Der junge Häuptling. Liselotte Welskopf-Henrich

Der junge Häuptling - Liselotte Welskopf-Henrich


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Pitt begab sich zu seinesgleichen, zu den Rauhreitern, die für Sold an der Grenze dienten. Von einem dieser Männer wurde er sofort erkannt und laut begrüßt: »Pitt mit der Stummelnase! Mann! Was suchst du bei uns in der Wildnis? Warst du nicht am gelobten Missouri auf Fort Randall?!«

      Pitt stampfte, um die Füße zu erwärmen, spuckte aus, wischte mit dem Handrücken wässrigen Schleim von den Nasenlöchern und ließ sich auf die Wandbank an der linken Schmalseite des Hauses fallen. »Wo hast du den Brandy, Bill, du alter Knabe?«

      Ein lautes spöttisches Gelächter war die Antwort.

      »Was? Nicht einmal Brandy? Ich zahle!« Pitt war kein Säufer, aber doch ein kleiner Verschwender, wenn es um Branntwein ging. Er fingerte aus einer seiner vielen Taschen ein Geldstück heraus.

      »Spar dir deine Münzen! Die helfen dir hier nichts. Wir haben auch den letzten Tropfen längst versoffen! Wer redet überhaupt noch von Brandy! Von Munition reden wir hier, von Munition, mein Lieber!«

      Pitt trommelte auf die Tischplatte. Er war übermüdet und durchgefroren und hatte sich auf den Branntwein gefreut. »Gib mir wenigstens was zu fressen, Bill, du Hahnenkämpfer!«

      Der Angeredete schob Pitt eine Konservendose hin.

      »… das alles?«

      »Alles!«

      »Führt ihr hier ein Jammerleben!«

      »Schickt uns endlich fünfzig Mann Verstärkung, damit das mal anders wird und wir die verfluchten Indsmen zum Teufel jagen können!«

      »Indsmen! Mit den Indsmen werdet ihr nicht fertig?« Pitt hob mit seinem Messer das Salzfleisch aus der Konservendose heraus, verspeiste es hungrig, aber ohne Appetit, und kritisierte weiter. »Waschlappen seid ihr! Verkriecht euch doch hinter euren Urgroßmüttern! Mit den Indsmen nicht fertig werden! Wir sind fünf Tage geritten und haben keinen gesehen.«

      »Was nicht heißen will, dass sie euch nicht gesehen haben.«

      »Und gleich davongelaufen sind! Wo sich die Reiter von Fort Randall zeigen, da wagt keine Rothaut mehr, sich blicken zu lassen.«

      »Pitt, kurznasiger Freund, du kannst reden, als ob du Oberst Jackman in Person wärest. Ich sag dir aber das eine: ’n paar tüchtige Männer mehr brauchen wir und reichlich Munition! Sonst gehen wir in diesem Frühjahr mit Grundeis ab!«

      »Den Eindruck macht ihr! Aufs Haar genau. Aber wir werden euch helfen …«

      »Darauf warten wir! Mit Prahlereien ist uns aber nicht geholfen.«

      »… helfen, dass euch bunt vor den Augen wird. Ich habe einen Brief an euren Major dabei. Den kann er sich hinter den Spiegel stecken!«

      »Du bist’s, der den Brief bei sich hat?!«

      »Ich! Weil ich der Scout bin und jedermann angenommen hat, dass meine elenlederne Brusttasche immer noch der sicherste Ort für Kurierbotschaften sein dürfte.«

      »Aha! Doch noch ’n bisschen Respekt vor den Rothäuten!«

      »Respekt vor einem erfahrenen Grenzer, wie ich es bin. Wo ist denn euer Major Smith zu finden?«

      »Drüben in seinem Kommandantenhaus.«

      Pitt erhob sich. Der rangälteste der drei Dragoner war eben an der Tür erschienen und winkte ihm mitzukommen. Der Major wollte Brief und Meldung sofort entgegennehmen.

      Als Pitt und der Dragoner über den Hof zu dem einfachen, mit dem Wachturm versehenen Holzbau gingen, wirbelten ihnen wieder Sand und Schnee in den Nacken und in die Augen. Sie mussten die Klinke der Tür fest packen, sollte der Sturm die Tür beim Öffnen und Schließen nicht aus den Angeln reißen.

      In dem kahlen Arbeitsraum, am Eichentisch bei der Lampe, saß der Major, ganz allein. Er hatte gearbeitet und schaute jetzt auf. Pitt war überrascht. Der Major hatte, obgleich er noch nicht alt sein konnte, schon weißes Haar. Der Scout holte das Schreiben, das er als Kurier zu überbringen hatte, aus einer Innentasche seines Lederwamses.

      Major Smith las aufmerksam und gab Bescheid, dass sich der Kurier am kommenden Morgen wieder bei ihm melden solle, um das Antwortschreiben sofort nach Fort Randall zu bringen.

      Die Aussicht, schon mit dem nächsten Sonnenaufgang den Rückweg antreten zu müssen, verschlechterte Pitts Laune noch bedeutend. Er wäre am liebsten laut fluchend wieder hinausgegangen, machte auch schon eine halbe Wendung, als der Major ihn mit einem erstaunten, befehlenden Blick bleiben hieß.

      Der Kommandant las das Schreiben, das er erhalten hatte, ein zweites und ein drittes Mal. Dann wies er den Dragoner an, Leutnant Warner und den Rauhreiterführer Adams herbeizuholen.

      Das geschah, und mit dem Dragoner zusammen traten ein Leutnant und ein Rauhreiter ein. Pitt musterte nur den Letzten mit einigem Interesse. Der noch sehr junge Mann war mittelgroß, stämmig. Seine Hände schienen nicht die eines Schützen, sondern die eines Bauern zu sein, hart, breit ausgearbeitet. Der blonde Haarschopf, die hellen Augen ließen die sonnenverbrannte Haut dunkler erscheinen, als sie war. Auf den ersten Blick konnte Pitt sich noch nicht entscheiden, ob er diesen Rauhreiterführer als vollgültigen Westmann werde anerkennen können oder nicht.

      Der Major war sitzen geblieben, straffte aber seine Haltung und richtete den Blick auf den Leutnant. »Leutnant Warner! Adam Adamson! Das Schreiben, das mir soeben überbracht wurde, enthält einige entscheidende neue Richtlinien, die sofort unter der Truppe und unter den Rauhreitern bekanntzumachen sind. Bei den Rauhreitern von Mann zu Mann, das wirkt bei diesen Grenzern am besten. Verstanden, Adams?«

      »Ja.«

      Pitt grinste unverhohlen, als der Major sich über das Seelenleben von Grenzern äußerte. Er hätte dem Offizier darüber genauere Auskunft geben können.

      »Die Situation ist von Grund auf verändert«, erklärte der Major weiter. »Unsere bewaffneten Expeditionen haben bestätigt, dass die Goldvorkommen, die vor zwei Jahren in den nördlichen Black Hills entdeckt wurden, den bergwerksmäßigen Abbau erfordern und lohnen, und es ist bereits beschlossen, dass zu den Zentren des künftigen Bergbaus Bahnen gebaut werden, die von der Union-Pacific-Überlandbahn abzweigen. Das bedeutet … nun, was bedeutet das in Bezug auf unsere militärischen Aufgaben?«

      »Schade«, maulte Pitt.

      »Wie bitte?«

      »Ich meine nur«, erläuterte der ehemalige Cowboy und jetzige Scout und Kurier, »das mit den Bergwerken ist schade. Da kommt kein kleiner Mann mehr an das Gold ran.«

      »Die Bemerkung ist unerheblich und daher überflüssig. – Leutnant Warner?«

      »Unsere militärische Aufgabe ist es, die rebellischen Dakota aus den bezeichneten Gegenden wegzubringen.«

      Das war die Antwort, die der Major zu hören wünschte.

      »Richtig. Der Bürgerkrieg liegt ein Jahrzehnt hinter uns. Unsere Staaten sind gewachsen und erstarkt, aber Tausende von Einwanderern sind auf dem Weg, unsere Armee ist frei für neue Aufgaben. Der ferne Westen wird jetzt erschlossen. Wir werden uns nicht mehr in so unwürdiger Weise mit den Rothäuten herumschlagen, wie das noch beim Bau der Union Pacific und in den vergangenen beiden Jahren hier am Niobrara der Fall war. Die Dakota werden ab sofort gezwungen, sich auf die für sie bereits eingerichteten Reservationen zu begeben. Das Mörder- und Brandstifterhandwerk wird ihnen gelegt. Sie werden zivilisiert. Sie werden endlich lernen zu arbeiten.«

      Die vier Zuhörer bemerkten zu diesen Mitteilungen zunächst nichts. Sie warteten alle, ob der Major ihnen noch praktische Anweisungen zu geben habe. Als die Pause lange dauerte, nahm der Rauhreiterführer Adams noch einmal das Wort. »Der Termin, zu dem sich die Dakota auf den Sperrgebieten eingefunden haben sollten, war der 31. Januar unseres Jahres 1876. Aber wie hätten die Indsmen das mit Weibern und Kindern mitten im Winter schaffen sollen, selbst wenn sie es wollten? Sie haben keine Eisenbahnen und keine Landstraßen! Können wir nicht mehr Geduld aufbringen?«

      Pitt pfiff verächtlich über so viel Mitgefühl.

      Der Major runzelte


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