Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug. Gottfried Zurbrügg

Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug - Gottfried Zurbrügg


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       Glossar

      Arabidopsis, das klingt wie ein Zauberwort, aber es ist nur der lateinische Name einer kleinen Pflanze, die überall wächst. Ackerschmalwand ist ihr deutscher Name. Die Pflanze sieht einem Hungerblümchen oder einem Hirtentäschelkraut ähnlich, aber sie hat längliche Schoten. Ein Unkraut, das man ausreißt und fortwirft. Trotzdem hat diese unscheinbare Pflanze unser ganzes Leben verändert. Unglaublich, aber wahr!

      Die Wissenschaftler fanden heraus, dass diese Pflanze ein einfaches Genom hat, und haben schon lange alle Gene entschlüsselt. Sie ist ein Modell für pflanzliches Leben geworden. In allen genetischen Laboren stehen Arabidopsispflanzen. Sie gehören dazu wie die Mäuse, die seit Langem Grundlage für die Forschung sind.

      Vor vielen Jahren war ich in der Lehrerfortbildung tätig. Ich habe Biologie und Chemie für das Lehramt studiert und mich stets für Neuerungen in der Forschung interessiert.

      So kam ich vor dreißig Jahren auch nach Tübingen in das Botanische Institut und durfte als Gast an den Forschungen teilnehmen. Ich war Gast und nicht Wissenschaftler, deshalb habe ich die Forschungen auch ganz anders erlebt. Mich begeisterten die Tafeln vor den Laboren, auf denen die Forschungsergebnisse veröffentlicht wurden, um eine enge Zusammenarbeit im Institut zu ermöglichen. Die blauen Lampen auf den Fluren waren für mich geheimnisvoll und schön. Für die Forscher waren es Lampen mit einer optimierten Strahlung.

      Die Gentechnik war damals neu und umstritten. Mit Misstrauen und Angst begegnete man der neuen Technik. Ging der Mensch nicht zu weit, wenn er in die Keimbahn eingriff und Lebewesen veränderte?

      Die Forschungsrichtungen waren vorgegeben: Man wollte neue Lebensmittel schaffen, vielleicht auch tatsächlich den Hunger in der Welt besiegen, aber auch uralte Fragen der Menschheit beantworten. Was ist das Leben und was ist der Tod? Kann es ewiges Leben oder besser ewige Jugend geben?

      Die Faszination der Forschung ist auch nach dreißig Jahren für mich nicht geringer geworden. Mit großem Interesse lese ich Forschungsberichte und informiere mich in Fachzeitschriften über den neuesten Stand.

      Damals entwarf ich einen Roman und schrieb die Geschichte von Professor Scherrer, dem Genetiker und Ägyptologen.

      Inzwischen habe ich viel erleben dürfen, aber mehr denn je fasziniert mich die Frage nach dem Leben. Was ist Leben?

      Damals begeistere mich eine junge Biologin, die ihr Leben der Forschung verschrieben hatte, heute fühle ich mich dem alternden Professor verwandt, der in all den Jahren seinen Lebenshunger nicht verloren hat.

      Der Roman wurde in den Jahren immer wieder überarbeitet. Ort und Titel wurden verändert, aber die Geschichte blieb: Menschen auf der Suche nach Unsterblichkeit.

      In Ägypten wurden in der Antike die damaligen Weltwunder geschaffen, um dem Pharao Unsterblichkeit zu sichern.

      Heute werden in der Forschung Milliarden eingesetzt, um dem gleichen Ziel näher zu kommen.

      Aber kann man das? Geht nicht das Leben einen ganz anderen Weg? Die uralten Fragen sind geblieben und aktuell wie eh und je.

      Aber lesen Sie selber!

      Zell a. H., Jan. 2016

      Professor Scherrer bewohnte seit seiner Emeritierung von der Universität Tübingen mit seiner Frau eine schöne Villa am Turmberg in Durlach.

      Vielleicht hatte er genug von den vielen Pflanzen, die in den Gewächshäusern wuchsen, oder genug von der Grundlagenforschung und den langen Verhandlungen mit den möglichen Sponsoren, wenn es um Fördermittel ging. Die Genetik war ein Teil seines Lebens gewesen, aber eben nur ein Teil. Die Ägyptologie hatte ihn ebenfalls seit jeher gefesselt, und es war mehr als ein Hobby geworden. Im Garten seiner Villa standen einige wunderschöne Nachbildungen berühmter ägyptischer Statuen, und die Nachbarn waren sich nicht sicher, ob es tatsächlich nur Nachbildungen waren. Professor Scherrer behandelte die Figuren mit besonderer Fürsorge, als wären sie seine Kinder, denn er und seine Frau hatten selber keine Kinder. Sein erklärter Liebling war die etwa eineinhalb Meter hohe Nachbildung einer berühmten Katzengöttinenstatue aus Kom Ombo. Sie stand neben dem Hauseingang und Scherrer verließ nie das Haus, ohne der Katze über den Kopf zu streichen, so wie man ein geliebtes Haustier streichelt. Er genoss die Berührung mit dem kühlen, glatten Stein.

      Deshalb war er auch leicht irritiert, als er eines Morgens sein Haus verließ. Es war noch kühl und Wolken hingen am Turmberg. Aber der sonst stets kühle Stein fühlte sich warm an. Scherrer wandte sich um und schaute die Statue erstaunt an. Die Katzengöttin stand da wie immer. Die Augen waren lebensecht gearbeitet und ihr Blick sah in die Weite. Trotzdem hatte Scherrer an jenem Morgen das Gefühl, es würde ihm jemand nachschauen.

      Er war jetzt sechzig Jahre alt und eigentlich wollte er sich seinen privaten Studien widmen, aber man hatte ihn gebeten, noch nicht ganz in den Ruhestand zu gehen, sondern sich der Neugestaltung des Botanischen Gartens der Universität Karlsruhe anzunehmen. Zögernd nahm Scherrer die neue Berufung an, besonders da ihm das alte Gebäude des Botanischen Institutes in der Kaiserstraße zugesagt wurde. „Sie werden volle Unterstützung bekommen, wenn Sie Ihre Forschungen im Bereich der Genetik privat fortsetzen wollen“, hieß es, und das war die Zugabe, die Scherrer nach Karlsruhe gehen ließ.

      Scherrer hasste den Stadtverkehr, dessen Lärm bis zum Turmberg heraufbrandete. Zu seinem Institut war es nicht weit, deshalb nahm er stets die Straßenbahn Linie S5, die ihn zusammen mit Studenten und Angestellten bis zum Institut brachte. Auch die Enge in der Straßenbahn mochte er nicht, aber man kannte ihn und hielt ihm einen Sitzplatz an der Tür frei, damit er sie nicht ganz so sehr spüren musste. Scherrer genoss diese Sonderstellung, die er als Professor beanspruchen durfte. Er mochte es nicht, dass ständig irgendein Handy klingelte und sich die Leute mit anderen, die fernab waren, über private Dinge unterhielten. Deshalb merkte er nicht sofort, dass es sein Handy war, das sich an diesem Morgen aufdringlich meldete.

      Anne Neidhardt, seine Assistentin, eine junge Frau mit braunem, dichtem Wuschelkopf, wohnte ebenfalls in Durlach, wo sie eine kleine, aber sehr feine Altbauwohnung bekommen hatte, und fuhr mit der gleichen Straßenbahn in das Institut. Sie stand in seiner Nähe und beugte sich zu Scherrer hinunter. „Herr Professor, Ihr Handy“, sagte sie leise.

      Scherrer suchte in seinen Manteltaschen nach dem klingelnden Gerät. „Danke, Frau Neidhardt“, sagte er und lächelte. „Der Umgang damit ist noch etwas ungewohnt.“

      Sybille Walter, Journalistin bei der bekannten Welt der Wissenschaften, amüsierte sich über die Szene, denn irgendwie passte das Handy nicht ganz zu dem älteren Herrn.

      „Ja, bitte!“ Scherrer hielt das Handy ans Ohr, aber niemand meldete sich. Stattdessen erschienen


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