Vegane Waffeln. Claudi Feldhaus
hohe Schränke und Regale voller Förmchen, Teigrollen, Spritzbeutel und Tüllen, eben mit allem, was das Bäckerherz höherschlagen ließ. Ein klassischer Ofen mit vier Herdplatten, den ich noch von Oma Susi übernommen hatte, stand an der Wand zum Versorgungsschacht. Dort befand er sich seit 1995, als Oma das einzige Mal die Küche hatte renovieren lassen. Sie war im selben Jahr in dieses Haus an der Allee der Kosmonauten eingezogen, in dem es gebaut worden war: 1979.
Zwischen dem alten Ofen und einem neueren Exemplar mit Ceranfeld, das uns Pamis Vater günstig besorgt hatte, stand die Spüle. In Ermangelung eines Geschirrspülers wuschen wir alle Töpfe und Formen in dem viel zu kleinen Becken ab. Dahinter lag das kleine Bad mit Wanne und Waschmaschine. Die Kühlschränke befanden sich einen Raum weiter. Dieser war dank seiner Ausrichtung nach Norden immer etwas kühler, deshalb bewahrten wir dort auch die Dosen, Milchkartons, Früchte und alles andere Verderbliche auf.
Im Sommer 2014 hatten wir unser kleines Unternehmen gegründet und nun, ein Jahr später, machten wir uns langsam einen Namen. Vornehmlich beauftragten uns Prenzlberg-Muttis, F-Hainer Start-up-Unternehmen und ab und an auch PETA. Viele Kunden fühlten sich geil dabei, einer alleinerziehenden schwarzen Bäckerin und ihrer hässlichen weißen Freundin eine Chance zu geben. Und dann überraschte sie die Tatsache, wie verdammt lecker unsere Backwaren waren. Pami verstand es, ihre Konditorausbildung und nicht zuletzt ihr angeborenes Talent für den Backofenzauber mit dem Hipster-Wunsch nach Fairtrade und veganem Essen zu vereinen. Die meisten, die ansonsten nur Dinkelstangen und Fruchtschnitten knabberten, erlebten einen Geschmacksorgasmus, wenn sie in unsere Cupcakes, Torten oder Waffeln bissen. Ich war bei uns die Frau fürs Feine: Buchhaltung, Rechnungslegung, Bestellung, Marketing, zumeist lieferte ich auch aus.
»Hey, es ist j-ja sch-schon vier!«, rief Lina plötzlich, und wir wussten, was das hieß.
Das Kind wollte zum Wing Tsun. Die kleine Kampfsportschule lag nur zwei Tramstationen von meiner Wohnung entfernt. Also setzten wir Lina davor ab. Einmal unterwegs, nutzten Pami und ich die Gelegenheit und fuhren ins Dong Xuan Center. Wir kauften stiegenweise Kokosmilch und Mangos in Dosen und ließen uns danach auf der stylischen Terrasse des »Việt Phồ« nieder, um endlich mal wieder über Pamis Dates zu quatschen. Vor ihrem Kind unterließen wir das. Ich erfuhr alles über Kusstechniken, geschickte Finger und Zungen sowie die Regeln zum Bezahlen des romantischen Dinners und zum Anrufen am nächsten Tag.
»Wer räumt die Ware ein, wer darf in den Erwachsenenkurs?«, fragte ich schließlich, um das Gespräch wieder in seriöse Bahnen zu lenken.
»Schnick, Schnack, Schnuck, drei Runden!« Pami grinste und ballte ihre filigrane Hand zur Faust.
Da ich wusste, dass sie sich meistens für den Stein entschied, gewann ich und durfte zur Wing-Tsun-Stunde, die nach dem Kurs für Kinder stattfand.
Kaum hatten wir uns erhoben, warf Pami dem Typen am Nachbartisch einen Blick zu. Als er mitbekam, dass wir uns zum Gehen wandten, schaute er von seinem Buch auf und sah Pami direkt an. Sie schenkte ihm ein galant-cooles Lächeln, er zog interessiert eine Braue und einen Mundwinkel hoch. Dann schaukelte Pami ihren Prachtpo an ihm vorbei, ohne sich umzusehen. Sie konnte das einfach – Kerle angrinsen, flirten und so. Sie hatte es manchmal sogar drauf, die Typen anzusprechen. Ich zog die Schultern zusammen und wuselte hinter ihr her, blieb also in meiner Rolle.
Vor fünfzehn Jahren besuchten meine Freundin und ich zum ersten Mal eine Kung-Fu-Schule und wurden in einem Schnupperkurs auf Wing Tsun aufmerksam. Mittlerweile beherrschten wir die Sportart ganz passabel. Pami war von Beginn an gut darin. Das lag vermutlich erstens daran, dass sie als schwarzes Mädchen, umgeben von Faschos, einen größeren Ansporn hatte, Selbstverteidigung zu beherrschen, und zweitens daran, dass ihr alles zu liegen schien. Insofern konnte sie es verschmerzen, dass sie mich an diesem Tag mit der Sporttasche in der Meeraner Straße absetzte, ihr Kind einlud und zu mir nach Hause fuhr, um die Einkäufe auszuladen.
Pami und ich teilten uns die Sportsachen, die allzeit im Auto bereitlagen. Obenrum war ich recht schlank, von meinem kleinen Bauch einmal abgesehen. Ihr Körper war kurviger und aufregender als meiner, deswegen schlabberte das Oberteil an mir. Aber die Shorts passten leidlich, denn meine Hüften und Schenkel waren fast so fett, wie Pamis Körperschwerpunkt prall und weiblich war. Wir trugen die gleiche Schuhgröße, und Pami war nur wenige Zentimeter kleiner als ich mit meinen 1,74 Metern.
Nach dem Warmmachen übten wir ein paar Befreiungsgriffe, erst Hiebe, dann Tritte, und schließlich knüppelten wir mit unseren Fäusten auf Schutzkissen ein, die der Partner festhielt. Ein paarmal boxte mein Gegenüber so kräftig gegen das Kissen, dass es hochsprang und er mich am Kinn traf. Doch die Angst, getroffen zu werden, verlor man ziemlich fix. Danach folgte das Cool-down, ruhige, dem Atem angepasste Bewegungen. Der eigene Schweiß kühlte die erhitzte Haut und die geschundenen Körperstellen. Ich kam runter, entspannte mich und spürte das wohlige Vibrieren meiner Muskeln und Gelenke.
Nach dem Wing-Tsun-Training, als die anderen Kursteilnehmer noch in eine Bar zogen, steuerte ich die Tram an und bestieg an der Kreuzung Rhinstraße/Allee der Kosmonauten die M 8. Zwar waren es nur drei Stationen bis zum Helene-Weigel-Platz, aber es war bereits nach zwanzig Uhr, und ich war zu müde, um den Weg an der großen Straße entlangzulaufen. Ich stolperte etwas, als die Bahn anfuhr, und plumpste dann auf einen Sitz. Vor mir sah ein Typ von seinem Buch auf. Männer, die in der Öffentlichkeit Bücher lasen, hatten was. Der im Café hatte mir auch schon gefallen. Während ich da so saß, betrachtete ich den Typen heimlich und stellte – spätestens, als ich unwillkürlich meinen missgebildeten linken Daumen versteckte – fest, dass ich ihn hübsch fand. Ich fragte mich, ob ich etwas Flirttechnisches machen sollte.
Die Tram hielt am S-Bahnhof Springpfuhl, und wie so oft stieg eine ganze Horde Menschen ein. Als sich jemand neben den Typen setzte, blickte er auf und sah mir direkt in die Augen. Sofort starrte ich auf meine Knie. Die Bahn fuhr kurz darauf weiter, und er hatte seinen Blick natürlich wieder in sein Buch gerichtet. Ich drückte den Stoppknopf, was er offenbar registrierte. Als ich mich erhob, sah er mich erneut an. Er guckte irgendwie interessiert. Wie sollte ich jetzt reagieren? Lächeln, nicken, grüßen? Ihn ermutigen? Ihm zeigen, dass ich auf ihn stand? Ich war tatsächlich drauf und dran, Pamis galant-cooles Lächeln auszuprobieren, aber dann fiel mir ein, dass diese Idee albern war. Also heftete ich meinen Blick an meine Schuhspitzen, während ich mich an den anderen Passagieren vorbei zur Tür kämpfte, und stieg aus.
Ich war keine Frau, die Typen in der Bahn anlächelte und in ein Gespräch verwickelte. Ich gehörte eher der Sorte an, die brav nach Hause ging, sich eine Schale Schokoeis reinschaufelte, die Wäsche machte und dann unter der Dusche masturbierte.
Mein Abendprogramm wurde auch an diesem Tag nicht gestört, denn Pami und Lina waren nach dem Einräumen der Einkäufe gleich nach Hause gegangen. Sie wohnten nur zwei Straßen weiter in einer süßen Zweiraumwohnung ohne Balkon. Ich stellte die Waschmaschine an und nahm den letzten Löffel Eis, als mein Schlaufon piepte. Es war eine Nachricht von Pami: Kannst Du Lina am Sa nehmen? Ich hab ein Date. *freu*
Natürlich, antwortete ich und fügte mich in meine Rolle.
Das erste Mal war ich Pami bei unserer Einschulung begegnet. Damals hatte ich mit Oma Susi und meiner Mutter Bea schon am Springpfuhl gewohnt. Ich musste ein komisches Rüschending tragen und bekam die rosa Schultüte, obwohl ich die silberne gewollt hatte. Susi hatte mir zwei doofe Zöpfe geflochten und mir erklärt, dass ich wenigstens an zwei Tagen meines Lebens hübsch auszusehen hätte: auf meiner Einschulung und auf meiner Hochzeit. Die Erinnerung an Erstere verdarb mir auf ewig die Lust auf Letztere. Meine schwarzen Lackschuhe hatten geklackert und gedrückt, und dann hatten mich Bea und Susi allein im Klassenzimmer bei der Frau Lehrerin und 29 anderen Kindern gelassen. Ich wollte sterben vor Angst.
Frau Lehrerin begrüßte uns lächelnd. »So, und nun wollen wir uns kennenlernen!« Sie ging zu dem ersten Platz, um nachzusehen, wer laut Namensschild dort sitzen sollte.
Wir standen zusammengepfercht an der Wand und klammerten uns an unsere Zuckertüten. Ich blickte ängstlich in den Raum, mein Herz klopfte, das Blut rauschte in meinen Ohren, und die doofen Zöpfe ziepten. Frau Lehrerin las den ersten Namen vor, und ein Junge löste sich aus unserem Schwarm