Populismus, Hegemonie, Globalisierung. Stuart Hall

Populismus, Hegemonie, Globalisierung - Stuart  Hall


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spezieller Fall ist. Wenn der Staat reguliert, leitet, Gesetze verabschiedet und ›legitim‹ erzwingt, dann, weil er Anspruch auf die Autorität erheben kann, es zu tun. Autorität ist Macht, zu deren Ausübung der Staat befugt oder ›autorisiert‹ ist.

      Die Legitimität der Staatsmacht, in modernen Gesellschaften zu herrschen, kann sich aus jeder der folgenden Weisen ergeben:

      1.Der Staat kann sich auf die seit langem bestehende, übliche und traditionelle Weise berufen, mittels der der Staat faktisch in der Vergangenheit geherrscht hat. Was Weber »die Autorität des ewig Gestrigen« nennt, ist einen sehr weiten Weg zur Schaffung einer rechtsstaatlichen Legitimität gegangen.

      2.In Zeiten extremer Gefahren oder Erschwernisse für den Staat können Personen, Gruppen oder gesellschaftliche Kräfte mit herausragenden oder charismatischen Fähigkeiten die Legitimität erlangen, besondere Macht im Staat auszuüben: Diktatoren, Militärführer, Anführer von popularen Bewegungen, die dafür das vorherige Regime, die Präsidenten in Kriegszeiten etc. stürzen.

      3.Staatsgewalt wird legal erworben. Dies ist die vorherrschende Weise der Legitimität in modernen liberalen Demokratien. Die Macht wird formell festgelegt und beansprucht, wird in einem formalen, korrekten öffentlichen Verfahren eingesetzt, nimmt Gestalt an durch das Recht, durch Regulierungsvorschriften, durch die Verfassung oder verschiedene ›Gründungsdokumente‹. Das Recht ist ein abstraktes System von Regeln: für alle eingeführt und gültig, universell anwendbar, nicht nur für den Einzelfall. Daraus folgt: Wenn Macht legal erworben wurde, trägt sie den Stempel der Legitimität. Legalität und Legitimität sind in modernen Rechtsstaaten eng miteinander verknüpft. Die Tatsache, dass die Macht, die legal bestimmt wird, durch denselben Prozess widerrufen werden kann, legt nahe, dass sie nicht absolut ist und ewig währt, sondern vorbehaltlich, veränderlich bleibt – und somit ein Prüfstein für den willkürlichen Gebrauch der Staatsgewalt ist. Legalität garantiert weder, dass der Staat solche Macht innehaben sollte, noch dass er sie ordnungsgemäß nutzt.

      4.In modernen, liberal-demokratischen Staaten umfasst Legitimität die Formen, durch die die Bürger repräsentiert werden oder durch die sie in formalen Wahlverfahren zustimmen, dass der Staat Macht ausüben soll. Dies bedeutet, dass jeder Staat, der erfolgreich den Anspruch monopolisiert, dass er »dem Volk gibt, was es wünscht«, gut aufgestellt ist, um seinen eigenen Mächten und Politiken Legitimität zu verleihen.

      Die Frage nach der Souveränität

      Die Auffassung vom modernen Staat ist eng verkpnüft mit der Vorstellung von Souveränität. Souveränität bedeutet, dass der Staat die höchste Autorität ist und daher weder einer ausländischen Macht noch einer rivalisierenden Macht im Inland unterworfen ist. In Russland gab es zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution im Jahr 1917 nicht ein, sondern zwei miteinander konkurrierende Machtzentren: die Kerenski-Regierung und die rivalisierenden ›Sowjets‹ der Arbeiter, Soldaten und Bauern. Dies war eine Situation der ›dualen Macht‹: die Stabilität des Staates war deswegen eindeutig ›provisorisch‹. Der Staat »kann innerhalb seines eigenen Territoriums keine Rivalen als gesetzgebende Macht und als Objekt der Gefolgschaftstreue haben« (Skinner 1978: 351).

      Andere Machtzentren innerhalb des Staates müssen ihm untergeordnet werden; oder der Staat delegiert Macht an sie, z. B. bestimmte Machtbefugnisse an lokale Autoritäten; der Staat ermächtigt andere gesellschaftliche Kräfte oder – bei einem Mangel an Gesetzgebung – er ›bewilligt‹ ihnen die entsprechende Aufgabe und Funktion.

      Der Staat ist kein alleiniges Machtzentrum; er hat viele Zentren der Autorität. Aber es muss eine stringente bzw. hierarchische Machtordnung bestehen. Richter verfügen über sehr umfangreiche Machtbefugnisse in ihren Gerichten; aber sie müssen den Präzendenzfällen, die ihre Gerichte beschließen, und auch bei ihren Gerichten eingelegten Berufungen folgen, weil die Gerichte in der rechtlichen Hierarchie über ihnen stehen – in einer geschlossenen Machtkette bis hin zum Britischen Oberhaus als rechtsprechende Berufungskommission. In diesem Sinne ist die Vorstellung vom modernen Staat zentralistisch.

      Souveränität ist ebenso in komplexer Weise an das ›Territorium‹ gekoppelt. Es hat sich als unmöglich erwiesen, den Begriff ›Staat‹ im Verhältnis zu einer Bevölkerung ohne dauerhaftes Siedlungsgebiet zu gebrauchen. Die Bindung zum Land bleibt ein machtvolles Element im Komplex der Haltungen und Gefühle, die für Souveränität mobilisiert werden. Daher winden sich Nationalismus und Nation eng um die Wurzeln des modernen Staates. Z. B. argumentierte Enoch Powell während des Kriegs um die Falkland-Inseln im Jahr 1982, dass die britische Souveränität an diesem menschenfeindlichen Fleck Erde an sich hafte, selbst wenn kein einziger Siedler mehr auf den Inseln verbleibe. Der Staat muss der »alleinige Träger des Imperiums (der Herrschaft) innerhalb seiner eigenen Territorien sein« (352).

      Wie das baskische Volk eine leidenschaftliche Loyalität für ein von Spanien getrenntes Territorium zeigt, verteidigt die Mehrheit der nordirischen Katholiken ihre Loyalität für eine geeinte irische Republik; aber in keinem dieser Fälle ist das ›Territorium‹ ihr Staat. ›Territorium‹ und ›Staat‹ sind daher nicht dasselbe. Dennoch hat das Territorium Bedeutung für die Definition von Souveränität, zum Teil im Sinne der ›Zugehörigkeit‹ (Loyalitätsempfindungen) als einem wichtigen Bestandtteil für die Mitgliedschaft in einem Staat; aber hauptsächlich aufgrund der Notwendigkeit, die Grenzen der Macht und Rechtszuständigkeit festzulegen. Es muss einen Weg geben, zu bestimmen, welche Teile im Staat vereint werden, wie weit seine räumliche Herrschaft reicht, wo die Grenzen seiner Herrschaft verlaufen und wo die Zuständigkeit eines anderen Staates beginnt. Dies wird als ›territorial‹ bezeichnet – selbst wenn, wie im Fall der meisten Imperien, die Territorien nicht aneinandergrenzen, sondern weltweit verstreut sind.

      Die Ansprüche auf Souveränität sind sicher nicht strikt ›rechtmäßig‹, aber sie gründen gänzlich im Besitz eines Territoriums oder in dessen Eroberung mit Gewalt. Der größte Teil des britischen Imperiums des 19. Jahrhunderts wurde durch solche Mittel erworben. Aber wenn Herrschaft effektiv durchgesetzt wurde – wenn der ›Besitz‹ vollständig und unbestritten ist –, wird die de facto-Souveränität der eingedrungenden Macht anerkannt. Großbritannien verblieb, als es erfolgreich die argentinische Okkupation der Falkland-Inseln bezwungen hatte, als ›souveräne Macht‹ – die einzige »ohne Rivalen innerhalb [des Territoriums] als gesetzgebende Macht und Objekt der Gefolgschaftstreue« –, wie auch immer die (sehr komplexe) rechtliche Position aussieht.

      Eine öffentliche und separate Autorität

      Eine weitere der charakteristisch modernen Vorstellungen vom Staat ist die des Staates als einer öffentlichen Macht, unabhängig vom Herrscher und von den Beherrschten.

      Im Absolutismus waren Herrscher und Staat, Individuum und Öffentlichkeit oft ununterscheidbar. Die moderne Vorstellung vom öffentlichen Wesen des Staates entstand demnach im Zuge des Kampfes gegen den Absolutismus. In der modernen Auffassung sollte der Staat nichts Geheimes, keine private Angelegenheit sein. Es ist etwas im Gange in der Welt, allseits bekannt und anerkannt, es nimmt die Macht einer etablierten rechtmäßigen Autorität ein, allgemein bewährt durch öffentliche Prozesse. Deshalb wurde es notwendig, zwischen Staatsamt und Amtsinhaber zu unterscheiden. Die Staatsmacht wurde neu als abstrakte Macht bestimmt, unabhängig von den aktuellen Amtsinhabern. Herrscher kommen und gehen, aber die Autorität des Staates lebt weiter: »Der König ist tot. Lang lebe der König!« Das Amt im Staate kann somit als unpersönlich hinsichtlich seiner Rollen, Befugnisse und Funktionen bestimmt werden.

      Das ist ein Teil des umfassenderen Prozesses, in dem die Staatsmacht nun als systematisch und planvoll begriffen wurde, und nicht mehr als willkürlich und unberechenbar. Der Staatsmacht wird nicht mehr unterstellt, dass sich ihre Praktiken je nach Laune und Willkür des Herrschers wandeln – wie es seinerzeit Edward Coke, Oberrichter, im 17. Jahrhundert während des Kampfes des Parlaments gegen den König auf den Punkt brachte: es sei recht für das Recht, sich »mit der Fußgröße eines Justizministers« zu wandeln. Das mächtigste Druckmittel, das gegen einen König eingesetzt werden konnte, der Anspruch auf Göttlichkeit erhob und dessen willkürliche Launen keine Restriktion erfuhren, war das Beharren darauf, dass seine Herrschaft veranwortungsvoll und durch das Recht begrenzt sein sollte. Das Recht verlieh dem Volk ein öffentliches Kriterium, um das


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