Viva la carpa! Als die Mafia den Aischgründer Spiegelkarpfen haben wollte. Werner Rosenzweig
Zeit den Ton angab und Anweisungen erteilte, war Dr. Thomas Rusche, Forensiker und Rechtsmediziner. Nur wenige der Anwesenden waren normal gekleidet. Gerald Fuchs, Kommissar der Mordkommission Erlangen, und seine attraktive Assistentin Sandra Millberger gehörten zur letzteren Spezies. Die beiden standen etwas abseits und warteten darauf, dass die Verkleideten von der Spurensicherung ihre Arbeit beendeten. Noch war es nicht so weit. Noch fotografierten die Vermummten den toten Mann mit dem riesigen Loch in der rechten Schläfe. Der lag rücklings auf der Steinplatte von Sybilla Weis’ Grabstätte. Einer der SpuSi-Mitarbeiter drehte den leblosen Körper um und las laut vor, was in die Steinplatte eingemeiselt war. »Grabstätte: Jener frommen adeligen Frau, welche laut Volkssage vor mehr als sechshundert Jahren in einem Schlosse bei Ailsbach wohnte und von da oft und gern auf die von ihr reichlich ausgestiftete Lauberbergkapelle pilgerte.«
»Das hilft dem Toten auch nicht weiter«, kommentierte Dr. Rusche und kroch unter dem rot-weißen polizeilichen Absperrband hindurch. Der Rechtsmediziner ließ es sich in der Regel nicht nehmen, ein Mordopfer direkt am Tatort einer ersten groben Untersuchung zu unterziehen. »Es hilft mir, wenn ich es später auf meinem Seziertisch habe«, war schon immer seine Überzeugung, »ich habe dann eine bessere Vorstellung davon, worauf ich bei der Autopsie besonders achten muss.« So rückte er bei Mordfällen, wann immer es ihm möglich war, mit den Mitarbeitern der Spurensicherung aus.
»Weiß man schon, wer der Tote ist?«, war die erste Frage des Kommissars, als der Rechtsmediziner näher kam.
»Nein, noch nicht. Der Tote hat keinerlei Dokumente bei sich, weder Ausweis noch Führerschein, noch sonst irgendetwas. Alle Taschen sind leer. Die SpuSi hat ihm Fingerabdrücke abgenommen. Vielleicht ist er ja aktenkundig.«
»Ermordet oder Suizid?«
»Aufgesetzter Kopfschuss. Die Grabplatte, auf der die Kollegen von der SpuSi noch tätig sind, ist allerdings nicht der Tatort. Kaum Blutspuren. Die Leiche wurde hier nur abgelegt. Deshalb tippe ich eher auf Mord. Ist aber nur eine rein vorläufige Vermutung. Zudem fehlt die Tatwaffe.«
»Was können Sie uns sonst noch sagen? Gibt es irgendwelche Auffälligkeiten?«, schaltete sich Sandra Millberger in das Gespräch ein. Ungeduldig zupfte sie an ihren Haaren, die sie in einem hübschen Pagenschnitt trug. Ihre dunkelblauen Augen versprühten knisternde Energie, als sie ihre Sonnenbrille von ihrem scharfgeschnittenen Nasenrücken in ihre Frisur verlagerte. Mit ihren schlanken einen Meter fünfundsiebzig, ihrem aparten Gesicht und den Designer-Klamotten eines italienischen Modehauses zog sie viele Blicke auf sich. Besonders ihre engen Jeans und das knappe, kaminrote T-Shirt brachten ihre attraktive Figur treffend zur Geltung.
»Oh ja, hübsche Frau, ich denke Sie werden noch Ihren Spaß bei der Klärung des Falls haben«, antwortete Dr. Rusche.
»Und das wäre?«, hakte die Assistentin des Kommissars nach.
»Auf der Brust des Opfers liegt eine Art Botschaft, ein Karton, DIN-A4, weiß mit schwarzer Schrift. Ich vermute mit Tusche geschrieben.«
»Eine Botschaft? Und wie lautet die?«
»Es lebe der Karpfen!«
»Es lebe der Karpfen!?«
»Genau«, bestätigte der Rechtsmediziner.
»Können wir uns den Toten schon aus der Nähe anschauen?«, wollte der Kommissar wissen.
»Nur zu, aber bleiben Sie vorerst noch hinter der Grabplatte, bis die Spurensicherung fertig ist.«
»Kein Problem«, meinte Sandra Millberger und lief auf die letzte Ruhestätte von Sybilla Weis zu. »Da hängt noch ein Schild an dem Eisengitter«, rief sie ihrem Chef zu, als sie näher kam, »scheint aber eher touristischen Zwecken zu dienen.«
»Und was steht drauf?«, wollte der wissen.
»Einen Moment, muss erst näher ran: Eine fromme, adelige Frau aus dem Schloss bei Ailsbach wurde vom Volk sehr geliebt«, begann sie vorzulesen, »denn sie war eine Wohltäterin der Armen. Ihr Name war Sybilla Weis, denn sie war weise, konnte in den Sternen lesen und Krankheiten heilen. Oft kam sie über die Wiesen des Aischtales zum Lauberberg, um dort zu beten. Eines Tages wurde sie auf dem Berg vom Teufel versucht, dem ihre Tugend ein Dorn im Auge war. Er versprach ihr alle Schätze und Genüsse der Welt, aber vergeblich. Schließlich wollte er sie mit Gewalt abspenstig machen. In höchster Seelenangst richtete sie ein Stoßgebet zum Heiligen Antonius und augenblicklich wurde der Satan von der Erde verschlungen. Aus Dankbarkeit ließ Sybilla Weis ihrem Retter zu Ehren an Ort und Stelle eine Kapelle errichten und sie stattete ihre Stiftung mit Feldern, Wiesen und Wäldern aus. Wie sie es sich gewünscht hatte, wurde nach ihrem Tod der Leichnam auf einen Esel gehoben. Der trug die tote Herrin von selbst auf die Höhe des Lauberberges. Daran erkannten die Dienstleute, dass sie hier begraben werden wollte. Schon bald kamen die Bewohner des Aischtals, um am Grab ihrer Wohltäterin zu beten und in der Kapelle den Heiligen Antonius zu verehren.«
»Ob den Toten auch ein Esel den Berg hoch getragen hat?«, grübelte Gerald Fuchs.
»Kaum«, bemerkte Thomas Rusche, »Eselshaare hat die SpuSi, soweit ich weiß, nicht gefunden, und ob der arme Kerl zum Heiligen Antonius beten wollte, bezweifle ich auch sehr. Vielleicht hatte er ja einen Bezug zu Sybilla Weis?«
»Eher zu den Aischgründer Spiegelkarpfen«, vermutete der Erlanger Kommissar. »Mal sehen, wie schnell es uns gelingt, die Leiche zu identifizieren. Ansonsten müssen wir wohl über die Presse gehen.«
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