Ein kleines Stückchen Seligkeit. Pam Rhodes
Tür geschafft, die offenbar der Hintereingang war, und die nicht nur unverschlossen war, sondern sperrangelweit offen stand. Nachdem er eingetreten war, zog er sie ordnungsgemäß wieder zu (er konnte einfach nicht anders) und betrat eine Küche, in der ein erschreckendes Durcheinander herrschte. Der Tisch, die Arbeitsflächen und sogar das Kochfeld des Herdes waren vollgeräumt mit allen möglichen Stapeln und Haufen von Tellern und Besteck bis hin zu Briefen, Zeitungen und Zeitschriften. Über dem Herd lag eine Bibel, auf der wiederum in riskantem Gleichgewicht ein Gebetbuch balancierte. Neil grinste. Kein Zweifel, hier wohnte eine Pfarrerin!
Als etwas an seinem Hosenbein entlangstrich und er nach unten schaute, traf er auf den argwöhnischen Blick des größten und flauschigsten roten Katers, den er je gesehen hatte. Er wollte sich gerade herunterbeugen, um den kleinen Kerl ein bisschen unterm Kinn zu kraulen, da funkelten ihn ein Paar gelbe, böse Katzenaugen an. Der vierbeinige Bewohner zog zu Erkundungszwecken eine Acht um Neils Beine und ließ dabei keinen Zweifel daran, dass er keinen Besuch mochte. Neil zog sich rasch einen Hocker heran, der in der Nähe stand, setzte sich hin, presste seinen Aktenkoffer fest an sich und zog die Knie hoch, so weit er konnte.
»Frank!«
Dieselbe Stimme, die ihn gerade draußen angesprochen hatte, drang von irgendwo oben durchs ganze Haus, jetzt allerdings doppelt so laut.
»Sag ihm, wo der Tee ist, sei so lieb, ja? Ach, ich glaube, wir haben gar keine Plätzchen mehr.«
Fasziniert schaute Neil in Richtung der offen stehenden Küchentür, durch die das schlurfende Geräusch von Hausschuhen zu hören war. Und dann kam ein adretter kleiner Mann mit grauem Haar und überraschend buschigen dunklen Augenbrauen um die Ecke. Er verschaffte sich kurz einen Überblick über die Lage – die Position der Katze und des Mannes – und als er Neil schließlich anlächelte, hatte sein Blick etwas Mitfühlendes, Verständnisvolles.
»Tut mir leid«, sagte er. »Meine Frau ist gerade erst von einem unvorhergesehenen Besuch im Krankenhaus zurück. Sie kommt gleich herunter. Ich bin übrigens Frank. Und das da ist Archie. Der ist im Grunde ganz harmlos, auch wenn er immer ein bisschen grimmig aussieht. Was kann ich Ihnen anbieten? Tee?«
»Nein, vielen Dank«, sagte Neil, ohne seinen Blick von dem Raubtier zu seinen Füßen abzuwenden. »Ich möchte Ihnen wirklich keine Umstände machen.«
»Ach, in diesem Haus ist immer Teewasser heiß«, sagte Frank lächelnd. »Das müssen Sie lernen, wenn Sie zu uns stoßen. Dies ist Ihr erster Vorstellungstermin für eine Stelle als Vikar, oder? Sie werden es hier bestimmt gut haben. Margaret wird sich gut um Sie kümmern.«
»Hast du ihn gefunden, Frank?« Das war wieder die Stimme von vorhin.
»Ja, Liebes, es geht ihm gut. Archie hält ihn in Schach …«
»Ach du lieber Himmel, lass dem armen Mann noch ein bisschen Luft zum Atmen, Archie!«, sagte Pfarrerin Margaret Prowse, als sie mit einer Kiste voller Sammelbüchsen unter dem Arm in die Küche kam.
»Nimm mir die doch bitte mal ab, mein Lieber, bevor ich sie fallenlasse. Die hat Peter hergebracht, obwohl die eigentlich ins Gemeindehaus gehören – ich weiß auch nicht, was er sich dabei gedacht hat!«
Es herrschte kurz Verwirrung, bis die Kiste überreicht war. Unter ihrer Last wirkte Frank beinahe wie ein Zwerg, als er hinüberwankte zu einem der vielen Stapel, der noch nicht zu hoch war, um noch etwas darauf abzustellen.
»Margaret Prowse!«, sagte die Frau, schob ihre Brille ein bisschen weiter hoch auf die Nase, damit sie Neil etwas genauer betrachten konnte, und kam dann mit freundlicher Miene und ausgestreckter Hand auf ihn zu, um ihn zu begrüßen.
»Wie schön, Sie kennenzulernen, Neil! Hatten Sie eine gute Anreise?«
»Ja, sehr gut. Der meiste Verkehr ging in die andere Richtung. Ich freue mich ebenfalls sehr, Sie kennenzulernen.«
Neil merkte, wie Margaret plötzlich durch einen Blick auf die große Wanduhr hinter ihm abgelenkt wurde.
»Ach du lieber Himmel! So spät schon?« Sie zog ein leicht zerknirschtes Gesicht in Neils Richtung. »Hören Sie, ich weiß, dass es nicht besonders gut passt, und ich hoffe, Sie halten mich nicht für unhöflich, aber ich muss noch mal kurz weg. Sie werden sicher schon bald merken, dass das Leben in einer Gemeinde nie vorhersehbar ist. Es dauert auch nicht lange. Ich habe heute Morgen einen Anruf von Violet bekommen, einem treuen Gemeindeglied. Es geht ihr sehr schlecht – ein Trauerfall, wissen Sie?«
»Ach«, sagte Neil. »Ein Familienangehöriger?«
»Ja und nein – es handelt sich um ihren Wellensittich Poppet. Wenn man fast neunzig ist und so ein Vogel die einzige Gesellschaft, dann ist der Verlust eines solchen Gefährten schon ein Schock. Violets Tochter kommt um halb zehn zur Beerdigung …«
Neil spürte, wie seine Augenbrauen fragend nach oben schossen.
»Nichts Offizielles natürlich. Poppet soll nur unter Violets Magnolie zur letzten Ruhe gebettet werden.«
»Hast du dir schon überlegt, was du sagen willst, Liebes?«, erkundigte sich Frank.
»Nein, noch nicht. Ich glaube, das mache ich am besten spontan. Ich habe gerade eben noch einmal einen Blick ins Gebetbuch geworfen und nachgeschaut, ob es zu diesem Anlass etwas Passendes gibt, habe aber leider nichts gefunden. Hätten Sie nicht vielleicht eine Idee, Neil?«
»Für die Beerdigung eines Wellensittichs?« Neil lockerte die Umklammerung um seinen Aktenkoffer ein wenig und stellte ihn dann hinter den Hocker, als er sah, dass Archie gelangweilt davonschlenderte. »Es ist gar nicht so einfach, wenn ein kurzer Abriss vom Leben und Wirken des lieben Verblichenen nicht in Frage kommt, wie bei einer normalen Beerdigung.«
»Ja, da haben Sie recht«, pflichtete Margaret ihm bei. »Aber Violet hat mir schon gesagt, dass sie zu dem Anlass ein Gedicht geschrieben hat. Vielleicht ist ja dann gar keine Ansprache mehr nötig. Und dann vielleicht noch ein Choral? Was meinen Sie?«
»›Geh aus mein Herz und suche Freud´?‹«, schlug Neil vor. »Da gibt es doch eine Zeile über Vögel und ihre Flügelein, wenn ich mich recht erinnere …«
Margaret grinste zustimmend. »Zwei Genies – ein Gedanke. Genau daran habe ich auch gedacht. Und dabei fällt mir ein, dass ich sogar die Instrumentalbegleitung für ›Geh aus mein Herz und suche Freud‹ auf meinem iPod habe. Ein bisschen Musik sorgt bestimmt für die richtige Atmosphäre. Weißt du, wo diese Lautsprecher sind, die wir mit im Urlaub hatten, Frank? Du weißt schon, die Dinger, die mit Batterie laufen.«
»Die sind oben im Schrank, glaube ich. Ich geh und seh' mal nach.«
»Wunderbar! Kannst du sie dann bitte gleich zur Hintertür bringen? Und Sie … vielleicht möchten Sie sich ja in der Zeit, in der ich weg bin, schon einmal die Kirche und die nähere Umgebung anschauen. Ich werde bestimmt nicht lange fort sein. Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie nicht mitnehmen kann, aber ich glaube, dass Violet im Moment mit neuen Gesichtern überfordert wäre.«
»Das verstehe ich. Und ich freue mich, dass ich so die Gelegenheit habe, mir die Kirche anzuschauen.«
»Gehen Sie einfach durch das Tor am Ende des Gartens und dann weiter geradeaus. Sie können sie gar nicht verfehlen.«
Nicht schon wieder!
»Die Kirchentür ist nicht verschlossen, aber sie ist schwer zu öffnen. Achten Sie darauf, dass sie nicht hinter ihnen zufällt, wenn Sie in der Kirche sind, denn dann klemmt sie oft, und man bekommt sie gar nicht mehr auf. Ich bin bald zurück, und dann können wir das Organisatorische besprechen, ja?«
Neil nickte, war sich dabei aber nicht ganz sicher, mit welchem Teil der Flut von Worten er sich einverstanden erklärt hatte.
Margaret war ohnehin nicht mehr im Raum.
»Frank! Frank, ich mache mich jetzt auf den Weg! Wo sind denn jetzt die Lautsprecher? Ach, da stehen sie ja.«
Zu seiner Überraschung hörte Neil ein schmatzendes Kussgeräusch, gefolgt von einer Flut weiterer Instruktionen:
»Denk