Chris Owen - Die Wiedergeburt. Matthias Kluger

Chris Owen - Die Wiedergeburt - Matthias Kluger


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wenn die Siegel gebrochen sind und du wie auch deine Schergen das Unheil vorantreiben, so haben wir eine Chance verdient.« Michail blitzte Raphael wütend an.

      Dieser wurde jetzt ungehalten. »Wir, du sprichst von wir? Du stellst dich auf eine Stufe mit diesen, diesen …«

      »Mit den Menschen, ja!«, fauchte Michail ebenso erzürnt zurück. »Und solltest du es vergessen haben: Wir waren ihresgleichen.«

      »Ihresgleichen, in der Tat, bis wir gerufen wurden. Gerufen, das Wort Throns zu befolgen. Und du, du wagst es, dich zu versündigen.«

      »Zu versündigen?«, spie Michail zurück. »Wer versündigt sich von uns? Bist es nicht eher du, der voller Ungeduld nur darauf gewartet hat, das Volk zu richten?«

      Raphael kehrte Michail den Rücken, ging ein paar Schritte. Dann drehte er sich mit ausgestrecktem Zeigefinger zu ihm um: »Wahrlich, du redest von Ungeduld. Das grenzt an Blasphemie und du weißt das.«

      »Wäre es Blasphemie, wie du behauptest, warum schickt uns Thron den Erlöser?«

      »Welchen Erlöser?«, fragte Raphael grinsend, während er mit ausgebreiteten Armen um sich blickte. »Ich kann niemanden sehen. Ach«, er hob seinen Zeigefinger, »du sprichst abermals vom selbst ernannten Propheten, jenem, der angeblich von Thron gesandt wurde. Ach, dein Gewinsel ist jämmerlich!«

      An diesem Punkt breitete Raphael nochmals die Arme aus, drehte sich tanzend zu einer nicht vorhandenen Melodie und lachte laut auf. Augenblicklich hielt er inne. Seine kalten blauen Augen starrten auf Michail.

      »Wie viele Propheten hast du schon gesehen? Hier wie auch auf Erden? Alle, aber wirklich alle nutzen Throns Worte ausschließlich zu ihren Gunsten. So ist es und so wird es immer sein. Ich sage dir jetzt zum letzten Mal: Dein Messias existiert nicht! Vielleicht erbarmt sich Thron tatsächlich, ihn zu senden. Doch jetzt – jetzt, mein Freund, ist meine Zeitrechnung angebrochen und niemand, auch du nicht, wird mich aufhalten. Wage keinen Versuch. Es wird dir sonst leidtun.«

      Michail war bemüht, sich seine Angst vor der Drohung Raphaels nicht anmerken zu lassen, und froh, als dieser im selben Moment verschwand. Langsam schloss er die Lider, sackte auf die Knie. Hatte er die richtige Entscheidung getroffen? Wurde er geblendet? Wäre doch Chris noch hier, bei ihm. Aber die Seele des Erlösers hatte Immerzeit verlassen, war in Menschengestalt zurück auf Erden gekehrt.

      Als Michail die Augen wieder öffnete, kniete er nicht mehr in der Station Fulton Center. Nein, er befand sich im Wohnzimmer jenes Hauses, welches zu betreten Chris strengstens untersagt hatte. Und da sah er ihn. Der Neugeborene hatte den hellblonden Kopf nach hinten gestreckt, um die Bilder der Katastrophe im Fernseher zu betrachten.

      »Lässt du dich so schnell irritieren?«, fragte der Säugling durch seine Gedanken und drehte sich musternd zu Michail. Ein sanftes Lächeln umspielte Chris’ Lippen – tapsig hob er einen Arm in Richtung Michail.

      Aus dem Augenwinkel heraus sah Sandra die Bewegung und ihre tränennassen Augen erfassten den leuchtenden Blick des Sohnes, der in die Ferne zu schweifen schien.

       Kapitel 29: Die Pandemie

      Die eingeleitete Fahndung nach Tafari Ballo erübrigte sich nur einen Tag nach Alarm »W69«. Der im Hampton Inn hinzugezogene Arzt reagierte gewissenhaft und ließ beim Anblick Tafaris aus Sicherheitsgründen das komplette Hotel unter Quarantäne stellen. Bemerkenswert, wie er mit dem Hotelmanager streiten musste, der diese Maßnahme als völlig überzogen, ja geschäftsschädigend ansah. Wegen unbedeutenden Nasenblutens gleich das gesamte Areal abzusperren … Der Manager tobte, als ein heller Krankenwagen mit der Aufschrift »Grady EMS« vorfuhr, Sanitäter in weißen Schutzanzügen ausstiegen und mit übergestülpten Schutzmasken die Eingangshalle betraten.

      Das wenig später eintreffende Militär sicherte ebenfalls in raumfahrerähnlichen Anzügen weiträumig das Gelände und ordnete die Bewachung sämtlicher Ein- und Ausgänge an. Über die Lautsprecheranlage des Hotels wurden Gäste wie Angestellte aufgefordert, Ruhe zu bewahren. In kürzester Zeit funktionierte man den Speisesaal um. Feldbetten wurden aufgestellt, haufenweise Aluminiumkoffer mit technischem Gerät untergebracht. Es folgte eine vollzählige Registrierung aller anwesenden Hotelgäste in Listen, ebenso erfasste man jene, die bereits ausgecheckt hatten. Die Informationslisten übergab man unmittelbar dem FBI mit dem Ziel, einen lückenlosen Nachweis sicherzustellen, zu welchen weiteren Personen die etwaigen Infizierten Kontakt gehabt hatten. Ein Unterfangen, welches das FBI gerne mit »Sessa« verglich, der bekannten Legende der Reis- oder Weizenkörner auf dem Schachbrett. Erst eins, dann zwei, dann vier, dann acht …

      Verängstigte Menschen wurden befragt, ob sie eine direkte, wie sie es nannten, »Interaktion« mit jenem Farbigen hatten, der bereits in die Quarantäne-Klinik nach Atlanta gebracht worden war. »Geht es Ihnen gut? Fühlen Sie sich fiebrig?« Die gestellten Fragen sowie die Blutproben, die jeder Person entnommen wurden, trugen nicht gerade zur Entspannung bei. Unübersehbar wurde ein jeder mit afroamerikanischer Abstammung skeptisch fixiert oder gar gereizt gemieden und nur wenige Stunden nach Einleitung der Schutzmaßnahmen kam es zu ersten Handgreiflichkeiten.

      Ein Mann Mitte dreißig, gekleidet in grauem Seidenanzug, stand laut fluchend im Foyer und versuchte den Ausgang zu passieren. Als ihm sein Wunsch verwehrt wurde, rempelte er den Beamten im Schutzanzug zur Seite. Zwei stämmige Soldaten waren gezwungen, den Anzugträger unsanft auf die Knie zu zwingen, bevor sie ihm Handschellen anlegten. Selbiger Akt der Freiheitsberaubung verbreitete sich zwar wie ein Lauffeuer im Gebäude – sorgte indes aber für Einkehr von Ruhe.

      Sergeant Major Boyle war abgestellt, die vorgefahrene Presse zu beruhigen. Er war Experte darin, mit beschwichtigenden Phrasen die Pressevertreter vorerst ruhig zu stellen, ohne auf Details einzugehen. »Reine Vorsichtsmaßnahme – noch wisse man nichts Genaueres – keine voreiligen Spekulationen der Presseleute …«

      Die Information aus New York, die Dr. Kleinschmidt vorgelegt wurde, enthielt folgende Botschaft:

       Erkrankte Person, männlich, farbig, Anfang 30. Transport dreizehn fünfundvierzig nach Grady, Atlanta. Festgestellter Todeszeitpunkt sechzehn null eins. Innerliche Blutungen, Schock, multiples Organversagen. Angereist mit Flugnummer AA407 – Burkina Faso – Ankunft New York zweiundzwanzig vierundzwanzig mit Zwischenlandung Brüssel – Weiterflug Miami. Flugsicherung alarmiert; Passagierlisten aktiv. Erste Laborergebnisse aus Grady werden nochmals geprüft. Unbekannte Virenart der Spezies Filoviridae. Laborbefunde anbei.

      Passagierlisten aktiv, dachte Dr. Kleinschmidt. So eine Scheiße. Patient 3, verstorben, hatte sich ungehindert, nichtsahnend, in Belgien und den USA bewegt. Ohne Zweifel war er im Ballungsraum der Flughafengelände mit Hunderten, wenn nicht Tausenden Menschen in Kontakt gekommen. Wenn auch nicht direkt, so indirekt.

      Zeitspanne Ansteckung bis Exodus des Patienten: ebenfalls geschätzte acht bis zwölf Stunden. Dr. Kleinschmidt ahnte bereits, welchen Befund der Laboruntersuchungen aus den USA er vorfinden würde. Seine Vermutung bestätigte sich – Deckungsgleichheit mit den Ergebnissen aus Burkina Faso. Es war an der Zeit, den Präsidenten zu unterrichten.

      Albany, Wedgewood Drive: Die alte Dame mit violett gefärbten Haaren, brauner Safarihose, weißer Bluse und Sportschuhen bekam das Ende nicht mehr mit. Gerade erst aus Westafrika heimgekehrt, lag sie besinnungslos und blutend auf dem Fußboden ihrer Küche und noch bevor die inneren Organe versagten, erstickte sie an ihrem Erbrochenen.

       Kapitel 30: Sechs Jahre Elend

      Die Pandemie erfasste große Teile Europas sowie weitere Kontinente. Mehr als 54 Millionen Menschen starben in den Jahren 2016 bis 2021 einen erbarmungslosen blutigen Tod. Dann, so wie die Seuche gekommen war, verebbte sie abrupt. Man fand trotz der Zusammenarbeit internationaler Wissenschaftler kein Gegenmittel zu dem nach seinem Entdecker benannten »Guambo-Virus«.

      Über die katastrophale Pandemie hinaus beschäftigte ein expandierendes »Krebsgeschwür« Politiker aller Nationen. Unaufhaltsam wütete


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