Herzensöffnung (4). Neue Familien. Hero Leander
dass er tatsächlich einen Elch gesehen hatte.
Auf dem Rückweg gestand Laura: „So ganz geheuer war mir das nicht. Zum Glück war die Elchkuh friedlich.“
„Oma sagt immer, wenn man sich ruhig verhält, dann tun uns die Elche nichts“, sagte Eva.
Da meinte Martin: „Hoffentlich wissen das die Elche auch. Mein Bedarf an Elchbesichtigung ist erst einmal gedeckt.“ Zufrieden gingen sie jetzt wieder zurück ins Dorf. Zum Glück kannten sich Eva und Laura im Wald bestens aus, denn die Dunkelheit nahm ständig zu. Als sie im Dorf ankamen, war es schon völlig dunkel.
„Darf ich euch zu mir einladen?“, fragte Harald.
„Klar“, antwortete Martin für alle. So gingen sie zuerst auf Haralds Zimmer im Schlafenden Elch. Selbst Eva und Laura kannten diese Zimmer noch nicht. Alles war sehr klein gehalten, aber hochmodern. Da es zu eng für alle vier war, gingen sie runter in die alte Gaststube und setzten sich dort an einen Tisch. Harald gab einen aus. Er wollte so wenigstens in dieser kleinen Runde seinen Einstand geben. „Meinst du nicht, dass es auffällt, wenn du keinen Alkohol trinkst?“, fragte Harald Eva flüsternd.
Sie schüttelte den Kopf und meint: „Hier wissen alle, dass mein Vati nie Alkohol trinkt. Deshalb werden sie das sicher auch bei mir als normal empfinden. Spätestens im Sommer werden sie dann wissen, dass es einen anderen Grund hatte“, fügte sie lächelnd hinzu.
„Du willst wirklich schon im Sommer die Reise bis hierher mit dem Kind machen?“, fragte er erstaunt.
Eva nickte. „Wir sind jedes Jahr im Sommer für zwei Wochen hier. Du kommst doch sicher mit, oder willst du nicht? Im Sommer ist es hier noch viel schöner.“
„Ich habe nicht viel Urlaub“, gestand Harald.
„Na zwei Wochen wirst du doch wohl haben.“
„Zwei sind jetzt schon für diesen Urlaub drauf gegangen und ich bekomme nur drei Wochen und drei Tage. Da ist dann mein ganzer Urlaub weg. Aber ich komme gern mit, wenn ich kann. - Fährst du auch im Sommer mit, Martin?“
„Ich denke schon. Dann sind ja Semesterferien. Bei mir hängt es eher am Geld.“
„Bis dahin werden wir schon noch eine Lösung finden“, meinte Laura lachend. Sie wusste, dass ihr Vati immer eine Lösung hat; auch für diesen Fall.
Die nächsten beiden Tage verbrachten Harald, Martin und die beiden Schwestern zusammen, wenn die Jugendgruppe im Dorf anderes vorhatte. Ab und zu kamen auch Michael und Julia mit zu den täglichen Ausflügen in den endlosen norwegischen Wald.
Abends trafen sie sich dann im Freizeitbad am Hotel. Seit Harald mit Baden ging, fand auch Eva wieder Gefallen an dem Rumtollen im Wasser und auf der Riesenrutsche.
Einmal nahm Eva ihren Harald mit in den botanischen Teil des Bades. Hier genossen sie die Ruhe im Kreis der Blumen und Gemüsepflanzen. Als sie so eine Weile auf der Bank saßen sagte Eva: „Harald. Ich bin so froh, dass es dich gibt. Wieso bist du mir nie auf dem Saal aufgefallen? Wahrscheinlich, weil du doch nur für Ordnung gesorgt hast.“
„Dafür bist du mir umso mehr aufgefallen. Ich wusste nur nicht, wie ich dich ansprechen sollte. Und als ich mich mal durchgerungen hatte, war Laura allein zur Disko gekommen.“ Harald holte tief Luft und sah Eva unentschlossen an. Da umarmte und küsste sie ihn.
„Ach Harald, ich könnte tagelang mit dir so hier sitzen.“
„Auch, wenn sie das Licht abschalten und es dunkel ist?“
Eva strahlte ihn mit großen Augen an und nickte heftig. Da nahm auch er sie in seinen Arm und hielt sie ganz fest.
Trotz seiner 23 Jahre hatte Harald noch nicht viele Mädchen näher gekannt. Er hielt sich eher zurück, denn das Draufgängertum war nicht seine Art. So war Eva genau genommen seine erste wahrhafte Liebe. Bei ihr wollte er jetzt nichts falsch machen und genau das hemmte ihn. Eva spürte das. Deshalb fragte sie ihn: „Warst du schon oft verliebt?“
Harald schüttelte den Kopf. „So richtig erst einmal“, gestand er.
„Ich auch“, antwortete sie. „Und war das Mädchen hübsch?“, fragte Eva weiter.
Er nickte.
„Warum habt ihr euch dann getrennt?“
„Das haben wir nicht.“
Entsetzt rückte Eva von ihm ab.
Erschrocken sagte Harald: „Aber Eva. Das einzige Mädchen, was ich wirklich geliebt habe, sitzt hier neben mir.“
Ungläubig schaute sie ihn an. „Ich?“
Er strahlte sie an und nickte. Da war für Eva die Welt wieder in Ordnung. Wie konnte sie nur an ihm zweifeln? „Bitte verzeih mir, weil ich für einen Augenblick glaubte, da gäbe es noch ein anderes Mädchen.“
Er nahm sie wieder in den Arm und sagte: „Wozu brauche ich noch ein anderes Mädchen, wenn du bei mir bist. Man kann doch immer nur ein Mädchen lieben.“
„Manche Jungs können schon mehrere zur gleichen Zeit lieben“, antwortete Eva nun besserwissend.
Da schüttelte Harald den Kopf. „Nein, Eva. Die lieben überhaupt nicht. Diese Jungs wissen oft gar nicht, was Liebe wirklich ist. Sie haben die Liebe nie kennen gelernt.“
Eva seufzte. „Da könntest du recht haben. - Und du hast nie vor mir ein Mädchen geliebt?“
Harald lächelte und sah sie ganz lieb an. „Doch schon. Im Urlaub mit meiner Mutter, als ich dreizehn war. Da traf ich dort ein Mädchen. Sie war erst zwölf. Das war meine erste große Liebe. Doch nach dem Urlaub haben wir uns nie wieder gesehen. Zwei Jahre später lernte ich auf dem Gymnasium ein Mädchen kennen. Auch in sie war ich verliebt. Ich war inzwischen fünfzehn und sie war dreizehn. Wir sind ein Jahr zusammen gegangen und dann war plötzlich Schluss. Ich weiß bis heute nicht so richtig warum. Das tat damals schon weh. Na ja, das Leben ging weiter. Da war erst mal das Abitur wichtiger und dann der Beruf. Zwischendurch starb meine Mutter und ich war ganz allein.“
Harald holte tief Luft, hob die Schultern und sah Eva unschuldig an. Sie sagte verträumt: „Dann bist du ja fast ein Heiliger. Oh Harald, ich liebe dich. Mir ist so, als würden wir uns schon ewig kennen.“
Da wurde er plötzlich ernst und meinte: „Vielleicht ist es so. Hast du schon einmal etwas von Reinkarnation gehört?“
Eva schüttelte den Kopf und er erklärte ihr: „In Asien glauben die Menschen, dass man immer wieder geboren wird und der Tod nur eine Inkarnation beendet, bevor man eine neue beginnen kann. Vielleicht kennen wir uns aus einem vergangenen Leben. Mir kommt es auch so vor, als kennen wir uns schon sehr lange.“
„Und du glaubst, dass es so etwas gibt?“, fragte Eva unsicher.
„Ja. Meine Mutter hat sich viel mit solchen Dingen befasst. Sie hat mir alles darüber erzählt. Alle Völker glauben an Reinkarnation. Nur die Juden, Christen und Muslime nicht. Alle anderen glauben daran. Glaubst du, dass sich so viele Menschen irren können?“
Eva zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Vielleicht unterhältst du dich mal mit meinem Vati darüber. Der weiß über solche Sachen sicher mehr als ich.“ Harald nickte. Als ihn Evas Vater nach der Göttlichen Nummerologie fragte, hatte Harald auch das Gefühl, dass er mehr über Esoterik wusste.
Da fing Eva erneut an: „Was machen wir, wenn wir wieder in Sonnenberg sind? Da musst du arbeiten und bei mir gehts aufs Abi zu. Wann sehen wir uns dann?“
„Ich habe nach der Arbeit immer viel Zeit und sonnabends können wir uns doch auch auf dem Saal treffen.“
Sie nickte. „Arbeitest du am Montag wieder?“
„Ja, natürlich. Ich muss doch. Warum fragst du?“
„Darf ich dich am Werkstor abholen?“
„Ja willst du das wirklich?“
Eva nickte heftig.