Der blinde Spiegel. Günter Neuwirth

Der blinde Spiegel - Günter Neuwirth


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von Meyendorff.“

      „Hallo Hermann, bist du alleine?“

      „Ja.“

      „Hier also mein Anruf.“

      „Du rufst spät an, ich sitze hier auf Nadeln.“

      „Na, du bist gut, seit einer halben Stunde versuche ich schon eine Leitung zu kriegen. Aber nichts geht mehr, das Telefonnetz ist völlig überlastet.“

      „Werner, ich danke dir.“

      „Ich bin viel zu gutmütig.“

      „Nein, wirklich, du hast etwas gut bei mir.“

      Wildenstein ließ sein typisches sonores Lachen hören, diesmal klang es diabolischer als sonst.

      „So etwas sollte niemand zu mir sagen. Ich nutze das schamlos aus.“

      „Ich danke dir.“

      „Scheiß drauf, Kamerad. Wer dem Alten einen Streich spielt, hat immer meine Unterstützung.“

      Eine Dienstbotin trat ein, erschrak, als sie den Oberleutnant telefonieren sah, und schritt schnell durch das Zimmer.

      „Jawohl Herr Hauptmann, wird sofort gemacht. Selbstverständlich“, sagte Meyendorff im typischen, schneidigen Rapportton. Wildenstein am anderen Ende der Leitung lachte wieder.

      „Und Herr Oberleutnant“, brüllte er plötzlich. „Sie führen meinen Befehl auf der Stelle aus. Wir haben keine Zeit für Firlefanz!“

      Wildenstein warf den Hörer auf die Gabel. Meyendorff legte ebenfalls auf. Er versuchte das Lächeln aus seinem Gesicht zu verbannen, möglichst ernst, hart und militärisch auszusehen. Auf Wildenstein war also doch Verlass. Mit strammen Schritten eilte er in Richtung Musiksalon. Clarissa stand etwas verloren noch im Flur, sie wusste nicht, was da vorging.

      „Ich muss leider dringend fort“, sagte er zu ihr und ein spitzbübisches Lächeln entglitt ihm. Clarissa war verwirrt.

      Im Musiksalon hatten alle schon Platz genommen, der Pianist wartete ungeduldig auf seinen Einsatz, und die Frau des Generals hinter den Kulissen erst recht, aber Kirnbauer hatte den Beginn der Aufführung noch hinausgezögert. Er entdeckte Meyendorff und winkte ihn herbei. Er huschte auf den General zu.

      „Es tut mir schrecklich leid, Herr General. Ein Anruf meines ehemaligen Geschwaderkommandanten“, flüsterte er.

      „Ist etwas passiert?“, flüsterte der General ebenso.

      „Soviel ich hörte, leider ja. Amerikanische Jäger.“

      „Schwere Verluste?“

      „Zum Glück nicht, aber mein Kommandant ist schwer verwundet nach Konstantinopel gebracht worden. Er bittet um meinen Besuch. Er hat mich alles gelehrt.“

      Meyendorff wunderte sich über sich selbst. Er hätte niemals geglaubt, als Schauspieler so talentiert zu sein. Aber ein hohes Ziel erforderte hohen Einsatz.

      „Herr Oberleutnant, ich befehle Ihnen, sich um Ihren Kameraden zu kümmern. Die Kameradschaft ist unser heiligstes Gut. Wegtreten.“

      Meyendorff salutierte der Situation gemäß, ohne mit den Hacken zu knallen.

      „Herr General, darf ich vorschlagen, Fräulein Roth am Weg ins Krankenhaus in ihrer Unterkunft abzusetzen?“

      Die Gäste wurden unruhig und musterten den tuschelnden General und Oberleutnant.

      „Machen Sie, dass Sie rauskommen.“

      Damit war die Sache für den General erledigt. Meyendorff zog sich diskret zurück. Der General winkte dem Pianisten zu und dieser spielte den Radetzkymarsch an, gab somit das Signal für den Auftritt der Frau General. Er schloss hinter sich die Tür zum Musiksalon, blickte um sich, sah, dass er und Clarissa alleine waren und lächelte bis über beide Ohren. Clarissa wurde ein wenig rot.

      „Was treiben Sie hier für ein Spiel, Hermann?“

      „Ein gewagtes.“

      „Und was nun?“

      Er bot ihr den Arm an, sie hakte sich ein und eilig marschierten sie los.

      „Jetzt machen wir den versprochenen Ausflug.“

      Clarissas Augen weiteten sich.

      „Nein“, hauchte sie entgeistert.

      „Aber natürlich. Vorausgesetzt Sie wollen.“

      Ein Diener händigte Meyendorff die Kappe und die Handschuhe sowie Clarissas Täschchen aus, sie liefen über den Kiesweg zum Torportal. Er stemmte sich gegen das Tor, Clarissa trat auf die Straße.

      „Ah, Gerhard ist schon da.“

      Meyendorff zeigte auf einen Unteroffizier, der in einiger Entfernung bei einem Motorrad mit Beiwagen stand.

      „Sind Sie schon einmal in einem Beiwagen mitgefahren?“

      Clarissa strahlte, sie war schöner denn je.

      „Nein, noch nicht.“

      „Dann darf ich bitten.“

      Sie eilten auf den Unteroffizier zu.

      „Alles wie besprochen, Gerhard?“

      „Jawohl Herr Oberleutnant. Hier die Staubmäntel, die Brillen, der Picknickkorb. Und der Tank ist voll.“

      Clarissa musterte Meyendorff von der Seite. Sie war begeistert.

      „Gerhard, auf Sie ist Verlass. Das wird ein Nachspiel haben.“

      Der Unteroffizier grinste breit, salutierte und trat ab.

      „Liebe Clarissa, darf ich um das Vergnügen bitten, Sie ans Meer zu fahren?“

      Meyendorff war irgendwie nicht mehr er selbst, er war nicht mehr der korrekte, schweigsame junge Soldat mit adeligem Stammbaum, er war ein glücklicher Mensch.

      „Hermann, Sie sind wunderbar.“

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