal sah Pythera sehr alt aus und Retasso empfand ein tiefes Mitgefühl für sie, gleichzeitig erkannte er ihre emotionale Offenheit als besonderes Zeichen des Vertrauens. Er nickte ihr dankbar zu und zog sie mit sich durch Wald und Wiese bis vor das große Festfeuer, wo sie auf Rangiolf trafen, der sich vom schwindelerregenden Tanz mit Finilya erholte.

      „Du bist doch nicht schon etwa müde“, lachte Finilya und stupste ihn neckisch an der Schulter.

      „Oh, Mädchen“, keuchte Rangiolf, „hab’ Erbarmen mit einem armen, alten Gniri!“

      „Alt?“ Pythera hob eine Augenbraue. „Wenn du alt bist, dann bin ich so alt wie die Steine von Ereg Bür7.“

      „Was für eine Schlucht ist das?“, fragte die junge Frau neugierig.

      „Das ist eine uralte Felsspalte, deren Steine von der Witterung so abgewetzt wurden, dass sie dünn sind wie die feinsten Fäden“, antwortete Pythera.

      „Und wo liegt sie?“, Rangiolf sah sie neugierig an.

      „In einem trockenen Land, mit viel Stein und Wüste“, sprach Retasso an ihrer statt.

      „Leben da auch Menschen?“ Der junge Gniri bekam glänzende Augen.

      „In der Wüste leben viel weniger Menschen als in gemäßigten Gebieten. Sie brauchen Wasser und Nahrung. Viel mehr als wir.“ Retasso hielt inne und schaute nachdenklich ins Feuer. „Sag mal, Rangiolf“, fuhr er nach einer Weile fort, „spielst du immer noch mit dem Gedanken, deinen Freund im PARK zu besuchen?“

      „Du meinst Sutia? Oh, ja!“ Rangiolf nickte und bedachte Finilya mit einem Seitenblick.

      „Und du, Finilya, möchtest du ihn dahin begleiten?“ Pytheras Blick ruhte auf ihrem Antlitz.

      „Ich gehe überall hin, wo Rangiolf hingeht“, antwortete sie schlicht.

      „Bist du denn damit einverstanden, dass er dort hin geht?“

      „Ich weiß es nicht.“ Sie sah ratlos in die Runde. „Ich hatte noch nie Kontakt zu Menschen, noch war ich je in einem PAARK, wie Rangiolf das nennt, also kann ich mir kein Urteil darüber erlauben.“

      „Hast du Angst?“, fragte Retasso unvermittelt.

      „Ja“, antwortete die Gniri wahrheitsgemäß.

      „Du brauchst keine Angst zu haben“, versicherte Rangiolf hastig. „Ich bin doch da!“ Mit einem Satz war er bei ihr und nahm sie in die Arme.

      „Was erhoffst du dir von deinem Freund?“ Retasso sah zu Rangiolf.

      „Na ja, so was wie Welten zusammenführen?“, stammelte er unsicher.

      „Es ist keine Schande, nicht zu wissen, wohin der Weg führt, solange man seinem Herzen folgt“, erklärte Pythera milde.

      „Doch, doch“, warf Rangiolf ein und rieb sich nervös die Borsten, „natürlich weiß ich, wohin der Weg führt.“ Retasso runzelte die Stirn. Pythera und Finilya schauten Rangiolf dagegen erwartungsvoll an.

      „Öhm, also … Welten zusammenführen, die Menschen an uns erinnern … gucken, wie die so sind …“ Je mehr er sagte, desto unwissender fühlte er sich und wäre am liebsten im Boden versunken. Schließlich hüstelte er verlegen – und verstummte sogleich wieder.

      „Rangiolf“, sagte Pythera ruhig, „ich möchte euch eine Geschichte erzählen, Retasso kennt sie bereits.“ Retassos Miene verriet Skepsis.

      ‚Das ist nicht dein Ernst‘, sagte sein Blick, ‚du willst ihnen doch nicht erzählen, dass …‘

      „Wie ihr wisst“, begann die Heilerin unvermittelt, „herrscht unter vielen Völkern eine gefürchtete Krankheit. Sie äußert sich durch schwarze Knoten, die mit der Zeit den ganzen Körper befallen, diese Geschwüre schmerzen entsetzlich. Im Laufe von Jahren und Jahrhunderten härten sie aus und werden zu Warzen. Sie tun dann zwar nicht mehr weh, aber sie schränken die Beweglichkeit ein. Nur einer von uns ist je so alt geworden, dass der Körper mit Knoten übersät war. Ihr erinnert euch sicher an S-hafìe.“ Alle außer Finilya nickten. S-hafìe war die älteste Gniri vom Volk der Iàtranür Tarà. Rangiolf und Retasso erinnerten sich gut an die alte Frau, die ihre Liege nicht mehr verlassen konnte.

      „Die Krankheit schreitet langsam voran“, fuhr Pythera fort, „es fühlt sich an, als würde man immer mehr verholzen, sagen die Betroffenen. Mit der fortschreitenden Starre verliert man auch die Beweglichkeit im Kopf und im Herzen, man wird zu einem stumpfen Wesen, das weiterlebt, ohne sterben zu können.“

      „Wie ist S-hafìe gestorben?“, fragte Finilya.

      „Als der Körper vollständig ausgehärtet war, starb sie endlich“, sagte die Heilerin traurig. „Ich konnte ihr nicht helfen. Ich kann keinem helfen, der diese Krankheit hat, und es kommen so viele zu mir, die auf meine Heilkünste hoffen.“

      „Man sagt schon lange“, Retasso warf ein Holzscheit ins Feuer, „dass eines Tages eine neue Zeit anbrechen wird, in der die Menschen erwachen. Dann wird ein Wesen auftauchen, das ein Menschen- und ein Kind der Naturwesen zugleich ist. Es wird helfen, die Welt der Ur-Ahnen, unsere und die Menschenwelt wieder zu einen. Nur so kann die Krankheit heilen. Es gibt sie nur, weil die Menschen vergessen haben, dass die Natur beseelt ist, und weil wir uns von den Menschen abgewandt haben. Wir können unsere Ur-Ahnen, aus denen alles Leben hervorgegangen ist, nicht erreichen und sie können uns nicht helfen. Seltsam, dass diese Worte vor dem Bruch der Welten niedergeschrieben wurden, als Warnung. Damals hat niemand auf Namrahì gehört, der ein Gelehrter am Hofe König Fortins war, und dessen Kinder getötet wurden, weil er die Wahrheit gesehen hatte!“ Pytheras Blick wurde dunkel.

      „Heute, so stelle ich fest, ist diese neue Zeit da“, hob nun Retasso an. „Es gibt mittlerweile viele hellsichtige Menschen, die unsere Nähe spüren. Manche können uns hören aber nicht sehen, andere erblicken Schemen von uns, können uns aber nicht hören. Mir ist noch keiner begegnet, der beides vermag. Wenn dieses Geschöpf Menschen- und Naturwesen-Kind zugleich ist, könnte es unter den Menschen weilen!“

      „Aber“, warf Rangiolf ein, „ein Wesen, das Kind von Menschen und von Naturwesen zugleich ist, müsste doch ein Mischling und recht auffällig von Aussehen und Wuchs sein.“

      „Das habe ich zunächst auch angenommen“, sagte Pythera. „Allerdings bin ich mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass das nicht zwingend der Fall sein muss. Vielleicht ist der Naturwesen-Anteil im Herzen. So gesehen könnte es sich um einen äußerlich vollkommen normal aussehenden Menschen handeln. Nur, wo wollen wir ihn finden? Es gibt fast sieben Milliarden Menschen auf der Welt, und sie sind über den ganzen Erdball verstreut. Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen! Es könnte natürlich auch jemand sein, der wie ein Naturwesen aussieht … – hier stehen wir vor demselben Problem!“

      „Wenn es unser Schicksal ist, dass wir diesem Wesen begegnen, wird es so sein“, sagte Finilya. „Irgendeinem von uns wird es begegnen, ohne dass wir nach ihm suchen müssen.“

      „Deswegen habe ich aufgehört zu suchen.“ Pythera sah die junge Gniri an und nickte.

      „Und doch sollten wir nicht die Hände in den Schoß legen“, erwiderte Rangiolf entschieden. „Ich habe mich zwar damit nur im Kopf beschäftigt, aber wenn wir alle unseren Weg gehen, dann wird uns dieses Wesen begegnen – mindestens einem von uns … Und wenn nicht, dann wird es jemandem anderen begegnen, der seinen Weg hierher findet – oder eben gar nicht!“ Die letzten Worte sprach er mit einem trotzigen Unterton aus. „Vielleicht ist dieses Wesen bei Sutia!“

      „Oder auf meinem Weg zu Parthion“, ergänzte Retasso.

      „Oder es findet seinen Weg in diesen Wald“, murmelte Pythera. Dann sah sie alle an, hob die Arme und sagte: „Beten wir zur Mutter,


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