Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben?. Barbara Kohout

Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben? - Barbara Kohout


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Festtag. Vater Horváth war schockiert. Die Patienten mussten mit geplatschtem Kukuruz ( Popcorn) zufrieden sein, weil Karfreitag war. Auch die gläubigen Katholiken fasteten. Der Geistliche dagegen schlemmte ausgiebig. Fortan hielt mein Urgroßvater die Religion für pure Heuchelei.

      Beinahe unmerklich spitzten sich die Probleme in der großen weiten Welt zu, eine weltumspannende Katastrophe schien unausweichlich. Von dieser Entwicklung blieb kein Land, keine Stadt, keine Region ausgeschlossen. Auch Stanischitsch nicht.

      Zunächst spürte die Bevölkerung die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise. Die technische und industrielle Entwicklung veränderte das Leben grundlegend. Es wurden immer mehr Eisenbahnen, Autos und Dampfmaschinen gebaut. Das beflügelte die Industrieproduktion. In Stanischitsch verkaufte man etwa ab 1930 auf dem Wochenmarkt und später auch in den Kolonialwarengeschäften erstmals Schuhe aus Fabrikherstellung. Der tschechische Schuhfabrikant Bata errichtete bei Vukovar eine Schuhfabrik. Er überzog das Land mit einem dichten Netz von Verkaufsstellen. Er führte den Verkauf zum Festpreis ein. Dieser endete immer auf die Zahl 9. Feilschen war nicht mehr möglich. Die Preise waren so niedrig, dass die Schuhmacher allmählich ihre Kundschaft verloren. Auch die Opanken - oder Patschkermacher hatten gegen das moderne Schuhwerk keine Chance. Die drei Werkstätten in Stanischitsch wurden mangels Aufträgen geschlossen. Ein Traditionshandwerk begann auszusterben.

      Andererseits schwand durch die immer höhere Zahl von Arbeitslosen die Kaufkraft. Für immer mehr Geld gab es immer weniger zu kaufen. Das traf insbesondere kinderreiche Familien, wie die Familie meiner Großeltern, die am 14. November 1928 um ein weiteres Mitglied wuchs: meine Tante Anna. Für die Älteste hieß das, neben der Schule und den Schularbeiten viele zusätzliche Pflichten zu übernehmen. Sie hatte die jüngeren Geschwister zu beaufsichtigen und im Haushalt und bei der Versorgung der Tiere mitzuhelfen. Kind zu sein, war ein Luxus, den sich Kinder der mittleren und ärmeren Einkommensschichten vielfach nicht leisten konnten.

      Die reiche Verwandtschaft meiner Großeltern ließ sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit deutlich spüren, dass sie nicht standesgemäß genug waren. Zu Weihnachten und Ostern war es Brauch, dass sich die Kinder bei Onkel, Tanten, Taufpaten und Großeltern ihre Geschenke abholten. Großvater gab jedem seiner Kinder eines der Tücher, die er beim Rasieren für die Kundschaft benutzte. Er knotete sie zu Beuteln zusammen. Die Tanten gaben jedem Kind einen Apfel und eine Orange, ganz selten auch ein Stückchen Schokolade. Das war das Mindeste, was sie, ohne das Gesicht zu verlieren, geben mussten. Aber es signalisierte eindeutig die Geringschätzung. Mehr war ihnen ihre Verwandtschaft nicht wert. Wenn es nicht die Tradition verlangt hätte, die Englert-Kinder wären an den Festtagen nicht zu ihren Verwandten gegangen.

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