Das Lebende Universum. Duane Elgin
und wenn wir unsere Zeit auf Erden im Grunde als einen Kampf ums materielle Überleben betrachten, dann ist es für uns Menschen sinnvoll, uns in diesem Konflikt voneinander abzugrenzen. Wenn wir das Universum jedoch als quicklebendig empfinden und unsere Zeit auf der Erde als eine Entdeckungsreise in diese Lebendigkeit, dann ergibt es Sinn, wenn wir uns zusammentun und gemeinsam an der Umsetzung dieses großartigen Potenzials arbeiten.
Konsumverhalten oder bewusste Schlichtheit?
Der Materialismus ist eine rationale Antwort auf das Leben in einem toten Universum. In einem materiellen Universum bietet Konsum eine Identitätsquelle und ein Mittel, um Bedeutung und Leistung zu erreichen. Woran habe ich in einem leblosen Universum Spaß und Freude? An Objekten. Wie weiß ich, dass ich etwas wert bin? An dem, wie viel Besitz ich angesammelt habe. Welchen Bezug zur Welt sollte ich haben? Den der Ausbeutung dessen, was tot ist (das Universum) zugunsten der Lebenden (ich selbst). Konsum und Ausbeutung sind die natürlichen Folgen einer Perspektive vom toten Universum. Doch wenn wir die Fundamente des Universums als quicklebendig ansehen, ergibt es Sinn, den materiellen Überfluss und unnötigen Aktivismus zu minimieren und im nichtmateriellen Reichtum des Lebens zu wachsen – den wohltuenden Beziehungen und liebevollen Gemeinschaften, dem Ausdruck von Kreativität und anderen Dingen.
Sind wir voneinander getrennt oder miteinander verbunden?
Wenn wir nicht mehr als biologische Einheiten und grundsätzlich voneinander getrennt sind, ist es verständlich, zu glauben, wir wären vom Leid anderer Lebewesen abgetrennt. Doch wenn wir alle im selben Meer der subtilen Lebendigkeit schwimmen, ist es sinnvoll, die Verbundenheit mit und Sorge um das Wohlbefinden anderer direkt zu erleben. Wenn wir dieselbe Matrix der Existenz teilen, dann berührt der Rest an Leben mich längst und erzeugt das Feld, innerhalb dessen ich existiere, mit.
Wer und was sind wir?
Sind wir nicht mehr als eine Sammlung von Elementen, die eine Reihe chemischer und neurologischer Reaktionen erleben? Ist an uns mehr dran als unsere materiell-biologischen Komponenten? In einem toten Universum werden die Grenzen unseres Wesens durch die Umrisse unseres physischen Körpers definiert. Aber in einem lebendigen Universum wird unsere körperliche Existenz von einer Lebendigkeit durchzogen und aufrechterhalten, die sich nicht von der Lebendigkeit des Universums trennen lässt. Wenn wir Wesen sind, deren Bewusstsein über unseren biologischen Körper hinausgehen kann und bis in die entferntesten Ecken des lebendigen Universums zu dringen vermag, dann stellt unser physischer Körper nur den kleinsten Bruchteil des gesamten Ausmaßes unseres Wesens dar.
Das sind nur ein paar der grundsätzlichen Wege, wie unsere Einstellung zum Leben sich radikal unterscheiden kann, abhängig davon, welche dieser beiden Sichtweisen realer erscheint. Der Alltag ist selbstverständlich nicht immer so eindeutig, wie diese Polaritäten ausmalen. Wichtig ist, dass es enorme Folgen für unsere individuelle und auch kollektive Zukunft hat, ob wir das Universum in seinen Grundmauern als tot oder lebendig ansehen.
Generell glaube ich nicht, dass die menschliche Gemeinschaft eine neue Beziehung zueinander und zur Erde aufbauen kann, solange wir nicht auch eine neue Beziehung zum Universum aufbauen. Diese neue Perspektive hat Konsequenzen zur Folge, die unser ganzes Leben verändern.
1
Das erste Wunder
Zuerst ist die Natur unbegreiflich,
Sei nicht entmutigt, fahre fort,
Es gibt göttliche Dinge, gut entwickelt,
Ich schwöre dir, es gibt göttliche Wesen,
die sind schöner als tausend Worte.
Walt Whitman1
Indianische Mythen sprechen von drei Wundern. Das erste Wunder ist, dass alles überhaupt existiert. Das zweite Wunder ist, dass lebendige Wesen existieren. Das dritte Wunder ist, dass Lebewesen existieren, die sich ihrer Existenz bewusst sind. Als Menschen, die sich ihrer bewusst sind, sind wir das dritte Wunder.2
Wenn wir uns bewundern, dürfen wir das erste Wunder nicht übersehen: die natürliche Welt, in der wir zuhause sind. Wenn wir das erste Wunder übersehen und uns im größeren Universum nicht beheimatet fühlen, ist es uns unmöglich, eine Heimat in uns selbst oder bei anderen zu finden. Die Heimreise, auf der wir wieder Verbindung zum ersten Wunder des Universums um uns herum und in uns selbst aufnehmen, ist ein Thema, das sich durch das ganze Buch zieht.
In unserem langen evolutionären Aufstieg zum dritten Wunder des Selbst-Bewusstseins haben wir uns von unserer Verbundenheit zur Natur und dem ersten Wunder entfernt. Ich halte das für einen natürlichen und zweckmäßigen Prozess. Die Familie der Menschen befindet sich auf einer kollektiven Reise des Erwachens, und in der ersten Phase war es unsere evolutionäre Aufgabe, uns von der Natur zu lösen und unser Gefühl von Identität und Stärke zu entwickeln. Nun haben wir dies so erfolgreich gemeistert und sind so mächtig geworden, dass wir das Klima aus seinem Gleichgewicht gebracht haben, kostbare Ressourcen verschwenden, Waffen zur Massenzerstörung verbreiten und die Erde übervölkern. Wir sind an einer evolutionären Mauer angelangt und werden durch Notwendigkeit gezwungen – und durch Gelegenheit verführt –, auf unserer evolutionären Reiseroute eine große Kehrtwende zu machen. Aber wie finden wir zum lebendigen Universum zurück? Wie können wir uns im Universum zuhause fühlen?
Um unsere Wertschätzung des Universums zu verbessern, sollten wir uns vier wissenschaftliche Erkenntnisse ansehen, die den Rahmen für unsere systematischeren Untersuchungen in den nächsten Kapiteln bilden. Diese vier Erkenntnisse erfüllen mich jedes Mal mit Staunen.
Wir sind Riesen
Wenn wir uns das unfassbar große Universum mit seinen Milliarden von kreisenden Galaxien ansehen, scheint sich daraus die natürliche Schlussfolgerung zu ergeben, dass wir sehr klein sind. Wenn wir ein Universum betrachten, das Billiarden über Billiarden Kilometer umfasst, wäre es nur logisch, uns im Vergleich zu diesen kosmischen Ausmaßen für unbedeutend zu halten. Doch diese Schlussfolgerung über unsere eigene Größe, die unser gesunder Menschenverstand uns suggeriert, ist ein großer Irrtum. Wir sind keine Winzlinge. Im Vergleich zu den generellen Maßen des Universums sind wir Riesen!
Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Lineal, das vom größten Maß des uns bekannten Universums bis zum kleinsten Maß reicht. Auf der Seite der größten Maße erkennen wir Milliarden von Galaxien. Jede von ihnen besteht aus Milliarden von Sternen wie unsere Sonne. Auf der Seite der kleinsten Maße reisen wir im Kern eines Atoms tief in die Welt der Quarks und noch weiter – bis an die Fundamente der Existenz und das, was die »Plancksche Länge«3 genannt wird. Wenn wir uns Menschen auf der Skala wiederfinden wollen, dann sind wir ungefähr in der Mitte angesiedelt4 wie die folgende Grafik zeigt. Die erstaunliche Erkenntnis der Wissenschaft lautet, dass es in unserem Inneren mehr kleine Maße gibt, als es außerhalb von uns große Maße gibt.
Die Größe der Menschheit auf der kosmischen Skala
Im kosmischen Schema sind wir eigentlich Riesengeschöpfe, die in der Mitte des Spektrums der kosmischen Existenz leben. Uns für klein zu halten ist eine völlig falsche Sicht. Wir sollten über unsere eigene Größe genauso staunen wie über die enorme Größe des Universums. Das Universum erreicht unvorstellbar kleine Ebenen in uns. Wir halten schon die Ebene der Atome für klein, doch die Kleinheit der Atome ist von den wahrhaftig winzigen Ebenen in den Grundlagen der Existenz noch weit entfernt. Die Tatsache, dass eine riesige Menge an harmonierenden Aktivitäten in den enormen Zwischenstufen zwischen der Ebene der Atome und der Ebene der winzigsten Teilchen stattfindet, ist wahrscheinlich.
Wissenschaftler halten unsere Körpergröße für die ideale Größe der Menschen.