Neues vom Tatort Tegel. Ingrid Noll
zitterten.
»Der Ärmste!«, stieß Mia Maximilian hervor.
»Hat er denn mit Ihnen über die Tötungsszene auf der Bühne gesprochen?«, wollte Peer Kappe wissen.
Dr. Christian Kühl verneinte. »Daran kann er sich nicht mehr erinnern, wir sprechen in diesem Falle von einer emotional begründeten Amnesie. Wir haben bei ihm auch Schlafstörungen, Magenbeschwerden mit einer Anacidität, eine Herzbeengung und eine Neigung zur Ohnmacht diagnostiziert.«
Kaum hatte er das ausgesprochen, kippte Sullenschin nach rechts weg, und Dr. Christian Kühl eilte nach unten, um ihn ins Leben zurückzuholen.
Schweigend fuhren Peer Kappe und Mia Maximilian zurück ins Landeskriminalamt. Dort kam einer ihrer Mitarbeiter auf sie zu.
»Hallo! Wir haben in der Zwischenzeit weder das verschwundene Theatermesser gefunden noch den Käufer des echten Messers entdeckt, sind aber dafür unter den Besuchern auf einen gewissen Timon Tütz gestoßen, der den Organisatoren im Bezirksamt Reinickendorf diese E-Mail hier geschickt hat: Schluss mit dieser Scheißkriminacht, Schluss mit dieser Unkultur! Krimis machen die Menschen nur zu Tätern, sie gehören verboten! Ich werde demnächst ein Zeichen setzen!« Nach einer kurzen Pause fügte der Mitarbeiter hinzu: »Das ist schon der Zweite, der reif ist für die KBoN.«
»Das sind wir doch alle, die wir schon länger in Berlin leben«, antwortete Peer Kappe lakonisch.
Timon Tütz wohnte am Medebacher Weg, nahe der Fußgängerzone Alt-Tegel. Bis zum Tatort Humboldt-Bibliothek waren das nur wenige Hundert Meter, vom Landeskriminalamt aber brauchten sie laut Google Maps für 12,6 Kilometer 28 Minuten, wenn sie über Wedding fuhren. Sie schafften es trotz der Hauptverkehrszeit in 29 Minuten und standen dann vor einem Mietshaus, dessen Fassade Mia Maximilian ausrufen ließ: »Und da heißt es immer, nur in der DDR habe es Plattenbauten gegeben!« Auf dem Klingelklavier gab es tatsächlich den Namen Tütz, doch als sie auf den entsprechenden Knopf drückten, blieb die Gegensprechanlage stumm.
Peer Kappe sah auf seine Armbanduhr. »17.32 Uhr. Selbst wenn Timon Tütz berufstätig sein sollte, müsste er langsam zurück sein.«
Doch der kam und kam nicht, und als sie eine Nachbarin nach ihm fragten, bekamen sie die Antwort, dass er am Morgen verreist sei, ohne ihr aber zu sagen, wohin.
»Das sieht ganz nach Flucht aus«, stellte Mia Maximilian fest.
*
Ein halbes Jahr mochte seit der in vielerlei Hinsicht unvergesslichen Reinickendorfer Kriminacht ins Land gegangen sein, da sollte ich Fabio Sullenschin wiedersehen, wenn auch nicht face to face, sondern auf dem Bildschirm: in der ersten Folge der neuen TV-Serie »Mach dein Glück! Geh nach Berlin!« Er hatte die Hauptrolle bekommen, und das Ganze war in den Medien mit einem wahnsinnigen Bohei bedacht worden. Überall hörte und sah man Sullenschin oder las etwas von ihm und über ihn. A star was born. Ab und an tauchte dabei auch mein Name auf, und wegen meiner narzisstischen Bedürftigkeit war mir das durchaus nicht unangenehm.
Dann kam der Anruf von Peer Kappe.
»Lieber Herr Bosetzky, wegen Ihrer alten Verbundenheit mit dem Hause Kappe, aber auch weil sie ja in den Mordfall Jannek Schloppe selbst so stark involviert sind, will ich Ihnen schon vorab mitteilen, was Sie morgen in der Zeitung lesen können: Wir haben den wahren Mörder Schloppes gefunden und auch schon sein Geständnis vorliegen. Nun raten Sie einmal, wer es war?«
»Dieser Timon Tütz?«
»Nein.«
Ich riet weiter. »Lexa Krojanke?«
»Nein.«
Ich gab auf. »Dann der große Unbekannte?«
»Wieder: nein.«
Ich wurde langsam ungeduldig. »Dann verraten Sie’s mir endlich!«
Er zögerte seine Antwort so lange hinaus, wie sie es im Fernsehen bei den Endausscheidungen ihrer Castingshows immer machten.
»Der Mörder ist … Fabio Sullenschin!«
»Nein!«, stieß ich hervor.
»Doch!«, kam es von Peer Kappe. »Er hat es getan, um die Hauptrolle in ›Mach dein Glück! Geh nach Berlin!‹ zu bekommen. Da ging es zuletzt nur noch darum: Jannek Schloppe oder Fabio Sullenschin.«
»Aber er war doch in der KBoN!«, wandte ich ein.
Peer Kappe lachte. »Ja klar, aber das arme Opfer hat er nur gespielt. Wozu ist er ein so blendender Schauspieler!«
»Und wie sind Sie auf ihn gekommen?«, wollte ich abschließend wissen.
»Ein Haushaltswarenhändler in Bochum hat ihn auf dem Bildschirm wiedererkannt. Bei dem hat er vor Jahren, als er bei den Ruhrfestspielen zu Gast war, die Tatwaffe gekauft.«
»Klar, alte Weisheit«, schloss ich. »Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen.«
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