»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner Rosenzweig
in der Schul rum und reißt Türken-Weiber auf.« Dann wandte er sich wieder an seinen Sohn: »Wie ich so alt war wie du, da hab ich scho fünf Jahr aufm Bau gärwert und Geld verdient! Da hab ich keine so Flausn im Kopf ghabt wie du.«
»Warst halt auch a weng zu bleed für das Gymnasium”, konterte sein Sohn sichtlich aufgebracht.
»Walter, das sagt man fei net zu seim Vadder! Jahrzehntelang ham wir nur buckelt und gärwert. Und für wen? Doch nur für dich. Du sollst es doch mal besser ham als wir.«
»Siehst du«, brauste Moritz Fuchs auf, »frech wird er auch noch zu seine Eltern, der Rotzlöffel! Wer hat denn dir das alles ermöglicht, das schöne Leben, das wo du heut führst? Vom Maul ham wir uns das alles abgspart, ich und dei Mudder. Und dann kriegst du so was gsagt! Do hört sich doch alles auf. Undank ist der Welt Lohn! Wenn ich des vorher gewusst hätt …, dann hätt ich andere Saitn aufzogen. Das kannst mir glauben. Etz weiß ich auch, warum deine Notn in der Schul immer schlechter werdn … , weilst dieser türkischn Büchsn nachstellst. Die hat dich ja scho ganz schön am Wickel, das Luder. Is dir das bisserla, was von deinem Verstand noch übrig is, auch scho in die Hosn grutscht? Der Lack vo derer Türkin wird fei a bald abgschleckt sein, gell Mudder? Dann kommt der Alltag, … mit dera Schlampn. Da möcht ich net amol dran denkn. Was meinst, wie die aufgehn, wenns amol verheiratet sind? Wie ein Hefeküchla, sag ich dir. Schau dir die Mama an.«
Walter Fuchs konnte sich das Genörgel seines Vaters nicht mehr länger anhören. Genervt und wutentbrannt sprang er von seinem Sessel auf und verließ grußlos das Wohnzimmer, in welchem seine Eltern ihn zur Rede gestellt hatten. Er dachte an Akgül. Ob sie zuhause ähnliche Probleme hatte? Hoffentlich nicht. Er hatte nicht vor, seine Beziehung zu seiner neuen Freundin zu beenden. Egal, wer oder was da komme. Er würde es seinen Eltern schon zeigen. Er war neunzehn. Da ließ man sich doch nicht mehr wie ein Zehnjähriger herumkommandieren.
»So ein Früchtla«, waren die letzten Worte seines Vaters an seine Mutter, bevor Walter außer sich vor Zorn die Haustüre von außen zuknallte, »ich frag mich im Nachhinein bloß, wie du den so erziehn hast können, den Bangert, den nichtsnutzigen?«
9
Norbert Amon quälte ein schlechtes Gewissen. Er war nicht mehr davon überzeugt, dass es richtig war, Müselüm Yilmaz von der Beziehung zwischen Walter und der Akgül berichtet zu haben. Er fühlte sich wie ein Verräter. Schließlich war der Walter doch immer noch sein bester Freund, auch wenn er zwischenzeitlich mehr Zeit mit seiner türkischen Freundin verbrachte als mit ihm. Aber er war einfach wütend, als er selbst von der Geschichte erfuhr. Zufällig. Er hatte das Gespräch zwischen der schwatzhaften Daggi Weber von nebenan und seiner Mutter belauscht, als die Daggi davon erzählte, dass sie den Walter knutschenderweise in Coburg gesehen hatte. Mit der Akgül Özkan. Der Türkin.
»So was macht mei Norbert net«, hatte seine Mutter stolz geantwortet. So ein Blödsinn. Natürlich würde er der Akgül jederzeit gerne an ihre strammen Titten greifen, wenn er die Chance dazu hätte. Aber er hatte bei Frauen eben kein Glück. Er war nun mal kein Adonis, mit seiner Körpergröße von nur einem Meter siebzig, seinen vierundachtzig Kilogramm Lebendgewicht, den Rettungsringen um seine Taille und seiner pockennarbigen Gesichtshaut. Eigentlich hatte er noch nie eine feste Beziehung mit einem Mädchen gehabt. Das kurze Techtelmechtel mit der spindeldürren Hannelore Adam konnte man nicht als Beziehung bezeichnen. Eher als gescheiterten Fehlversuch. Selbst die hatte ihm den Laufpass gegeben. Na ja, daran war er auch nicht ganz schuldlos. Er erinnerte sich noch genau. Ein halbes Jahr war es jetzt her, als sie sich nachts nach einer Party, leicht vom süßen Alkohol betutelt, gemeinsam auf den Nachhauseweg machten. Er spielte den Charmeur und hatte ihr angeboten, sie zu begleiten. »Brauchst ka Angst zu ham, ich bring dich schon heim«, hatte er ihr gesagt und sie dabei schmachtend angesehen. Sie lächelte ihn dankbar an. Als sie an der Lohmühlhalle vorbeikamen, nahm er all seinen Mut zusammen und drängte Hannelore mit seinem Körpergewicht zielstrebig in das gegenüberliegende Wäldchen. Sie ließ es geschehen. Als er sie dann stürmisch küsste, hatte sie noch immer nichts dagegen. Er wollte mehr. Ermutigt griff er ihr blitzschnell mit beiden Händen unter ihren Pullover und schob ihr den BH fast bis unters Kinn. Dann griff er zu. Besser gesagt, er wollte zugreifen. Doch da war nichts, außer zwei nicht erwähnenswerten, leichten Schwellungen, auf denen je eine Brustwarze saß. Statt der erhofften, straffen Schnaufhügel legte er einen Wust an Stofftaschentüchern frei, welche sanft auf den Waldboden fielen. Anstelle sexueller Wallungen bekam er dann einen kräftig geführten Boxhieb auf die Nase, und Hannelore lief schreiend und schluchzend davon. Er war so verdattert, dass er zunächst überhaupt nicht reagierte. Er stand einfach nur da und in seinem Gehirn hämmerten die Geräusche, welche Hannelores klappernde Absätze auf dem Straßenasphalt verursachten, als sie in der Dunkelheit verschwand. Seine Schwellung im Schritt war auch längst verflogen. Dann hob er die am Boden liegenden Taschentücher auf und zeigte sie am nächsten Tag seinen Saufbrüdern vom Stammtisch Sauf mer nu ans. Norberts Erlebnis machte die Runde unter den Heranwachsenden und Jugendlichen in Röttenbach. Leider ließ es sich in der Folgezeit nicht ganz vermeiden, dass er und Hannelore sich ab und zu im Dorf über den Weg liefen. Hätten ihre Blicke töten können, wäre er jedes Mal einen extrem qualvollen Tod gestorben.
Norberts Gedanken glitten in die Gegenwart zurück. Vor fünf Minuten hatte ihn Doris Kunstmann angerufen. Er hatte sich am Telefon gewunden wie ein Aal, aber sie bestand darauf, dass er ihre Fragen beantwortete. Er war eben kein guter Lügner.
10
Adem Gökhan war vor drei Jahren aus seiner Heimatstadt Ankara an das Türkische Generalkonsulat in der Regensburger Straße in Nürnberg versetzt worden. Von Anbeginn fühlte er sich in der fränkischen Metropole pudelwohl. Mit seiner Frau Ipek und seiner Tochter Akasya bewohnte er seitdem einen kleinen Bungalow im südöstlichen Stadtteil Nürnberg-Fischbach. Wenn da nicht dieser unglückselige Unfall gleich zu Beginn seines Amtsantritts gewesen wäre, ginge es ihm heute noch deutlich besser. Von Zeit zu Zeit erinnerte er sich an das tragische Ereignis von damals. Es war am 17. März 2010. An diesem Tag war er mit seinem Pkw dienstlich zur türkischen Botschaft in Berlin unterwegs, um sich persönlich beim Botschafter seines Landes vorzustellen. Er war fast am Ziel angelangt, als auf der Tiergartenstraße in Höhe Clara-Wieck-Straße ein Junge quer über die Fahrbahn lief. Der Kleine ignorierte den schnell dahinfließenden Verkehr. Er war plötzlich da, ein huschender Schatten. Adem hatte nicht die geringste Chance zu reagieren. Ein wuchtiger Schlag gegen das Fahrzeug, dann wirbelte ein kleiner Körper durch die Luft, flog über das Dach seines silbergrauen Volvos hinweg und schlug hart auf dem Straßenasphalt hinter ihm auf. Auch der nachfolgende Fahrer des grünen Ford Escort hatte keine Chance mehr, rechtzeitig zu bremsen. Er überrollte den reglosen Körper, der bereits aus Nase und Ohren blutete. Der zehnjährige Muhammed Abusharekh, Sohn von Ali Abusharekh, war sofort tot. Die Gerichtsverhandlung im Frühjahr dieses Jahres ging wie erwartet gut für Adem Gökhan aus. Der Richter sah keinerlei Verschulden, welches dem Unglücksfahrer hätte angelastet werden können, und sprach den Mitarbeiter des Türkischen Generalkonsulats von jeglicher Schuld frei. Die palästinensische Großfamilie Abusharekh aus Berlin-Neukölln sah die Schuldfrage allerdings völlig anders als der deutsche Richter: Der Sohn der Abusharekhs sei getötet, der Täter aber nicht bestraft worden. Der Vorfall müsse nach den Bestimmungen der Scharia geregelt werden, forderten sie.
Als Adem Gökhan sich Anfang 2013 erneut auf den Weg nach Berlin machte, um, wie er hoffte, mit den Abusharekhs in einem Versöhnungstreffen zu erreichen, dass man sich nach alter arabischer Tradition die Hände reichen und Tee trinken würde, stellte er schnell fest, dass er sich gewaltig geirrt hatte. Als er die Wohnung der Familie Abusharekh betrat, wusste er, dass die Familie des Unfallopfers keine Friedenspfeife rauchen wollte. Fünfunddreißig Familienmitglieder und der Imam einer Neuköllner Moschee empfingen ihn. Der Geistliche rezitierte aus dem Koran und empfahl erneut, dass der Fall nach der Scharia geregelt werden sollte. Adem protestierte. »Ich akzeptiere die Scharia nicht«, stieß er wütend aus. »Wir leben in Deutschland und unterliegen der deutschen Rechtsprechung. Ich bin von einem ordentlichen deutschen Gericht freigesprochen worden. Mich trifft keine Schuld an dem