Mehr als 6′. Rune Deis

Mehr als 6′ - Rune Deis


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zweites Frühstück vorbereitet hatte. Der liebevoll gedeckte Tisch hätte jedem Appetit auf ein ausgedehntes Frühstück gemacht – nur mir nicht. Vor Anspannung schaffte ich gerade ein Brötchen. Dieses viertelte ich und belegte jedes Stück mit einer anderen Köstlichkeit, um Sinas Mühen wenigstens auf diese Weise zu würdigen.

      Ein Spaziergang am Strand zwischen Westerland und Wenningstedt verschaffte Pepe Auslauf und uns die ersten Gespräche von Angesicht zu Angesicht bei strahlend blauem Himmel und Schaumköpfen auf dem Meer.

      Pepe hatte sich sichtlich müde gelaufen. Er war zufrieden als er zu Haus im Körbchen lag, und wir hatten jetzt, ohne ›Störfaktor‹, Zeit für uns ganz alleine. Auf ging’s nach List. Bei ›Gosch‹ würden wir bestimmt etwas für unser leibliches Wohl finden.

      Auf der Fahrt dorthin kamen wir auf unsere so unterschiedlichen Lebensläufe zu sprechen, wobei Sina meinte:

      »Dein Leben ist so geradlinig und in festen Bahnen verlaufen, das gibt es nur selten. Bei mir gab es immer wieder Zick-zack-Kurven, und ich bin auch nicht auf alles stolz.«

      Ich deutete diese Äußerung als Sehnsucht danach jetzt endlich ein ruhigeres Leben zu führen und hoffte schon insgeheim, dass sie sich dieses mit mir vorstellen konnte und wünschte.

      Wir hatten Jakobsmuscheln gewählt, dazu einen trockenen Weißwein und saßen an einem der vielen Tische vor dem Restaurant. Es war eine Köstlichkeit und, mit Sina an meiner Seite, ein Erlebnis wie ich es seit einer Ewigkeit nicht genießen durfte. Seitdem Sina eine Gestalt angenommen hatte, tatsächlich bei mir war, genoss ich das Leben wieder; ich war nur einfach glücklich.

      Die Geschäftszeile gegenüber dem Restaurant quoll über mit Souvenierartikeln; sie konnten unsere Aufmerksamkeit nicht erwarten. Wir waren schnell wieder draußen.

      Auf dem Weg zum Parkplatz, es wurde jetzt frischer, hakte Sina sich, sicherlich nicht nur deshalb, bei mir unter. Ihre Berührung elektrisierte mich, und ich drückte meinen Arm fester an den Körper, damit ihre Hand nicht wieder raus rutschen konnte. Sie sollte wissen wie gut mir das tat.

      Auf der Rückfahrt machte Sina auf einige Dinge aufmerksam: Flugplatz, Gebäude, Restaurants, Golfplatz und erzählte vom Golfunterricht, den sie hier im Vorjahr genommen hatte. Im wesentlichen aber schwiegen wir. Unsere Gefühle füreinander beschäftigten uns, und wir ließen es nur allzu gerne zu.

      Zum Glück blieben uns noch ein paar Stunden. Abendbrot, Gassigehen, und der Ausklang eines wunderschönen Tages bei einem Glas Rotwein. Ich saß auf dem Dreiersofa, Sina auf dem zweier, zwischen uns der Couchtisch. Es war nur noch knapp eine Stunde bis zur Abfahrt des Zuges, 21.29 h. Ich war kurz raus gegangen, und als ich den Raum wieder betrat, hatte Sina den Platz gewechselt. Sie saß jetzt auch auf der Dreiercouch. Ich setzte mich neben sie, wir wechselten kein Wort, sahen uns nur erwartungsvoll an und küssten uns das erste Mal – noch nicht leidenschaftlich. Es war mehr das gegenseitige Eingeständnis: wir gehören zusammen, wir wollen es wagen.

      Auf dem Bahnhof hatten wir noch ein paar Minuten und unsere Lippen waren sich einig, dass sie noch viel mehr Zeit füreinander haben möchten.

      Der 18. Oktober war unser zweiter Tag auf Sylt. Gleicher Ablauf bis Pepe wieder im Körbchen lag. Dieses Mal fuhren wir gen Süden.

      Nach einem kurzen Spaziergang in Hörnum suchten wir ein Café auf. Wir gingen nicht ans Kuchenbuffet; wir ließen uns die Leckereien von der Bedienung aufzählen und Sina bat sie, von uns ein Foto zu machen. Ich hatte noch nie so guten Heidelbeerkuchen gegessen.

      Mit unserem anschließenden Spaziergang steuerten wir Budersand an. Das Hotel beeindruckte uns, den Golfplatz mit seinen unzähligen Topfbunkern werden wir vielleicht bald beurteilen können.

      Wir schlenderten am Hafen entlang, hielten uns an der Hand und tauschten immer wieder Zärtlichkeiten aus.

      Vor einer Karte mit den nordfriesischen Inseln und Halligen blieben wir stehen. Ich zeigte auf Hallig Hooge: »Da möchte ich mit Dir ein paar Tage Urlaub machen.« Sina stimmte sofort zu.

      Bilder konkretisierten meine Phantasie. Nur wir beide auf der Hallig, das Glück ungestört genießen, mit aller Zeit der Welt. Uns alles erzählen, was wir noch nicht voneinander wissen und träumen von der Zukunft. Pläne schmieden von einem gemeinsamen späten Lebensglück. Hallig Hooge war wie ein Versprechen.

      Vor dem Abendbrot gingen wir mit Pepe noch eine große Runde.

      Der Zug brachte mich um 21.29 h wieder nach Hause. Ich fühlte mich so unbeschwert, war endlich wieder zuversichtlich und über alle Maßen glücklich; ich war in einen neuen Lebensabschnitt, in ein neues Leben gestartet.

      Kapitel 8

       Die neue Frau an Runes Seite

      Sinas Tochter kam drei Tage später mit Familie aus dem Urlaub zurück. Die Zeit bis zum Wiedersehen überbrückten wir mit Telefonaten, in denen wir uns unsere Ungeduld und Vorfreude gestanden.

      Am 26. unterbrach Sina ihre Rückreise für einen Tag. Um 13.29 h lief der Zug ein. Sina kam strahlend auf mich zu. Als wir uns begrüßten nahmen wir von der Umwelt keine Notiz. Bei Kaffee und Kuchen im ›Alten Gymnasium‹ realisierten wir nachdrücklich: wir haben uns wieder.

      Danach tauchte Sina in meine Welt ein, Grüner Weg 11, Mildstedt. Sie lernte jetzt das kennen, was ich ihr beschrieben hatte, und sie konnte ihre Bilder davon mit der Realität abgleichen: Wo hatte Rune über- oder untertrieben, was nicht erwähnt oder vielleicht sogar unterschlagen.

      Es stellte sich heraus, dass meine Beschreibung eine brauchbare Orientierungshilfe war. Sina bewegte sich schnell wie selbstverständlich, dabei unaufdringlich, durch die Räume, als wollte sie ausdrücken – ich gehöre zu Dir, also auch hierher. Sie machte uns einen Cappuccino, deckte den Tisch, stellte eine Kerze darauf und forderte wortlos auf, mich zu setzen. Sie erzeugte eine Atmosphäre wie dieses Haus sie seit dem Tode meiner Frau nicht mehr erlebte hatte.

      Für Sinas Frische, Natürlichkeit, ihr unaufdringliches für sich einnehmendes Wesen war ich über die Maßen empfänglich und dankbar. Das Haus war urplötzlich wieder von Leben erfüllt. Ich war glücklich, dass Sina da war und unserem Herrgott dankbar dafür, dass es sie gibt.

      Zum Abendessen fuhren wir in die Stadt. Am Buffet eines von unserer Gruppe regelmäßig besuchten Lokals stellten wir uns etwas zusammen, dazu tranken wir einen Schoppen Wein. Eigentlich hatte ich keinen großen Appetit; ich sah mich an Sina satt, die mir lebensfroh, angeregt plaudernd, heiter gegenüber saß, und ich spürte wie ihre Lebensfreude auch mich ergriff.

      Zu Hause saßen wir nur noch wenige Minuten im Wohnzimmer, bevor Sina als erste ins Bad ging. Die beiden Tage auf Sylt hatten die Vorstellungen, die wir durch unsere langen Telefonate voneinander gewonnen hatten, bestätigt. Das war auch der Grund für unsere Vertrautheit. Obgleich wir uns erst die zwei Tage gesehen hatten, kannten wir uns schon viel länger.

      Wir erleben eine wunderschöne, einmalige Zeit. Es ist unsere Geschichte, unser so kostbares Geschenk, das reicher macht, als jede andere Beziehung. Für diese unglaubliche Geschichte hatte der Herrgott uns ausgewählt. Sie verdient alle unsere Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Wir konnten uns jetzt auch persönlich alles sagen, und die Leichtigkeit und Natürlichkeit unseres Miteinanders erstaunten uns nicht. Wir wussten, wir waren füreinander bestimmt. Das schloss nichts aus. Der Abend endete noch nicht, er fand seine Fortsetzung, inszeniert durch den Gleichklang zweier Herzen.

      Als ich ins Bad ging, stand Sina im Wohnzimmer unbekleidet und griff nach ihrem Nachthemd. Kurze Zeit später betrat ich das Schlafzimmer; sie saß im Bett und lachte. Das Muster ihres Nachthemdes ähnelte dem des Bettbezugs.

      Endlich konnten wir uns in die Arme nehmen. Wir halfen uns aus Nachthemd und Pyjama und spürten zum ersten Mal unsere Körper, erlebten das wohltuende, elektrisierende Streicheln. Wir hatten uns gefunden und fühlten, dass es uns unbeschreiblich gut tat und sich einfach richtig anfühlte.

      Kapitel 9


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