Eine Wanderung über das Rothaargebirge und durch den Westerwald. Malte Kerber

Eine Wanderung über das Rothaargebirge und durch den Westerwald - Malte Kerber


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rel="nofollow" href="#u50a3fec7-416e-5e04-b7f6-3a269ceae277">Was wird bleiben?

       Nach-Notizen

       Vor-Notizen

      Rothaargebirge – Westerwald. Diese eigenartigen Landschaftsnamen klangen uns lockend in den Ohren, als wir nach einem neuen interessanten Wanderweg suchten.

      „Zu Lande ausgefahren“ sind also wieder einmal. Diesmal über das Rothaargebirge1 und durch den Westerwald2. Welch eine Wanderfreude! Die Erinnerungen daran beginnen zu verblassen. Die Farben der Naturbilder verwischen sich. Doch die Erlebnisse klingen nach. In den Gedanken und auch – nun ja – im Herzen. Das Gefühl der Melancholie allerdings verstärkt sich. Sie, die leise traurige Nachdenklichkeit, war bei dieser Tour häufiger unsere Begleiterin als bei vorherigen Wanderungen. Der Grund? Die Tour über das Rothaargebirge und durch den Westerwald war die 37. Langstreckenwanderung, die wir, meine Frau Anne und ich, unternommen haben. So oft waren wir nun schon mit den Speichenrössern bzw. „auf Schusters Rappen“ unterwegs! Wir wandern seit gut dreißig Jahren gemeinsam durchs Leben und ziehen ebenso lange immer wieder zu zweit durch Lande und Landschaften. Und oft haben wir auch das alte Wanderlied

       Wir wollen zu Lande ausfahren ... 3

      gesungen. Mit dem AUSFAHREN meinten wir nie das autogestützte Unterwegssein. „Auf Fahrt gehen“, das hieß und heißt für uns, mit eigener Kraft über Wiesen, Felder, durch Wälder und über Berge zu ziehen, zu wandern oder eben zu fahren. Bewusst die Natur zu erleben, DRAUßEN Neues zu suchen und zu entdecken und dabei auch zu sich selbst zu finden, darum geht es uns vor allem. Da fühlen wir uns verbunden mit den Traditionen unserer „Vor-Wanderer“, die ebenfalls auf „Fahrt gingen“. Zugleich sind wir uns einig mit all denen, die sich auch heute in den so schnelllebigen Zeiten die Zeit nehmen, in diesem Sinne „auf Fahrt zu gehen“. Vor allem auch möchten wir immer wieder durch Anschauung Geschichte erfahren und Geschichten hören, Geschichte und Geschichten in uns aufnehmen. Am wichtigsten bleiben uns beim Wandern aber immer die Begegnungen mit anderen Menschen.

      Die Traditionen, mit denen wir uns verbunden fühlen, entstanden auch und vor allem in der europäischen Jugendbewegung. Sie sind besonders mit der Geschichte der Wandervogelbewegung4 in Deutschland bzw. mit der Entwicklung der Pfadfinderbewegung5 verknüpft. Es sind auch die Traditionen der Wanderburschen und Wandergesellen, der Wandervögel und Pfadfinder. Sie wollten und wollen auch heute vor allem Neues erfahren, sie wollen sich in der Fremde zurechtfinden und dort von anderen Menschen für das eigene Leben lernen. Wie ihnen ist es uns wichtig geworden, wenigstens im Urlaub bzw. in der längeren arbeitsfreien Zeit nicht an einem Ort zu verweilen, ließen wir uns in dieser Zeit stets auf Neues und Ungewohntes und auch auf Schwieriges ein. Im Renten- bzw. Seniorenalter war uns das häufiger und für länger möglich. Wir nutzen das bis heute.

      So hielten wir also, seitdem wir gemeinsam durchs Leben wandern. Und das waren zum Zeitpunkt der Rothaargebirgs- und Westerwaldwanderung immerhin schon fast 35 Jahre. Auf unseren bisherigen Wegen wanderten wir nicht schlecht mit den genannten guten Traditionen unserer „Vor-Wanderer“. Aber wir sind auf unseren Lebens- und Wanderwegen nun auch gemeinsam älter geworden. Da kamen wir während unseres diesjährigen Dahinziehens über das Rothaargebirge und durch den Westerwald immer wieder darauf zu sprechen, ob es denn noch einmal eine Wanderung in der bisherigen Art geben wird. Eine Wanderung über die lange Strecke und über viele Tage, gar Wochen. Denn das ist Tatsache: Unser Älterwerden setzt auch uns zusehends deutliche Grenzen. Die Zweifel wachsen, die Hoffnung auf neue Wanderungen bleibt. Wird sie sich erfüllen?

      Ich erlebte schon vor unserer gemeinsamen Zeit mit Berg- und Wanderkameraden große Touren. Eigentlich schon seit meiner Pfadfinderzeit als zehnjähriges Bürschlein im Stamm „Schwarze Schar“ in Westberlin. Später vor allem auch beim sportlichen Wandern und beim Langstreckenwandern in einer Betriebssportgruppe des DTSB6 – der Sektion Wandern von Rotation Berlin. Joi, da waren Kanten dabei! Und wenn ich an die abenteuerlichen Bergfahrten in den Transsilvanischen Alpen denke ...

      Außerdem rannte bzw. lief ich fast 30 Jahren lang nach dem Motto „Ab fünf Kilometer aufwärts wird´s interessant!“. Bei Wind und Wetter, im Sommer wie im Winter, in der Hitze und auch wenn´s bitterkalt war. Viele Kilometer, Trainings- und Wettkampfkilometer, Kilometer bei langen und überlangen Läufen sind da zusammengekommen. Allein acht Mal bin ich die über siebzig Kilometer des RENNSTEIG-LAUFS7 angegangen, habe immer das Ziel erreicht. Mit durchaus respektablen Zeiten! Auch hier nach dem Prinzip: Vorwärtskommen aus eigener Kraft! Und eines meiner sportlichen Ziele, die Marathonstrecke unter drei Stunden zu laufen, konnte ich mir auch erfüllen. Zwar nur ganz knapp, aber für mich als Freizeitläufer und „nicht gedopt“ – eine feine Leistung!

      Noch einmal sei festgehalten: 37 Mal waren wir nun schon auf langen Wanderstrecken unterwegs – meine liebste Wandergefährtin, also meine Frau Anne und ich. Gestartet immer in Berlin. Meiner Geburtsstadt und unserer Heimatstadt, mit ihr lebensverbunden. Nicht immer und zu jeder Zeit ineinander verliebt, also wir und Berlin. Was an den Zeiten lag und wie es in einer langjährigen Beziehung halt so ist. Von Berlin aus zogen wir jedes Mal los, und zur Heimatstadt an der Spree kehrten wir jedes Mal zurück. Obwohl: An manchem heimatlichen Ort unterwegs wären wir gern länger geblieben, vielleicht gar sesshaft geworden. Doch uns zog es immer wieder zurück.

      Diesmal also sollten es nach längerem Überlegen das Rothaargebirge und der Westerwald sein. Die Wanderidee: Wir „verknüpfen“ die beiden Wanderwege über das Hochsauerland8 und durch den Westerwald miteinander. Laufen über den Rothaarsteig und den Westerwald-Steig in einem Stück. Das würde eine Mittelgebirgstour leichten bis mittelschweren Charakters ergeben, mit einem für uns annehmbaren Höhenprofil. Sie entspräche wohl auch unseren körperlichen Voraussetzungen und Erfahrungen. Aber immerhin: Es würden über 400 Wanderkilometer werden. Eine ansprechende Länge der Wanderung, so dass sie sich von der Entfernung als auch von der Zeit her für uns lohnen würde. Es sollte ja wieder eine Fernwanderung werden und eben die Jahrestour 2016.

      Ende Mai starteten wir also: Vom Hauptbahnhof Berlin nach Brilon im Osten des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen fuhren wir. Mit der Deutschen Bundesbahn. Fahrkarten- und platzgesichert durch die BahnCard 25. In Brilon, dem Ausgangsort unserer Wanderung, beschrieb ich abends die ersten Seiten des Wandertagebuchs. Nur noch einmal würde ich es aufschlagen, um den Tagesablauf in gewohnter Form festzuhalten. Das wusste ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht. Ahnte noch nicht, dass aus dem geplanten „Wandertagebuch“ nur ein „Notizenbuch über eine Wanderung“ werden würde. Aber so ganz sicher war ich mir nicht, ob ich wie während unserer bisherigen Wanderungen jeden Abend zum Kugelschreiber greifen würde.

      Jede Wanderung verspricht an ihrem Anfang Unerwartetes, was immer dann auch eintritt.

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