Babaji - Von Herz zu Herz. Gertraud Reichel

Babaji - Von Herz zu Herz - Gertraud Reichel


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zu baden, begann ich mich meiner Hauptaufgabe im Ashram zu widmen, die scheinbar darin bestand, Babaji zu beobachten. Seine Aktivitäten schienen - soweit ich es beurteilen konnte - aus einer speziellen vor Sonnenaufgang abgehaltenen Feuerzeremonie, aus seiner Anwesenheit beim morgendlichen und abendlichen Singen, aus Empfängen von Anhängern in seinem Raum und aus zeitweiligem Überwachen von vedischen Ritualen zu bestehen. Manchmal saß er im Garten, irgend jemand massierte ihm dabei die Füße, malte mit Wasserfarben oder spielte Schach mit einer Gruppe aus dem Westen. Zu anderen Zeiten wies er seinen Anhängern kraftvoll Arbeiten zu: einen Baum zu pflanzen, einen überwucherten Pfad zu säubern oder aber Steine vom Fluss zu einer Baustelle zu tragen. Oftmals erschien er munter zur Mittagszeit zwischen den am Boden sitzenden und essenden Schülern, ging hin und her, stellte hier und dort eine Frage, wie sie den Reis fänden, ob sie es bequem hätten etc. Seine Energie schien unerschöpflich. Man mag über Babajis eher einfache tägliche Routine rätseln. Augenscheinlich vollbrachte er keine spektakulären Wunder wie der alte Herakhan Baba, noch schien er hart und streng wie in Yoganandas Beschreibung. Woher wissen wir, dass er wirklich Yoganandas Babaji ist? Hier kann ich keine große Hilfe sein, ich spürte einfach sofort, als ich von ihm hörte, dass er der echte Babaji ist. Als Babaji einmal von meinem Mann scherzhaft gefragt wurde, ob er der Mann auf dem Foto des Herakhan Baba sei, antwortete er lächelnd: "Ja" und signierte das Foto.

      Mahendra Baba hatte vorausgesagt, Babaji würde "Bhole Baba" oder "anspruchsloser Vater" genannt werden, weil er keine offensichtlichen Wunder vollführe. Er tut es auch nicht, wenigstens meistens nicht.

      Ich hörte von einer Begebenheit, als im Ashram unerwartet eine Busladung von einhundert Schülern aus der nahen Kleinstadt Haldwani ankam. Es war Mittagszeit, und die Gäste füllten den Innenhof, die Stufen und gar die Wege im Garten. Dort warteten sie in der heißen Sonne auf das Mittagsmahl. Die indische Köchin war sehr beunruhigt, hatte sie doch nur Speisen für etwa zwanzig Leute vorbereitet, und sie wusste, dass unmöglich alle Anwesenden beköstigt werden konnten. "Teile das Essen aus!" befahl Babaji, ihren Protest nicht beachtend. Somit begannen die Helfer, sich mühsam durch das sitzende Gedränge von Dorfleuten hindurchzuarbeiten, um Reis und Gemüse auf die Bananenblätter-Teller zu häufen.

      Kellenweise die Speise verteilend, machten sie ihren Weg durch den dicht gefüllten Hof, die Stufen und Wege hinunter in den Garten. Sie füllten den Teller des letzten Gastes und gingen zurück, um nochmals Nachschlag auszuteilen. Der Köchin wurde bewusst, dass Babaji irgendwie eingegriffen hatte, konnte es aber nicht beweisen. Babaji schützte wie üblich Unwissenheit vor.

      Meine Bekannte aus San Francisco erwähnte eine andere "Fisch- und Brotausteilung" aus der Zeit, in der sie dem Ashram als Köchin diente. Ich hörte viele Geschichten wie diese: Babaji, obwohl im Ashram anwesend, erscheint in einem entfernten Dorf, um eine kranke Bauersfrau zu heilen; Babaji, der allein mit einem bestimmten Schüler plötzlich fließend Englisch oder Deutsch spricht; Babaji, der sich plötzlich leichter macht, wenn ein kühner Anhänger darauf besteht, ihn durch den Fluss zu tragen. Das Wunder, das ich persönlich erlebte, war sein offensichtliches Gedankenlesen, eine alltägliche Handlung im Ashram, wie ich später erfuhr. Mir wurde mitgeteilt, wenn ich ihn in Gedanken um etwas fragen würde, käme die Antwort früher oder später. Und wirklich. Zu meiner Überraschung brauchte ich nur um Verstehen oder um einen Einblick in ein Problem zu bitten, die Antwort wurde mir auf ganz subtile Art gegeben: als plötzlicher Lichtblick oder durch jemand anderen. Begleitet wurde dieses Phänomen oftmals durch eine kleine äußere Geste seinerseits. Ich wusste plötzlich eine Antwort oder hatte eine kleine Eingebung, woraufhin Babaji mir eine Mango reichte. Jedes Mal, wenn ich geistig den richtigen Weg einschlug - so schien es mir - bekam ich die sofortige Bestätigung von ihm: einen schnellen Blick, eine Hand zum Segen erhoben, ein wenig Prasad.

      Je länger ich bei Babaji weilte, um so erstaunlicher erschien er mir. Wenn er den Küchenbereich betrat, wurde dieser Trakt lebendig. In Saris gekleidete Damen sprangen auf von ihrem Reis, den sie gerade säuberten, um ihn zu begrüßen. Der jugendliche Koch tauchte aus seiner Holzhütte auf, strahlend, das brodelnde Gemüse momentan vergessend. Die Küchengehilfen umringten Babaji, ihre glänzenden Gesichter leuchteten mit dem "Er-ist-Hier" Ausdruck, den ich so gut kennenlernte.

      Im Juni 1970, so erzählt die Geschichte, träumte ein Bauer aus Haidakhan namens Chandramani6, er solle den Gautma Ganga Fluss überqueren und eine Höhle am Fuße des Kailash Berges betreten. Und wirklich, als er in die Höhle kam, fand er einen wunderschönen Jüngling in Lotuspose sitzend vor. Er war groß, schlank, mit dunklem, schulterlangen Haar und heller Hautfarbe. Chandramani eilte nach Hause, um Milch zu holen und zog schließlich selbst in die Höhle, um dem Jüngling, den er verehrte, zu dienen. Kurz darauf erklommen die beiden den Kailash Berg. Fünfundvierzig Tage saß dann der Jüngling unbeweglich in perfekter Yoga-Positur auf dem Gipfel, aß und trank nicht, noch öffnete er seine Augen. Später überquerten er und Chandramani den Fluss und gelangten zu einem kleinen oktagonalen Tempel, der zuvor vom Herakhan Baba erbaut worden war. Sie lebten in einer Hütte nahebei und die Bauern kamen, einer nach dem anderen, um dem bemerkenswerten jungen Mann ihre Verehrung zu zeigen, in dem Glauben, dass endlich ihr Herakhan Baba zurückgekehrt sei.

      Ein Jahr nach seinem Erscheinen besuchte der junge Guru verschiedene Dörfer und Städte Nordindiens. Dadurch wurden mehr und mehr Leute auf ihn aufmerksam, und bald strömte das Volk zu dem abgelegenen Tempel in den Kumaon Hügeln.

      Eine indische Bekannte aus Bombay erzählte mir, wie sie Babaji in jenen Tagen zum ersten Mal traf, und wie er sich ihr offenbarte. Meine Bekannte, ein ernster Mensch und ziemlich westlich eingestellt, las 1959 die "Autobiographie eines Yogis". Sie fühlte ein intensives Verlangen, Babaji zu finden und machte sich auf den Weg in die Himalaya Berge. Sie fand ihn dort nicht und unternahm daraufhin 1965 nochmals einen Versuch, der ebenfalls ohne Erfolg blieb. Eines Abends, 1971, sie saß gerade mit ihrem Vater am Familienaltar, der mit Bildern von Gottheiten und Heiligen geschmückt war, klopfte ein Verwandter an und bestand darauf, der Familie einen jungen Guru vorzustellen. Die Bekannte hatte die Hoffnung, Babaji jemals zu treffen, aufgegeben und hatte außerdem genug von Gurus, so dass sie keinen mehr sehen wollte. Aber ihr gastfreundlicher Vater beschloss, ihn zu empfangen.

      Der Verwandte brachte einen auffallend schönen Jüngling herein, der sofort zum Altar ging und sich dort niederließ. Er schaute intensiv auf meine Bekannte und deutete wortlos auf ein Bild auf dem Altar, das vorher dort nicht gestanden hatte. Es war die Federzeichnung von Babaji aus der "Autobiographie eines Yogi". Dann deutete er auf sich und wiederholte diese Geste zweimal. Innerlich zutiefst getroffen, fiel ihm meine Bekannte zu Füßen. Endlich hatte sie Babaji gefunden.

      Diese Frau und andere indische Schüler berichteten mir über die ersten Jahre Babajis in Haidakhan. 1971 und 1972, so sagten sie, saß er stundenlang mit geschlossenen Augen in Lotusposition, augenscheinlich in tiefen meditativem Zustand. Auch wenn er nicht meditierte, sprach er wenig und wenn, dann nur einsilbig. Seine Augen schienen Licht auszustrahlen und oftmals war sein Blick so hell und durchdringend, dass man ihn nicht anschauen konnte. Fotos aus dieser Zeit zeigen Babaji als einen schlanken, wundervoll geformten Jüngling, etwa zwanzig Jahre alt, mit dunklen, fesselnden Augen und einem wirren Haarschopf. Auf einigen Fotos sah er aus wie ein Sioux-Indianer, auf anderen wie eine Madonna.

      Theaterspiel

      Der erste Sturm der Vor-Monsunzeit brach aus, und der ruhige Fluss in seinem flachen Flussbett schwoll an zu einem reißenden, lehmigen Strom. Die Luft wurde kühl und die pfirsichfarbenen Gebäude, die Wege aus Zement, die verschwenderisch wachsenden Bananenblätter, - alles war nass und glänzte vor Feuchtigkeit.

      "Wenn du Babaji nur beobachtest, wirst du nicht viel von ihm erfahren," dachte ich. Ich saß im hinteren Teil der tropfenden Kirtanhalle und versuchte das, was ich von dem legendären Babaji und von diesem rätselhaften Meister vor mir wusste, zu vereinbaren. Jedem zeigt er sich nämlich anders. Manchmal änderte sich sein Verhalten sogar von Minute zu Minute, mal ist er kindlich, mal ein liebevoller Spielkamerad, dann aber, ganz plötzlich, schaltet er ab, als ob er gerade abgerufen worden sei und nur seinen physischen Körper zurückgelassen hat. Er konnte ernst sein, streng, liebevoll oder sich sogar ein wenig lächerlich machen. Zu einer hübschen Frau aus Punjab und ihren Kindern war er fortwährend aufmerksam,


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