Lombok. Matthias Falke

Lombok - Matthias Falke


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      Matthias Falke

      Lombok

      © 2017 Begedia Verlag

      © 2016 Matthias Falke

      Umschlagbild – Alexander Preuss

      Lektorat, Satz und ebook-Bearbeitung – Harald Giersche

      ISBN-13 – 978-3-95777-103-2 (epub)

      Besuchen Sie uns im Web:

      http://verlag.begedia.de

      Das ENTHYMESIS-Universum

      Eine Science-Fiction-Saga in sieben Trilogien

      1. Laertes

      -Erstflug

      -Persephone

      -Lombok

      2. Exploration

      3. Gaugamela

      4. Zthronmic

      5. Tloxi

      6. Jin-Xing

      7. Rongphu

      Teil I. Die Schule der Schmerzen

      Kapitel 1. Mariafels

      Im Morgengrauen ließen die Schmerzen nach.

      Die Qual verebbte, in die sie die ganze Nacht versponnen gewesen war wie in einen unkörperlichen Cocon. Dabei hätte sie nicht einmal zu sagen vermocht, ob die Schmerzen physischer oder seelischer Natur waren. Es war die Pein an sich, ein Leiden am Sein, eine reine Tortur, die die Existenz untergrub und das Universum vernichtete.

      Das erste schüchterne Frühlicht sickerte durch die Jalousien, die allabendlich selbsttätig vor den Fenster herunterkrochen wie übellaunige Spinnen und die Räume hermetisch gegen alle Monde und Sterne abschlossen, die womöglich Trost verheißen konnten. Gegenstände schälten sich aus dem Nichts, Richtungen, Dimensionen, Welt.

      Sie streckte sich und sank langsam in die Realität zurück, zu der sie während der Nacht keine verlässliche Fühlung gehabt hatte, obwohl sie weder geschlafen, noch geträumt hatte. Sie hatte sich nur ihren Schmerzen hingegeben.

      Neben ihr lag der Freund. Auch er kehrte langsam ins Wirkliche wieder, wie sie an seinen wacher und selbstgewisser werdenden Atemzügen hörte. Er war nackt, wie sie. Er war schweißnass, wie sie. Er war geläutert und von allen Feuern der Selbstausbrennung gestählt, wie sie.

      Sie begannen einander mit Erkundigungen zu betasten, mit Liebkosungen zu trösten, mit verspieltem Kichern zu beflüstern. Sie küssten sich lange. Dann schliefen sie miteinander. Anschließend lagen sie da und ließen den Morgen über sich ergehen.

      »Das werden wir nie mehr vergessen«, sagte sie nach einer Weile, die auf keiner Uhr zu finden war.

      »Was?«, fragte er, schläfrig von all dem Erwachen.

      »Das!« Sie rieb das Bein an dem seinen. »Diese Nacht, diesen Morgen, dieses Gespräch. Dieses Jetzt!«

      »Ja, du hast recht.«

      »Daran werden wir uns immer erinnern. In unserer letzten Stunde noch. Wer weiß, auf einer anderen Welt. In einer anderen Galaxie!«

      »Willst du nicht auf der Erde sterben?« Das Knödelige in seiner ungemachten Stimme verriet ihr, dass ihm das Thema nicht behagte. Aber sie war in einer so raumgreifenden Stimmung. Sie fühlte sich so offen, so lebendig, so frei! Der Atem hob ihre Brüste, dass das Laken dezent davon herunterglitt. Es war, als habe sie zum ersten Mal in diesem Dasein wirklich Luft geholt. Sie hätte schreien mögen, nackt ins Gebirge hinauslaufen, irgendetwas von sich schleudern, etwas zerstören. War das Glück? Es war viel mehr. Es war etwas viel kostbareres, selteneres, heiligeres. Es war Gegenwart!

      »Wir sind Kadetten der Union«, sagte sie. »Wir werden Offiziere, Piloten, vielleicht Kommandanten. Das ganze verdammte Weltall steht uns offen.« Sie dämpfte die Stimme, die ihr selber plötzlich roh und ungeschlacht vorkam, zu einem ehrfürchtigen Raunen: »Der Kosmos!«

      Der Freund an ihrer Seite brummte nur. Es war ein wohliges, zufriedenes Brummen. Sie hätte ewig so liegen können. Sie mochte es, wie ihre Füße sich kabbelten als wären sie selbständige Welpen. Sie mochte die Wärme, zu dem der Duft ihrer beiden Leiber sich vermischte. Sie mochte das gierige Ziehen in ihrem Solarplexus, das viel mehr war als nur der Heißhunger nach einer Nacht der Folter und der Erfüllung. Es war Appetit auf das Leben, das vor ihnen lag, eine unbändige Lust zu sein und eine unstillbare Ungeduld.

      »Komm!« Sie sprang aus dem Bett. »Wir können schlafen, wenn wir tot sind!«

      Das Zimmer registrierte, dass sie aufgestanden war. Die Jalousien glitten nach oben und gaben den Blick auf die sich räkelnde Hochgebirgslandschaft frei. Rosiges Licht lag sanft auf den Zacken und Eisfeldern. Sie befahl dem Zimmer, das Fenster zu öffnen, und badetet dann ihren von Schweiß verkrusteten, von der Liebe tropfenden und noch ein wenig blutenden Körper in der eisigen Luft, die neugierig hereinwehte.

      Ihr fiel ein Vers von Nietzsche ein, den sie im Stillen bei sich rezitierte: War’s nicht für euch, dass sich des Gletschers Grau heut’ schmückt mit Rosen?

      Sie hörte, wie der Freund sich im Bett aufsetzte. Sie konnte spüren, wie er sich an ihrem Anblick weidete. Sie konnte seinen Stolz und seine Liebe riechen. Um ihm einen Gefallen zu tun, dehnte und streckte sie sich noch ein wenig ausdauernder als sonst.

      Sie war sechzehn. Die jüngste Kadettin, die je das Elitestift Mariafels bezogen hatte. Er war neunzehn. Sie waren das erste Paar in den Annalen des Instituts, dem es gestattet worden war, eine Nacht gemeinsam zu verbringen.

      Nach der Frühgymnastik, die sie mit einigen Atem- und Konzentrationsübungen aus dem Fundus der Prana Bindu abschloss, wies sie das Zimmer an, das Fenster wieder zu verriegeln. Sie gingen ins Bad und duschten zusammen. Dabei musste sie aufpassen, nicht wieder in Versuchung zu geraten. Draußen warteten sie bestimmt schon auf sie. Sie trockneten sich ab und zogen sich an. Dann nahmen sie einander noch einmal in die Arme.

      »Heute Abend«, sagte sie leise.

      »Ich werde da sein«, gab er zurück.

      Dann rissen sie sich von der unvergesslichen Stunde los, die in diesem Augenblick Vergangenheit war und es für den Rest ihres Lebens bleiben würde, und gingen hinaus.

      Die Freunde waren bereits in der Küche, wie sie vermutet hatten. Sie hatten sich zu einem Empfangskomitee versammelt, und als sie wie Gladiatoren in den Aufenthaltsbereich ihrer Gruppe kamen, begrüßten sie sie angemessen, als seien sie Preisträger oder Olympiasieger oder Kriegshelden.

      Bethine verkniff sich das anzügliche Grinsen nicht, als sie intonierte: »Ich habe keine guten Nächte!«

      »Sehe ich so Scheiße aus?« Erschrocken fasste Jennifer sich an die Wangen und tastete ihre Augenwinkel ab.

      »Du siehst großartig aus«, sagte Herb, den sie im Verdacht hatte, in sie verliebt zu sein. Jedenfalls troff ihm der Neid auf Jeremy aus allen Poren.

      Der drückte sich an Bethine vorbei, die ihre Sojamilch wie eine Insignie vor sich hielt, und ließ sich einen Kaffee aus dem Synthetisator.

      Mathis sagte wie immer nichts. Er begrüßte sie mit einem scheuen Lächeln und widmete sich dann wieder seiner aktuellen Beschäftigung. Er baute eine Pyramide aus den Kunststoffdeckeln der Kanister der Synthetisatorflüssigkeit. Der Junge war ein Phänomen. Er war siebzehn, nur ein paar Monate älter als Jennifer und damit auf dem undankbaren zweiten Platz des jüngsten Kadetten aller Zeiten gelandet. Hochbegabt, wie alle hier, schweigsam und ein wenig – sonderbar. Wenn sie am Fluss waren, stapelte er mannshohe Skulpturen aus Steinen und Kieseln auf. Während der Seminare errichtete er Türme aus Speicherchips oder aus Selbstwärmbechern oder aus den Einmalpackungen der trockenen Kekse, die er ständig kaute. Selbst während der Mahlzeiten formte und bastelte er immer irgend etwas. Er schichtete komplizierte Strukturen aus banalen Materialien auf und schuf vergängliche Architektur aus Alltagsgegenständen. Er war ein Genie. Jennifer hatte während der Einweisung über eine Woche gebraucht, um herauszufinden, dass er nicht taubstumm


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