Leben auf brüchigem Eis. Eveline Luutz

Leben auf brüchigem Eis - Eveline Luutz


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      Eveline Luutz

       LEBEN AUF BRÜCHIGEM EIS

      Engelsdorfer Verlag

       Leipzig

       2015

      Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

       detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

      Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

      Alle Rechte beim Autor

      Titelfoto: Senior woman doing yoga meditation on beach

      © Ammentorp (Fotolia)

      Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

      1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

       www.engelsdorfer-verlag.de

      Ein Dankeschön an Carola und Luutzi

       für ihre wertvollen Hinweise und Korrekturen

      Inhaltsverzeichnis

       Cover

       Titel

       Impressum

       Dank

       1

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

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       11

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       16

       Epilog

      Bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr blieb mir meine Großmutter unbekannt. Ich sah sie regelmäßig zu Geburtstagen und auf Familienfeiern, ich trug denselben Namen wie sie und doch war sie mir fremd.

      Großmutter, auf diese Anredeformel bestand sie mir gegenüber hartnäckig, war für mich niemals eine Frau, die man einfach gern haben musste, von der Wärme und Herzlichkeit ausgingen. Sie verlockte mich nicht zum Ankuscheln, verleitete mich nicht, sie zu berühren und zu liebkosen. Auch sie liebkoste mich nicht. Weder strich sie mir sanftmütig über das Haar, noch drückte sie mir überschwänglich einen dicken schallenden Kuss auf die Wangen. Wenn sie mich bei der Begrüßung umarmte, blieb dies eine beinahe unwirkliche, flüchtige Geste, bei welcher ich mich nicht in den Arm genommen, nicht geborgen fühlte. Auch verkörperte meine Großmutter für mich zu keinem Zeitpunkt eine gute Freundin, der ein Kind seine großen und kleinen Geheimnisse anvertrauen konnte, bei der es Nachsicht und Hilfe erwarten durfte. Meine Großmutter wirkte auf mich allzeit ernst, kühl, nüchtern herb, ja geradezu ernüchternd. Selbst ihre Figur wies kaum weibliche Züge auf. Nichts an ihr war anheimelnd, rund und weich. Sie benutzte weder einen Lippenstift noch ein Parfüm. Für die rot lackierten Fingernägel meiner Mutter hatte sie nur Verachtung übrig. Ihre Kleider waren alle von einem fein nuancierten Grau, wie das Haar, das sie nicht färbte. Großmutters Kleidung beeindruckte durch die ausgesuchte Qualität der Stoffe und die gute Verarbeitung: Man sah ihr an, dass sie teuer war, nichtsdestotrotz blieb sie reizlos und unscheinbar, ganz das Abbild ihrer Trägerin. In meiner Großmutter begegnete mir eine kleine, hagere Person, der alles Weibliche fehlte. Sogar ihre Stimme klang hart, dunkel und herrisch.

      Bis heute weiß ich nicht mit Sicherheit zu sagen, ob meine Großmutter mich, ihre einzige Enkelin, mochte. Sie begegnete mir nicht mit offener, einladender Freude, sondern distanziert nüchtern, als sei die Zuwendung, die sie mir entgegenbrachte, eine Pflichtübung für sie. Mir gegenüber zeigte sie lediglich eine kühle, unprosaische Freundlichkeit. Niemals erlebte ich bei ihr einen Überschwang an Freude, ein Lächeln, das zu Herzen ging. Ich weiß nicht einmal, ob meine Großmutter sich freute, mich hin und wieder zu sehen. In all den Jahren, in denen meine Mutter, Großmutters jüngste Tochter, und ich in Krambzow wohnten, kam sie uns kein einziges Mal besuchen, als verspüre sie kein Bedürfnis, uns zu treffen oder mit uns zu reden. Immer waren wir es, die zu ihr nach Geestade fuhren, die den Kontakt aufrechterhielten.

      Hier, am Bodden, stand Mamas Elternhaus.

      Wir kamen nicht allzu oft; das Verhältnis zwischen meiner Mutter und meiner Großmutter blieb bis zum Schluss spannungsgeladen. Auch zu Griseldis, Mutters älterer Schwester, bestand keine innige Verbundenheit. Die beiden Schwestern hatten sich wenig zu sagen. Sie waren schon äußerlich so verschieden, dass ich zuweilen unkte, sie stammten von verschiedenen Eltern ab, seien dereinst im Krankenhaus vertauscht worden.

      Großmutter und Tante Griseldis lebten unter einem Dach, in dem großen Haus am Bodden, das mein Opa Max, der leider schon gestorben war, als ich geboren wurde, einst erbaut hatte. Wenn meine Mutter und ich in dieses Haus zu Besuch kamen, vermochte ich an Großmutters Gesichtszügen niemals abzulesen, ob ihr unser Kommen überhaupt etwas bedeutete.

      Im Gesicht meiner Mutter kann ich jederzeit wie in einem aufgeschlagenen Buch lesen. Ob ihr nach Lachen oder Weinen zumute ist, ob Sorgen sie quälen, ob sie nachdenklich oder nur einfach müde ist, all das geben ihre Züge unverhohlen preis. Freut sie sich, dann springt diese Freude offenkundig für jedermann aus Mamas Augen, umspielt ihren Mund und zeichnet Grübchen auf die Wangen. Der ganze Körper meiner schönen Mutter lacht dann, ihre Gesten und ihre Worte drücken Frohsinn und Heiterkeit aus.

      Großmutters Miene hingegen spiegelte nie irgendetwas; sie blieb immergleich starr, gerade so, als seien die Gesichtszüge irgendwann in dieser ausdruckslosen Pose erstarrt. Mama meinte, ihre Mutter trüge seit Jahrzehnten tagein und tagaus dieselbe Leidensmiene zur Schau. Tatsächlich hatten sich die herabgezogenen Mundwinkel tief in Großmutters


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