... und hinter uns die Heimat. Klaus-Peter Enghardt
Dank, da nehme ich Ihr Angebot natürlich gern an. Das ist ja nicht einmal ein Drittel meines Gehalts und das Holz habe ich noch kostenlos dazu, na ja, fast«, lachte Katharina erfreut. »Mit der Kohle überlege ich es mir noch«, fügte sie hinzu.
Nachdem diese Fragen geklärt waren, unterhielten sich die beiden Frauen noch eine halbe Stunde, dann wussten beide die wichtigsten Dinge voneinander.
Frau Schimkus hatte der jungen Frau vom Tod ihres Mannes erzählt und wie schwer es ihr ums Herz war, dass beide Söhne an der Front kämpften. Jeden Tag bangte sie um ihr Leben. Dann gestand sie der Lehrerin, dass sie sehr froh war, sie bei sich zu haben.
Katharina wünschte der Witwe eine gute Nacht und ging nachdenklich, doch auch mit einem Gefühl der Freude und der Geborgenheit, auf ihr Zimmer.
Bequem in den Kissen liegend, dachte sie daran, dass sie gleich am nächsten Tag ihren Eltern einen Brief schreiben muss und auch Frau Kleinschmidt in Berlin Bericht erstatten wollte, und schlief kurz darauf ein.
Obwohl sie noch ein paar freie Tage vor sich hatte, wollte sie bereits am nächsten Morgen in die Schule gehen und überprüfen, wie es mit dem Schulmaterial aussah.
Fehlende Dinge durfte sie in einem gewissen Umfang in Absprache mit ihrem Lehrerkollegen bestellen. Das hatte ihr der Schulrat zugestanden.
Das Frühstück nahm sie gemeinsam mit Frau Schimkus bei nettem Geplauder ein, doch sofort danach ging sie zum Bürgermeister und bat um einen Schlüssel für das Schulgebäude, da sie sich mit den Lehrmitteln vertraut machen wollte.
Der Mann drückte der neuen Lehrerin ein kleines Schlüsselbund in die Hand und sagte: »Hier, das sind die Schlüssel für den Haupteingang und die Klassenräume. Sie können das Schlüsselbund behalten.«
Als sich Katharina wenig später verabschiedet hatte, sagte der Bürgermeister zu seiner Sekretärin: »Ei, das Marjellchen ist sehr eifrig. Hoffentlich bleibt das auch so.«
Schon nach kurzer Inspektion hatte Katharina festgestellt, dass es an vielen Dingen fehlte. Einiges würde sie beim Schulamt bestellen müssen, einiges selbst besorgen und einige Dinge würde sie mit den Kindern gemeinsam basteln.
Basteln sollte überhaupt einen festen Bestandteil in ihrem Unterricht einnehmen, denn wie ihr Herr Graudenz verriet, gab es in dieser Schule keinen Lehrplan. Katharina musste den Unterricht für die über sechzig Schüler selbst gestalten.
Nun freute sie sich noch mehr, dass ihr bis zum Schulbeginn noch drei Wochen Vorbereitungszeit blieben.
Ihr fiel besonders auf, dass viel zu wenige Schulbücher vorhanden waren. Da musste sie unbedingt Abhilfe schaffen. Zumindest auf jeder Schulbank sollte je ein Buch für Deutsch und Rechnen vorhanden sein. Und auf jede Schulbank gehörte auch ein Abakus, war ihre Meinung.
Zwar befand sich auf dem Lehrertisch eine große Rechenhilfe mit farbigen Holzkugeln, doch die war ja das Demonstrationsgerät für den Lehrer.
Gewissenhaft erstellte sie eine Liste aller Bücher und Materialien, die sie benötigte, und verließ die Schule, um sich mit ihrem Kollegen zu besprechen.
Dieses Gespräch verlief nicht gerade ermutigend, denn der Lehrer hatte die Schüler bisher mit den vorhandenen Schulmitteln unterrichtet und bezweifelte, dass das Schulamt alle ihre Wünsche erfüllen würde, doch Katharina wollte sich nicht entmutigen lassen.
Am Nachmittag besuchte sie den »Gewürzer«, den Krämerladen des Dorfes. Im Laden empfing sie zunächst ein Duftgemisch aus Zwiebeln, Kräutern, Dillgurken, Obst, Bier, Brot und Bohnerwachs und es roch nach Lederfett für das Gespannzeug der Pferde. Aber ihr feiner Geruchssinn erschnupperte auch den Geruch von Bohnenkaffee.
Ihre Ankunft hatte sich längst herum gesprochen, trotzdem stellte sie sich dem Krämerehepaar und einigen Kundinnen im Laden vor. Sie wurde freundlich begrüßt und gleich in ein kurzes Gespräch gezogen.
Die Frauen im Laden waren froh, dass die Schule bald wieder losgehen würde, denn ihre Lorbasse machten zu Hause inzwischen schon zu viele Fiesematenten und benötigten wieder mehr Strenge. Es genügte wohl nicht, dass die Mutter ihren Bowkes ein paar Mutzköppe verabreichte, oder ihren Dups versohlte, da sollte ruhig mal wieder eine Tracht mit dem Penter des Lehrers Ordnung schaffen. Die junge Lehrerin konnte ihr Entsetzen nur mit Mühe verbergen, denn von solchen Erziehungsmethoden distanzierte sie sich entschieden. Doch auch sie sollte schon bald merken, dass sie sich vor den größten Rabauken ohne einen Rohrstock tatsächlich keinen rechten Respekt verschaffen konnte.
Der Gewürzer fragte die Lehrerin nach ihren Wünschen und die junge Frau hatte Glück, denn sie bekam tatsächlich eine Dose Bohnenkaffee zu kaufen, außerdem zweihundert Gramm Plätzchen und ein paar Pralinen. Katharina war sehr zufrieden mit ihrem Einkauf. Und obwohl die Delikatessen ein riesiges Loch in ihre Lebensmittelkarte rissen, wollte sie doch gern ihre Wirtin überraschen.
Frau Schimkus freute sich sehr über die Aufmerksamkeiten, bestand aber darauf, dass die beiden Frauen die Kostbarkeiten gemeinsam verzehren. Erfreut stimmte Katharina zu, bat aber noch um etwas Zeit, damit sie ihren Eltern einen Brief schreiben konnte, denn die warteten doch auf Neuigkeiten von ihrer Tochter.
Als Katharina etwa zwanzig Minuten später die Treppe herab kam, öffnete ihre Wirtin sofort die Kaffeedose, um die Kaffeebohnen mit Hilfe einer alten Kaffeemühle zu zerkleinern. Schon beim Öffnen der Dose entwich ein herrlicher Duft, der sich noch steigerte, als Frau Schimkus sich die Kaffeemühle zwischen ihre Knie klemmte und die Leier drehte. Knirschend verwandelten sich die brauen Bohnen in feines Kaffeepulver. Mit heißem Wasser aus der Pfanne ihres Kochherds brühte sie es nun auf, was den Duft noch einmal verstärkte. Genüsslich tranken die Frauen den Kaffee und aßen den Pflaumenkuchen, den Frau Schimkus aus dem Keller geholt hatte. Zwischen den beiden Frauen entspann sich eine heitere Plauderei und sie beschlossen, die Kaffeestunde ab diesem Tag zu einem festen Ritual werden zu lassen.
Nach dem Abendessen lud die Wirtin ihre Mieterin ein, mit ihr den Abend zu verbringen, doch Katharina erzählte ihr von der Witwe Kleinschmidt aus Berlin und dass sie ihr ebenfalls versprochen hatte, regelmäßig Bericht zu erstatten.
Das verstand die Frau und vertröstete sich auf den nächsten Abend. Obwohl die junge Lehrerin erst zwei Tage bei ihr wohnte, hatte sie das Mädchen mit ihrer freundlichen und bescheidenen Art bereits in ihr Herz geschlossen.
Eines Nachmittags erzählte Katharina ihrer Wirtin, dass sie ein paar Bücher benötigte, die sie sich gern in einer Buchhandlung in Zinten besorgen wollte.
Frau Schimkus hatte eine bessere Idee und sagte: »Ich kenne in Königsberg eine sehr gute Buchhandlung. Was halten Sie davon, wenn ich Sie nach Königsberg begleite, Ihnen dort die Buchhandlung zeige und wir uns anschließend einen netten Nachmittag machen? Ich war selbst schon lange nicht mehr in der Stadt, würde sie Ihnen aber gern zeigen.«
»Au, fein! Ich habe gar nicht gewagt, danach zu fragen. Das ist mir nämlich viel lieber, als nach Zinten zu fahren. Ich hatte ohnehin vor, in den nächsten Tagen Königsberg zu besuchen. Außerdem kann ich meine Bestellung für das Schulamt gleich persönlich abgeben.«
Bereits am nächsten Morgen saßen die beiden Frauen im Zug nach Königsberg.
Frau Schimkus nannte der jungen Frau die Namen der Dörfer, an denen sie vorüberfuhren, die Katharina ungewohnt klangen. Lemkühnen, Kuhkehmen, Tykrigehnen, Wangnicken oder Godrienen hießen die Dörfer zwischen Zinten und Königsberg.
Vom Hauptbahnhof aus fuhren sie dann mit der Straßenbahn zuerst zum Schulamt im Stadthaus.
Eine freundliche Dame nahm Katharinas Unterlagen entgegen, überflog die Bestellung und bemerkte: »Erbarmen, da werden wir sicher noch ein wenig streichen müssen.«
Nachdem sie Katharinas enttäuschtes Gesicht sah, versprach sie lächelnd: »Na, ich werde mal sehen, was ich da tun kann«, und stimmte Katharina damit zuversichtlicher.
Nach einer freundlichen Verabschiedung standen die junge Lehrerin und ihre Begleiterin wenige Minuten später an der Tramhaltestelle vor dem Schulamt.
Bereits wenige Minuten darauf