Echnaton im Feuersturm. Mario Monteiro
Dann ein ohrenbetäubender Schlag, der sie zusammenfahren ließ.
»Du kannst jetzt gehen«, erlaubte er dem Mädchen, denn es war inzwischen kurz vor sechs. Dann erst, als er sich allein im Zimmer wusste, befasste er sich mit der geheimnisvollen Sendung.
Es war das Bildnis eines Mannes, das ihn an die Vergangenheit erinnern sollte und ihm nun drohend entgegensah. Wuchtige Kinnladen umschlossen einen großen, fast tierischen Mund mit blutrot aufgeworfenen Lippen und einer fleischigen Boxernase. Graugrüne Augen flackerten in tiefen Höhlen und dichte Brauen wölbten sich unter einer mächtigen Gorillastirn, die nichts verhieß als brutale Gewalt.
Alles in allem ein lebensnahes Bild von Bernhard Polle. Birnbaum begann zu zittern und starrte auf die riesenhaften Hände, die sich ihm entgegen streckten.
Friedrich Backhaus hatte von Anfang an nicht daran gezweifelt. »Das ist fast ein Drohgemälde«, flüsterte er seinem Vetter ins Ohr. »Die zwanzig Jahre sind nun eben um.«
Auch Vetter Backhaus studierte minutenlang die schreckliche Fratze auf dem Bild und blickte zuweilen in das bleiche Gesicht Birnbaums. »Polle ist jetzt ein freier Mann.« Wenn er sich wirklich rächen wolle, wird er nicht aufzuhalten sein, meinte Backhaus. Dabei fiel ihm die Uhr auf, die der Künstler des Bildes im Hintergrund gemalt hatte. Die Zeiger deuteten auf zwei und in der Ecke links oben entdeckten sie die Nummer 276. Backhaus schien das nicht zu verstehen. »Die Nummer?« fragte er seinen Vetter. »Was soll denn diese Nummer bedeuten?«
Birnbaum schien die Frage überhört zu haben. Backhaus gab nicht nach. »Heinz«, fragte er ein zweites Mal. »Sag mir schnell! »2 …7 … 6 Was soll denn das?«
Birnbaum sah auf. Wie abwesend starrte er vor sich hin. Befand er sich vielleicht zum zweiten Mal in jenem Zimmer, als sie sich den goldenen Adlerkopf holten. Damals vor 22 Jahren.
»Es war am 27. Juni«, keuchte Birnbaum »… ein paar Stunden nach Mitternacht.«
Jetzt saß er zusammengefallen an seinem Mahagoni-Tisch und ließ die Finger langsam über die kostbare Platte gleiten. Kalter Schweiß perlte über seine Stirn, während der auf das schreckliche Bild stierte. War die Vergangenheit dabei, ihn einzuholen?
»Du bleibst doch bei mir, wenn er … kommt?«
»Das ist doch klar.« Friedrich Backhaus war der letzte noch lebende Verwandte des Millionärs. Dabei hatte ihm Heinz Birnbaum schon vor Jahren erlaubt, in der Villa zu wohnen. Viel mehr als das. Als eingefleischter Junggeselle hatte er sich das sogar gewünscht. Aus diesem Grund waren beide Vettern schon vor Jahren überein gekommen, Backhaus dürfe sich im oberen Stock eine kleine Wohnung einrichten. Jetzt jedoch, in der kritischen Stunde sieht Backhaus wie Birnbaum als wahres Nervenbündel durch das Haus schleicht. So versucht er seinen Vetter zu beruhigen. Beim Anblick des Furcht erregenden Bildes entschließen sie sich sofort, das Fernsehzimmer zu einer Festung auszubauen. Backhaus verschraubt als erstes die Fensterläden mit schweren Brettern. So wird es unmöglich sein, dass Polle aus dem Garten in das Zimmer eindringt. Mit einer alten Armeepistole in der Hand, lächelt er seinem Vetter zu.
»Lass ihn nur kommen!« Birnbaum starrt immer noch unentwegt auf die einzige Tür des Raumes, die sie mit einem schweren Eichentisch verrammeln. Bei Anbruch der Nacht beginnt es wieder zu regnen. Stunden verrinnen in qualvollem Warten. Hilflos und bleich kauert Birnbaum im Ledersessel, blickt auf die verrammelten Fenster, dann wieder zur Tür, sieht auf Backhaus, der inzwischen eingenickt ist. Im Morgengrauen, kurz vor vier, richtet sich Birnbaum auf und rüttelt an Backhaus’ Schultern. Es ist einwandfrei zu hören. Backhaus fährt aus dem Schlaf.
»Ich habe ihn gehört«, piepst Birnbaum »Er ist im Haus.«
Backhaus schleicht mit entsicherter Waffe an die verrammelte Tür, nimmt dort die Hand an sein Ohr, um genau zu hören. »Tatsächlich«, flüstert er. Auch Backhaus hört die Schritte auf der Treppe. »Er muss im Hause sein.«
»Pst. Er ist auf der Treppe, hörst du nicht?« Birnbaums Stimme ist nur noch ein leises Piepsen. Dann knarren Stufen. »Da wieder«, flüstert er hinter Backhaus stehend. Schweigend stehen sie vor der Tür und hören die Stufen knarren. Das konnte nur Polle sein.
Langsam, Schritt auf Schritt scheint er jetzt die Treppe herab zu steigen. Birnbaum zittert um sein Leben. Jetzt gleich, jetzt muss er unten sein, doch auf dem dicken Teppich in der Diele können sie schließlich nichts mehr hören.
Die beiden Männer im verrammelten Zimmer halten den Atem an. Birnbaum verkrallt sich im Ledersessel,. Backhaus sitzt mit entsicherter Waffe neben ihm und richtet den Lauf der Pistole auf die Tür. Wird der Unheimliche im nächsten Moment die Tür aufbrechen, dann über den Eichentisch springen, um Birnbaum anzufallen und sein Werk zu vollenden?
Kann Polle mit seiner Bärenkraft alles überrumpeln, selbst unter Bedrohung der Schusswaffe vor ihnen stehen und sie beide zerreißen? Schwach, wie ein nasser Lappen hängt Birnbaum vor seinem Vetter, während Backhaus nur unauffällig auf Birnbaums schlotternde Knie sieht.
»Sollen wir nicht nachsehen?« fragt Backhaus leise.
Birnbaum fährt erschreckt zusammen. War sein Vetter total verrückt geworden? »Nein, um Gottes Willen. Nicht … bitte!« Nur mit dieser alten Pistole in der Hand. Was könnten sie damit gegen Polle ausrichten? Backhaus legt die Waffe beiseite. Kam es auf eine weitere Stunde an? So lehnt er sich zurück und schläft von Neuem ein. Vom nahen Kirchturm schlägt es fünf, als Backhaus die Augen öffnet.
»Noch etwas warten«, fleht ihn Birnbaum an. Als sie es schließlich riskieren, den Tisch leise beiseite zu ziehen, ist es halb sechs. Friedrich Backhaus tritt mit entsicherter Waffe hinaus auf den Korridor. Durch die Ritzen des Fensterladens schimmert das Licht des anbrechenden Tages.
»Schlafen gehen!«, raunt Backhaus und lief auf die Treppe zu. Birnbaum schlurft todmüde zum Ausgang in den Garten. Etwas frische Luft wird ihm gut tun, meint er jetzt. So riskiert er ein paar Schritte hinaus auf den Rasen. Nach und nach entweicht die Spannung der vergangenen Nacht. Ruhig blickt er auf den Rasen. Die glasklaren Perlen des taufrischen Grases waren das letzte, was Heinz Birnbaum von dieser Welt gesehen hatte.
*
Kommissar Hellwig kletterte mit denkbar mieser Laune aus dem Ranger. Ein Wunder war es nicht. Kurz vor Mitternacht war es ein blödsinniger Dirnenmord, der ihn aus dem Bett riss, kaum hatte er sich hingelegt. Als er dann auf Birnbaums Rasen erschien, traf er die Kollegen der Mordkommission schon vollzählig an.
»Guten Morgen die Herren«, mimte er Munterkeit. »So früh schon am Werk?«
»Na ja, Herr Hellwig, ein anderer war schon vor uns hier«, versuchte der Fotograf anzubringen, erregte jedoch nur Hellwigs Missfallen. Um dem Schlimmsten aus dem Weg zu gehen, knipste er noch ein paar Aufnahmen des Toten, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Rasen lag.
»Hier habt ihr das Opfer angetroffen?« fragte Hellwig als erstes. Daran hatte keiner gedacht. Doch der vor kurzem geschorene Rasen zeigte keinerlei Schleifspuren.
»Also nicht weit von jener Tür, die von der Diele in den Garten führt. Hellwig machte sich Notizen. »Übrigens Doktor. Sie sprachen am Telefon von Würgespuren?« Die Frage war an Dr. Bellinghaus gerichtet. »Stimmt das wirklich?« Der Arzt bestätigte. »Mir scheint übrigens, auf der rechten Seite hat er stärker zugepackt«
»Aufnahmen gemacht, junger Mann?« schoss der Kommissar auf den Fotografen zu.
»Jawohl, Herr Hellwig!«
»Sie sagten, er, Dr. Bellinghaus? Könnte es nicht eine sie gewesen sein?«
Dr. Bellinghaus war dabei die Frage zu verneinen, zog es jedoch vor, momentan zu schweigen und lediglich mit einer unsicheren Kopfbewegung seine Unsicherheit auszudrücken. »Sehen Sie mal hier rechts, sehen Sie sich das mal ganz genau an.« Aha, ich sehe schon etwas. Ist das nicht … so etwas wie …«
»Ein Ring … ein Fingerring«, flüsterte Dr. Bellinghaus.
» also keinerlei Handschuhe. Sehr interessant«, folgerte Hellwig, »keine Angst, identifiziert zu werden oder nur eine Affekthandlung. Nun ja, wir