Gottes Herz für dein Dorf. Johannes Reimer

Gottes Herz für dein Dorf - Johannes Reimer


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Periphere Räume mit einzelnen Entwicklungsfeldern

      Periphere Räume oder in den Worten Russels „weniger zugängliche Räume“, markieren die Grenze zwischen strukturschwachen und dynamischen Regionen.25 In peripheren Räumen können sich neben effektiver Landwirtschaft auch touristische Betriebe ansiedeln, was die Chancen auf Arbeit für die ansässige Bevölkerung erhöht und auch saisonale Arbeiter anzieht.

      

Der Fremdenverkehr bietet auch den Kirchen neue missionarische Möglichkeiten. Das EKD-Papier schlägt unter anderem eine Art „Kirche auf Zeit“ vor.26 Gemeint ist ein kirchliches Angebot, das sich gezielt an die Saisonarbeiter richtet, und damit aber auch der verbleibenden einheimischen Bevölkerung pastorale Betreuung garantiert. In der Saat- und der Erntezeit sind es dann vor allem die landwirtschaftlichen Hilfskräfte, die angesprochen werden, im Sommer die Urlauber.

       Typ 3: Periphere Räume mit ausgesprochener Eigendynamik

      Dieser Typ zeichnet sich durch Nähe zu den Klein- und Mittelstädten aus. Hier siedeln sich an zentralen Verkehrsadern der Region mittelständische Wirtschaftsbetriebe in ländlichen Industriezonen an. Sie bieten Arbeit. Der günstige Wohnraum auf dem Land, vorhandene Arbeit und Ausbildung für junge Leute mindern die Abwanderung der Bevölkerung und unterstützen den Ausbau der Infrastruktur vor Ort.27

      

Der Raum bietet sehr gute Voraussetzungen für den kirchlichen Gemeindeaufbau.

       Typ 4-5: Ländliche Räume im weiteren Umfeld von Verdichtungsgebieten

      Bei den ländlichen Räumen im weiteren Umfeld von Verdichtungsgebieten handelt es sich um klassische Zwischenräume, die in der Nähe der Städte entstehen und die sowohl die aufs Land ziehende städtische als auch die in die Stadt drängende ländliche Bevölkerung anziehen.

      

In diesen Räumen herrschen günstige wirtschaftliche Bedingungen, was sich nicht nur positiv auf die Bevölkerungsdichte, sondern auch auf die missionarischen Möglichkeiten der Kirche auswirken kann.28 Die Zwischenräume führen aber auch zu einer zunehmenden Bereitschaft der Menschen, über die Zäune ihres Dorfes zu blicken und nach kirchlichen Alternativen in der Nachbarschaft zu suchen. Traditioneller Kirchenerhalt wird so eher problematisch.

       Typ 6-7: Ländliche Räume im engeren Umfeld von Verdichtungsgebieten

      Die hier genannten Räume grenzen direkt an urbane Gebiete an und bieten der Stadt Wachstumsräume. Hier kommt es zu den typisch suburbanen Entwicklungen, die je nach Stadt positiv oder negativ ausfallen. Wächst die Stadt, so wächst die Zwischenstadt, der Vorort, mit, geht sie ein, so leidet auch das verstädterte Umland.29

      

Gemeindeaufbau trifft in wachsenden suburbanen Räumen auf günstige Voraussetzungen. Die zuziehende Bevölkerung stellt jedoch die traditionellen Konzepte in Frage. Gemeinden sehen sich herausgefordert, Programme anzupassen. Neue Formen finden günstigen Boden. Besonders Freikirchen finden ihre Räume.30 In nicht wachsenden Städten wird der Aufbau zur großen Herausforderung.

       2.5.Kirche auf dem Dorf

      Die Kirche gehört zum europäischen Dorf wie die Landwirtschaft. Das ist seit Jahrhunderten so. Hier liegen die Wurzeln christlicher Identität Europas. Dörfer entstanden einst um die Kirche herum und die Städte um die Dörfer. Als im Mittelalter immer mehr städtische Siedlungen entstanden, blieben am Anfang die Pfarrkirchen außerhalb dieser in den Dörfern. Ein klassisches Beispiel ist die Stadt Ulm. Bevor das Ulmer Münster gebaut wurde, wurde das kirchliche Leben von dem auf dem Land liegenden Kloster Reichenau bestimmt. Erst mit dem zunehmenden ökonomischen Erfolg der Stadt wanderten auch die kirchlichen Autoritäten dorthin. Die Dorfbewohner wehrten sich, ihre Pfarrei in die Stadt zu verlegen. Daher pflegt man bis heute „Lass die Kirche im Dorf“ zu sagen.

      Die Kirche auf dem Dorf ist somit ein Symbol christlicher Identität und immer noch in einem Gemeindemodell verhaftet, das aus einer Zeit kommt, als wir in Europa noch christlich waren. Tim Chester und Steve Timmis nennen es das „christliche System“, das nach dem Motto zu funktionieren schien: „Ring the bell and the people come“ (Lass die Glocken läuten, und die Menschen kommen).31

      Die Glocken mögen auf dem Dorf immer noch läuten, nur die Menschen kommen nicht mehr. Der Säkularismus hat auch die Landbevölkerung erfasst. Was gestern noch so selbstverständlich war (Jeder Bauer hatte seine Kirche.), ist heute ganz und gar nicht mehr selbstverständlich. Wer heute Gemeinde auf dem Land bauen will, der muss damit rechnen, dass auch hier die meisten Menschen der Kirche den Rücken gekehrt haben, auch wenn zumindest die traditionelle Landbevölkerung immer noch formal der Kirche angehört.

      Die neue Landbevölkerung geht dagegen nicht mehr geschlossen zur Kirche, jedenfalls nicht in den durchs Kirchenjahr bestimmten Gottesdienst. Man hat die dörfliche Bevölkerung in vier Gruppen eingeteilt:

      (a) die Kirchenzentrierten;

      (b) die Kirchenkulturellen;

      (c) die Kirchendistanzierten und

      (d) Anti-Kirchlichen.32

      Dabei ist die erste Gruppe bei Weitem die Kleinste, und sie vermag es immer weniger, ein kirchliches pastorales Angebot für alle anzubieten, was Bernhard Spielberg als potenzielle Gefahr ansieht, dass die Kirche in eine „pastorale Mittelmäßigkeit“ abrutscht.33

      Wenn überhaupt, dann ist die Kirche auf dem Land zu einem Ort undefinierter spiritueller Suche geworden. Obgleich das alte Gemäuer der Dorfkirchen auf einen gewissen säkularisierten Menschentyp eine magische Anziehungskraft auszuüben scheint. Die Frage aber lautet: Können Kirchen wieder zu Plätzen vitaler christlicher Spiritualität werden? Ich glaube: Ja, das können sie. Und Erfahrungen bestätigen meine Vermutung. Aber hierfür muss Kirche wieder zu ihrer eigenen Bestimmung zurückkehren und eben Kirche werden.

       Fragen zum Nachdenken:

      1.Wie erleben Sie das Dorfleben?

      2.Was gehört typischerweise zum Dorf? Welche Charakteristika dörflichen Lebens finden Sie gut? Welche weniger?

       Warum?

      3.Zu welchem Typ ländlicher Raum gehört das Dorf, in dem Sie leben?

      4.Was macht Ihrer Meinung nach kirchliches Leben in Ihrem Dorf so schwierig?

      5.Wie würden Sie es verändern? Geht das überhaupt?

       Kapitel 3

       Dorfgemeinde Begriff und Wirklichkeit

       3.1.Die Dorfgemeinde

      Die klassische Dorfgemeinde gibt es nicht mehr. Die EKD konstatiert:

      „Es gibt nicht den einen ländlichen Raum, sondern sehr unterschiedliche ländliche Räume mit divergierenden Entwicklungstendenzen und folglich verschiedenen Herausforderungen und Chancen für das missionarische Wirken von Kirche.“34

      Gemeindeaufbau auf dem Land wird sich deshalb auf unterschiedliche


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