Mörderische Bilanz. Christopher Stahl

Mörderische Bilanz - Christopher Stahl


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dich nur geirrt odermich angelogen hast!” Sein Tonfall verriet, dass er sich inzwischen immer weniger wohl fühlte in seiner Haut.

      „Wie meinst du das?”

      „Darius, wir sind befreundet. Das kann ich nicht einfach negieren. Die Kollegen in Spanien haben uns um Amtshilfe ersucht, zugegeben noch inoffiziell. Aber du weißt ja, dass das im Rahmen der EU-Harmonisierung inzwischen nur noch reiner Formalismus ist.”

      Ich setzte zu einer Frage an, was Heribert jedoch mit einer energischen Handbewegung abwehrte.

      „Die derzeit einzige Spur auf der Suche nach dem Täter führt nach Deutschland, hierher, zu dir. Und es ist meine Aufgabe, der Sache auf den Grund zu gehen. Egal, was dabei herauskommt. Je mehr ich die inzwischen bekannten Tatbestände miteinander verbinde und die potenziellen Möglichkeiten dazu addiere …”, er schüttelte den Kopf. „An der Geschichte stimmt etwas nicht!”

      „Wovon sprichst du? Welche Tatbestände? Was soll nicht stimmen?”

      „Darius, ich bin ja überzeugt davon, dass sich alles aufklären wird. Bevor sich ein anderer einschaltet, zum Beispiel, weil mir wegen unserer Freundschaft Befangenheit unterstellt wird, lass uns in Ruhe alles auf die Reihe bringen. Wir müssen alles dokumentieren, was auch nur irgendwie auf eine Verbindung zwischen dir und dem Mordopfer hinweisen könnte.”

      „Dann fang an.” Ich nickte und war gespannt, wie sich die Sache entwickeln würde.

      „Erstens: Conrad Hauprich kommt ursprünglich hier aus der Gegend. Zweitens …”, er zählte mit den Fingern mit, „Bingen liegt etwa 30 Kilometer von deinem Wohnort entfernt. Drittens: Ihr seid Berufskollegen und zudem im gleichen Kammerbezirk. Zu der Zeit, als Hauprich noch inBingen seine Kanzlei führte, warst auch du schon Steuerberater. Viertens: Dein Name ist im Wochenspiegel unterstrichen – dick unterstrichen. Fünftens: Deine Telefonnummer ist neben deinem Namen aufgeschrieben. Sechstens und am wichtigsten: Ihr habt tatsächlich miteinander telefoniert, das ist bereits bewiesen. Deshalb hat mich der Kollege Muñoz auf dich angesetzt. Ob als möglicher Tatzeuge oder als Verdächtiger, das ist zuerst einmal nebensächlich.”

      „Was soll denn da noch bewiesen werden, wenn ich es dir doch bereits gesagt habe. Ich habe dir ja aus freien Stücken von dem Anruf am Freitag erzählt. Das müsste doch genügen, mehr weiß ich nicht.”

      „Die Sache ist nur die: Conrad Hauprich besaß einen ISDN-Telefonanschluss und der bewusste Anruf ist mit deiner Nummer, dem Datum, der Uhrzeit und sogar der Dauer gespeichert.”

      „Ja also, dann ist doch alles paletti.”

      Ungerührt fuhr Heribert fort. „Um wie viel Uhr sagtest du war das Telefonat?”

      „So gegen 22 Uhr 30.”

      „Siehst du, da beißt sich die Katze in den Schwanz. Zu diesem Zeitpunkt war Conrad Hauprich nämlich bereits eine Stunde lang tot. Der Todeszeitpunkt, ich sagte es bereits, konnte recht exakt bestimmt werden, und zwar auf 21 Uhr 30. Und der Anruf mit dir war, laut Telefonspeicher, genau um 21 Uhr 27 und 16 Sekunden. Außerdem dauerte das Gespräch bedeutend länger, als es aufgrund deiner Schilderung hätte dauern dürfen.”

      „Würdest du mir das bitte etwas ausführlicher erklären?” Langsam kam mir jetzt doch die Galle hoch.

      „Herr Schäfer …” zitierte Heribert das Telefonat aus dem Gedächtnis, „was kann ich für Sie tun? … Sie kennenmich nicht … ich muss unbedingt mit Ihnen sprechen … es ist wichtig … wir sind Kollegen … Ihren Namen habe ich aus einem Artikel im Wochenspiegel … ich bin … lass das … was soll denn das … lass uns doch darüber reden … das ist doch verrückt … meine Tochter. Das dauerte”, er sah auf die Notiz, die er sich bei meiner Schilderung gemacht hatte, „… maximal 25 Sekunden. Ich habe auf die Uhr gesehen. Das Telefonat mit dir dauerte aber, laut der gespeicherten Zeit, tatsächlich vier Minuten und 33 Sekunden.”

      Er hatte sich zu mir gebeugt und sah mir direkt in die Augen. „Denk genau nach: Wann hast du den Anruf bekommen? Vielleicht verwechselst du etwas.”

      Ich schüttelte halsstarrig den Kopf.

      „Bist du vielleicht zwei Mal angerufen worden?”

      „Daran könnte ich mich erinnern.”

      „Vielleicht ist Sonja beim ersten Mal drangegangen”, schlug Heribert vor.

      „Quatsch, das habe ich doch schon gesagt, dass Sonja bei der Chorprobe war. Deshalb kann ich mich ja auch so genau an die Uhrzeit erinnern”, erklärte ich genervt.

      Heribert seufzte resigniert: „Wir brauchen eine schlüssige Antwort, oder aber …!”

      Ich überlegte kurz, tippte mir mit dem Zeigefinger an die Stirn, als ich den logischen Fehler erkannt hatte, und lachte dann zu Heriberts sichtlichem Erstaunen lauthals auf. Bevor er sich von seinem Staunen wieder erholte, wurde ich schlagartig ernst.

      „Zu welchen Schlussfolgerungen aus all dem, was nun schwarz auf weiß bekannt ist, könnte denn einer deiner Kollegen kommen? Einer, dem ich so unsympathisch bin, dass er seine Animosität bewusst zügeln muss, und der zudem von seiner Kombinationsgabe überzeugt ist.”

      „Du meinst so einen übereifrigen, karrieregeilen Typen mit überbordender Fantasie? So einer, wie er als Realität getarnte Persiflage in schlechten Fernsehkrimis vorkommt?”

      „Jetzt sag bloß, in deinen Reihen gibt es nur unfehlbare Computer, statt Menschen, normale Menschen, mit normalen Schwächen, die sie zu ihrer eigenen Karikatur machen können.”

      „Das mag ich jetzt nicht diskutieren”, wehrte Heribert ab. „Aber auch ohne die Kombinationsgabe eines Sherlock Holms liegen mögliche Schlussfolgerungen offen auf der Hand: Ganz einfach – du lügst!”

      „Und warum, bitte sehr, sollte ich lügen?” forderte ich Heribert heraus, dem der logische Fehler immer noch nicht aufgefallen war.

      Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht um jemanden zu decken. Jemanden der um halb zehn noch kein Alibi hat, wohl aber um halb elf, wenn ihn ein Duzend Zeugen in einer Taverne bei einem guten Wein gesehen haben. Oder aber du hast gar nicht mit Hauprich gesprochen, sondern mit dem Täter, der dich um Hilfe bittet oder – schlimmer noch – der dir mitteilt, dass der Auftrag erledigt ist.”

      „Und das Motiv?” bohrte ich nach.

      Heribert blies die Backen auf.

      „Siehst du, das Schweigen im Walde, du hast nichts, was beweisbar wäre”, trumpfte ich auf. „Das Ganze steht und fällt doch damit, dass es als Tatsache gilt, dass nicht Conrad Hauprich mit mir telefoniert hat, sondern eine unbekannte Person. Und zwar von Hauprichs Anschluss aus”, resümierte ich.

      „Ja, und zwar, da du ja auf Beweiskraft pochst, nachweislich 4 Minuten 33 Sekunden lang.”

      Ich sah Heribert durchdringend an, bevor ich ihn mit der Feststellung „du warst doch erst dieses Jahr in deinem Urlaub auf den Kanaren”, sichtlich überraschte.

      „Ja, auf Fuerteventura, das weißt du doch. Was hat das mit dieser Sache zu tun?”

      „Sehr viel. Kurz vor der Landung in Puerto del Rosario, was hat der Flugkapitän da über die Ortszeit und das Stellen der Uhren gesagt?”

      Heribert runzelte die Stirn, blickte irritiert erst auf seine Uhr und dann wieder auf mich, bevor er mit der flachen Hand laut klatschend gegen seine Stirn schlug.

      „Wie kann mir so etwas nur passieren?!”, Heribert schüttelte ärgerlich der Kopf. „Seit wann war dir klar, dass es nach der kanarischen Ortzeit eine Stunde früher als bei uns ist?”

      „Seit dem Moment, als du so händeringend eine schlüssige Antwort gesucht hast. Da wollte ich den Gedankenfehler noch aufklären, aber du warst so im Rausch deiner potenziellen Beweisführung, dass ich dir deinen Spaß gönnen wollte.”

      „Das ist kein Spaß, Darius!” Heriberts Stimme klang fast verzweifelt. „Mir geht es vor allem


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