Mädchen und Frauen in der deutschen Jugendbewegung im Spiegel der historischen Forschung. Christiane Kliemannel
href="#ulink_d0abc15b-7ee6-5524-b991-c7b2043a3f54">Anhänge
Vorwort
Die hier vorliegende Untersuchung wurde am 31. 05. 2005 als Magisterarbeit an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt eingereicht und von Prof. Jürgen Reyer und Prof. Theresa Wobbe geprüft, anerkannt und mit der Note 1,0 bewertet.
Inhaltlich befasst sie sich mit der Rezeptionsgeschichte der Mädchen und Frauen in der deutschen Jugendbewegung (weiblichen Jugendbewegung) in der historischen Forschung (1912 - 2003). Sie versteht sich, zum einen als Aufarbeitung der diversen Publikationen zum Thema, zum anderen soll sie den Interessenten an der weiblichen Jugendbewegung als Einführung und Nachschlagewerk dienen. Denn die Auswahl und Unterschiedlichkeit der Publikationen auf dem Forschungsgebiet der deutschen Jugendbewegung und ihrer weiblichen Mitglieder mag zwar überschaubar sein, im Vergleich zur wissenschaftlichen Beachtung der männlichen Jugendbewegten, jedoch bürgen diese für Experten und noch mehr für Einsteiger durchaus Überraschungen, Enttäuschungen u. a. Hier versucht die Arbeit Aufklärung zu betreiben. Darüber hinaus bietet die Untersuchung eine Darlegung der Wissensbestände bzw. Entstehungshintergründe, in denen die jeweiligen Publikationen entstanden sind, und arbeitet unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Geschlechterforschung den Wandel der Geschlechtersemantik in jenen Studien heraus, spezifiziert an den Semantiken bzw. den bereits in der Jugendbewegung etablierten Weiblichkeitsvorstellungen der Kameradin, der bürgerlichen Frau und Mutter.
Entstanden ist die Idee für diese Untersuchung durch persönliche Kontakte zu Nachfahren der Jugendbewegung und der Wandervögel, denen ich für ihre Inspirationsgabe danke. Die Fertigstellung und letztendliche Veröffentlichung der Arbeit in dieser Form wäre ohne die Hilfe und Unterstützung der folgenden Personen nicht möglich gewesen, denen ich an dieser Stelle meinen Dank ausdrücken möchte: meinen/meiner BetreuerIn und PrüferIn der Universität Erfurt, dem Archiv der deutschen Jugendbewegung, Daniel Junker; meiner Familie, meinen Freunden und D.R.. Im Besonderen möchte ich mich aber bei meinem Mann Holger Kliemannel für seine diversen Unterstützungen, seine Ratschläge, seinen Ansporn und seine Aufmunterungen bedanken.
Christiane Kliemannel, Remda-Teichel im Oktober 2006
Einleitung
Die deutsche Jugendbewegung bzw. klassische oder historische Jugendbewegung, die um die Jahrhundertwende begann und bis in das „Dritte Reich“ hineinreichte, gilt als eine soziale Bewegung, die auf die Gesellschaftsgeschichte Deutschlands bemerkenswerten Einfluß genommen hat. Angesichts dessen ist es zunächst überraschend, daß unter der Fülle an Literatur und historischen Untersuchungen1 zur deutschen Jugendbewegung kaum Studien zu deren weiblichen Mitgliedern zu finden sind und vergleichsweise wenig über die Rolle der Mädchen und Frauen2 innerhalb der deutschen Jugendbewegung gesagt wurde bzw. wird (vgl. Schade, 1996, S. 14).
Forschungsliteratur
Bei einer ersten Betrachtung der Literatur, die zu diesem Thema existiert, stößt man heute auf eine Reihe an Studien zu den weiblichen Jugendbewegten von Forscherinnen, die sich seit den achtziger Jahren des 20. Jh. im Rahmen der Geschlechterforschung mit dem Thema auseinandersetzen. Aus diesem heutigen Blickwinkel ist auch meine Arbeit geschrieben worden. Neben Bestandsaufnahmen der Organisationen und ihrer historischen und ideologischen Entwicklung entstanden in diesem Forschungsbereich Darstellungen einzelner Mädchenbünde sowie Aussagen bzw. intensive Untersuchungen über die spezifischen Weiblichkeitskonstruktionen der weiblichen Jugendbewegung.3 In jenen Schriften findet sich zumeist ein Verweis auf die Studie „Die Frau und die Jugendbewegung“ (1920) von Elisabeth Busse-Wilson, die sich als erste Forscherin ausführlich mit den Mädchen bzw. Frauen in der deutschen Jugendbewegung beschäftigt hat.4 Dies ist ein Hinweis darauf, daß man sich schon vor den achtziger Jahren des 20. Jh. mit den Mädchen und Frauen in der deutschen Jugendbewegung in der historischen Forschung befaßt hat. Das Besondere an dieser Studie ist, daß sie bis in die achtziger Jahre hinein eine der wenigen zusammenhängenden Arbeiten zur Situation der Mädchen und Frauen in der deutschen Jugendbewegung darstellte, denn über die Jahrzehnte hinweg lassen sich nur vereinzelte veröffentlichte und unveröffentlichte Untersuchungen und Erwähnungen (Artikel, usw.) zu diesem Thema finden.5 Doch auch diese haben für die heutige Forschung auf diesem Gebiet nicht an Bedeutung verloren, da sie zum Teil noch sehr intensiv darin rezipiert werden (vgl. Andresen, 2003, Klönne,6 2000/1990; Schade, 1996). In der aktuelleren Forschung wird auch der Versuch gemacht, die bisher verfaßten Studien in Epochen bzw. thematisch einzuordnen (vgl. Klönne, 1990, S. 8 ff, Schade, 1996, S. 15 ff).7 Jedoch habe ich keine einzige Arbeit finden können, die sich explizit mit der Rezeptionsgeschichte der weiblichen Jugendbewegung befaßt. Es existiert keine umfassende Analyse der Rezeption der Mädchen und Frauen der deutschen Jugendbewegung in der historischen Forschung.
Fragestellung
Aus diesem Grund möchte ich mich in dieser Ausarbeitung damit beschäftigen, wie sich die historische Forschung mit dem Thema Mädchen und Frauen in der deutschen Jugendbewegung auseinandergesetzt hat. Dabei werde ich in meiner Untersuchung die Jugendbewegung in dem Zeitraum von 1901 (Begründung des Wandervogels) bis 1933 (Beginn des „Dritten Reiches“) beleuchten. Im Zentrum dieser Arbeit steht folglich die Frage, ob und inwiefern die Mädchen und Frauen in der deutschen Jugendbewegung in den wissenschaftlichen Forschungen behandelt wurden. Ich werde in dieser Arbeit nicht nur implizit, sondern auch explizit mehrere Rezeptionsphasen unterscheiden. Zum einen unterscheide ich historisch die zeitgenössischen (1901 - 1933) und nationalsozialistischen Rezeptionen sowie diejenigen nach 1945 und die gegenwärtigen Rezeptionen (bis 2003). Zum anderen wähle ich eine wissenssoziologische Perspektive: Welches Wissen stand ForscherInnen zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt zur Verfügung, und in welchen Wissensfeldern haben sie das Problem behandelt, welche politischen, kulturellen und sozialen Resonanzen sind darauf zu identifizieren?
Aufgrund der Fülle an Literatur, die es zum Thema deutsche Jugendbewegung gibt, werden in dieser Arbeit vorwiegend jene Werke bzw. Untersuchungen berücksichtigt, die in den aktuelleren Studien der ForscherInnen ab den achtziger Jahren des 20. Jh. erwähnt werden. Im wesentlichen werde ich mich jedoch aufgrund der mir vorliegenden Quellen auf die bürgerliche Jugendbewegung beziehen müssen, da andere Strömungen, wie konfessionelle, proletarische und Pfadfinder-Jugendbewegung, in der Literatur weniger Beachtung gefunden haben.8
Daneben liegt ein weiterer Schwerpunkt dieser Ausarbeitung auf der Frage, wie die weibliche Jugend bislang in den wissenschaftlichen Untersuchungen betrachtet wurde. Anhand welcher Leitbegriffe, Vorstellungen von Geschlechterbeziehungen und -verhältnissen9 und Weiblichkeitsbildern/-konstruktionen10 (Kameradin, Frau und Mutter) ist die weibliche Jugendbewegung rezipiert worden? Hat sich die Sichtweise auf die Mädchen und Frauen im allgemeinen und hinsichtlich der eben genannten Punkte im Laufe der Zeit in jenen Studien möglicherweise verändert? Lassen sich über die verschiedenen Jahrzehnte wissenschaftlicher Forschung hinweg eventuelle Ähnlichkeiten und Differenzen erkennen? Wenn ja, welche Schwerpunkte wurden gesetzt, und sind vielleicht neue Gesichtspunkte in den Studien hinzugekommen?
Zur Beantwortung dieser Fragen sind die Untersuchungen der beiden Forscherinnen Leupold und Reese11 zum kulturellen Wandel in dem Verständnis der Geschlechterbeziehungen in dieser Arbeit grundlegend: Danach wurde seit Beginn der bürgerlichen Gesellschaft, aus der auch die Jugendbewegten entstammten, der Verhaltenskodex in den Geschlechterbeziehungen immer weniger von Liebe und Sexualität bestimmt, wie sie für Intimbeziehungen bzw. die Ehe bestimmend sein sollte. Dafür gewann das Konzept der Kameradschaft unter Ausschluß von Liebe und Sexualität (Reese, 1993, S. 59), wie sie für gesellschaftliche Beziehungen bzw. Außenbeziehungen bestimmend sein sollte, immer mehr an Bedeutung (vgl. Leupold, 1983, S. 298). Diese Vorstellungen von Geschlechterbeziehungen glaubt Reese auch in der deutschen Jugendbewegung wiederzufinden, und zwar in Form des Konzepts der Kameradschaft bzw. des Weiblichkeitsbildes der Kameradin. Dieses beschränkte sich im Kontext der Jugendbewegung auf die jugendspezifische Altersgruppe, während es zuvor, im 19 Jh., auch in der bürgerlichen Gesellschaft erfolglos erprobt wurde (vgl. 1991, S. 9). Weiterhin wird in dieser Arbeit deutlich werden, daß die Kameradschaft in der Rezeptionsforschung zur weiblichen Jugendbewegung