Jetzt mal ehrlich .... Adrian Plass

Jetzt mal ehrlich ... - Adrian Plass


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essigsauren Miene akuten Desinteresses gegenübersieht.

      Ich werde jetzt noch rot, wenn ich daran denke, dass ich mir das auch vorwerfen lassen muss. Die brutalste Gefahrenzone für geheucheltes Interesse ist der Sonntagvormittag, vor allem, wenn in Gemeindehäusern reges Kommen und Gehen herrscht und wir Gemeindeleiter mit Vollgas durch die Gegend rasen, als wäre Rick Warren hinter uns her, um uns zu einem Leben mit Vision anzutreiben. Die Gefahr ist dabei, die Leute zu sehen, ohne sie wirklich zu sehen, wenn Du weißt, was ich meine.

      In Amerika, wo ich die meiste Zeit lebe, ist „Wie geht’s?“ eine übliche Begrüßung, die man ebenso üblicherweise mit „Gut!“ erwidert. In den meisten Situationen steckt nichts weiter dahinter.

      Einmal düste ich kometengleich einen Korridor entlang und sah aus wie einer, der dringend dies und das erledigen und mit diesem und jenem reden muss: ein Gemeindeleiter mit zerfurchter Stirn, wie er im Buche steht. Als ich an einem unauffällig aussehenden Mann vorbeikam, setzte ich mein Pastorenlächeln auf, warf ihm ein „Wie geht’s?“ entgegen, und düste weiter, ohne eine Antwort überhaupt abzuwarten. Offensichtlich dachte ich in meiner Beschränktheit, allein die Frage beweise ja wohl genügend Anteilnahme. Ich war schon fünfzig Schritte weiter den Flur hinunter, als ich ihn, einem jener lederbehosten Jodler aus der Kräuterbonbonreklame gleich, hinter mir herrufen hörte: „Gut!“

      Um also Deine freundliche Frage zu beantworten, mir geht es so weit ganz gut. Ich habe gerade drei Wochen lang viel zu viel Zeit damit verbracht, dem Klang meiner eigenen Stimme zu lauschen. Ich glaube, ich habe in den letzten einundzwanzig Tagen ungefähr fünfunddreißig Mal gepredigt. Falls ich einen Schutzengel habe, ist der vermutlich gerade in Therapie, oder er besucht eine Konferenz für Engel, die zuhören müssen, auch wenn sie die Nase voll haben.

      Das Predigen hat auf mich eine merkwürdige psychologische Wirkung. Meistens tue ich es gern, manchmal finde ich es auch entsetzlich, aber ich finde grundsätzlich immer noch, es ist eine etwas verwirrende Übung. Es ist schon ein umwerfendes Vorrecht, vor einer Gruppe von Leuten zu sprechen, in der Hoffnung, dass Deine Worte vielleicht dazu beitragen, einen Lichtschimmer in ihr Leben zu bringen. Aber es hat auch etwas ausgesprochen Absurdes: die Vorstellung, ein kleines Menschlein könnte die Stirn haben, sich als Sprecher dessen zu gebärden, der die Sterne ans Firmament geheftet hat. In gewisser Hinsicht ist es ein wunderbarer Gedanke, der alle Vorstellung übersteigt. Doch in anderer Hinsicht gibt es Momente, in denen ich am liebsten das Predigen für immer sein lassen, den Teekessel aufsetzen und mir sagen möchte, ich möge bitte aufhören zu spinnen. Und so komme ich von diesen Predigtreisen mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Verwirrung zurück, verbunden mit jener Waidwundheit, die es mit sich bringt, wenn man wieder einmal zur Erbauung des christlichen Publikums die Sündhaftigkeit und Gebrechlichkeit der eigenen Seele entblößt hat. Du bist gut darin, Dich verwundbar zu machen, Adrian – empfindest Du es eigentlich auch so wie eine wunde Stelle, wenn Du wieder einmal ein Beispiel für die Gabe des Possenreißens preisgegeben hast, mit der wir beide gesegnet sind?

      Vor zwei Wochen sprach ich auf einer Konferenz und hatte dieses Gefühl, ein Münzautomat mit einer Bibel zu sein. Das kriegen wir Redner öfter, wenn wir von Seminar zu Feier jagen und überall atemlos und verzweifelt hoffen, irgendetwas Hilfreiches beizutragen. Eine Frau kam auf mich zu und überreichte mir mit einem kurzen Satz ein Geschenk, das ich bis zum Grab immer bei mir tragen werde. „Wenn du predigst, Jeff“, sagte sie lächelnd, „kann ich atmen.“

      Das hat mich umgehauen. Uns allen ist schon einmal während einer unrealistischen, bedrohlichen oder verwirrenden Predigt die Luft weggeblieben. Ich habe auch schon die eine oder andere erstickende oder klaustrophobe Predigt durchlitten. Je länger der Prediger sprach, desto hektischer warf sich meine Seele in mir hin und her, um der aus Worten genähten Zwangsjacke zu entrinnen, die ihr angelegt werden sollte. Deshalb war die Vorstellung, dass ich durch Gottes Gnade dazu beigetragen haben könnte, dass jemand leichter atmen konnte, für mich fast zu wunderbar, um wahr zu sein.

      Du hast unsere Anekdoten-Tour vom letzten Jahr erwähnt. Was war das für eine verrückte, großartige Idee, gemeinsam auf Tour zu gehen. Es gab dabei viele denkwürdige Momente, aber ich möchte mich auf drei davon beschränken. Verzeih mir den trinitarischen Ansatz: Als Prediger kämpfe ich immer mit der Versuchung, alle meine Gedanken unter drei oder vier Überschriften zu ordnen, die alle mit demselben Buchstaben anfangen, mit einem Gebet zu schließen, wenn ich damit durch bin, und hinterher noch die Kollekte anzukündigen. Offensichtlich habe ich viel zu viel Zeit bei christlichen Veranstaltungen zugebracht.

      Aber zurück zu der Tour. Besonders gefallen hat mir die Frau, die so laut vor Lachen brüllte, dass sie den Gemeindesaal fluchtartig verlassen und in der Toilette in Deckung gehen musste, wo man sie immer noch hilflos wiehern hörte. Lachen ist ein zauberhafter Klang, findest Du nicht? Ob es ein verhaltenes Kichern ist, ein langsam sich steigerndes Prusten oder ein Ausbruch, der den ganzen Körper durchschüttelt, es hört sich einfach herrlich an. Dann war da die ältere Dame, die so viel lachen musste, dass ihr ein kleines Missgeschick unterlief (was eigentlich der Sache nicht ganz gerecht wird – genauso gut könnte man die Niagarafälle als kleinen Wasserfall bezeichnen). Sie machte sich durch und durch nass. Nicht, dass sie das zugegeben hätte, versteht sich. Doch ihre Tochter kam zu mir und flüsterte mir mit einer Verstohlenheit, als wollte sie mir illegale Drogen verkaufen, ins Ohr: „Das ist meine Mutter da drüben, und sie hat sich total in die Hosen gemacht.“

      Aber mein Lieblingsmoment, glaube ich, war der, als Du eines Abends mitten in einer Geschichte innehieltest und ganz langsam den Leuten sagtest, Gott liebe jeden Einzelnen von ihnen. Verzeih mir, aber Du sagtest das keineswegs auf besonders tiefsinnige oder eloquente Weise. Du sagtest einfach nur herzlich und mit Gefühl: „Gott liebt euch so sehr.“ Es wurde ganz still im Saal, und als ich hinaus in die Gesichter schaute, sah ich einige, die eine Träne wegwischten. Das ist die Grundlage von allem, oder, Adrian? Dass wir geliebt sind. Vielleicht gehen wir allzu oft irrtümlich davon aus, dass jeder das weiß, tief drinnen. Vielleicht gibt es deshalb so viel Leid, weil wir mit dieser Vermutung völlig falsch liegen. Es ist relativ leicht, zu glauben, dass Gott die Welt liebt, aber zu glauben – wirklich und wahrhaftig zu glauben –, dass er mich liebt, das ist schwer.

      Auf jeden Fall habe ich unsere Tour sehr genossen.

      Wie geht es Dir, Adrian? Ja, ich will es wirklich wissen.

      Liebe Grüße,

      Jeff

      Hallo, Jeff,

       hier ist der freundliche, abtrünnige Wanderer. Es ist schön, von Dir zu hören, und es tut besonders gut, so anschaulich daran erinnert zu werden, dass ich nicht der Einzige bin, der seine Zeit damit verbringt, mit wirren, idiotischen Gedanken und einem leidenschaftlichen Wunsch zu jonglieren, die Liebe Gottes im Leben von Menschen wirken zu sehen. Manchmal gelingt es mir mit lächerlich hektischen Anstrengungen, alle diese drei unhandlichen Gegenstände gleichzeitig in der Luft zu halten. Meistens jedoch fällt mir irgendwann einer davon herunter, und bei dem verzweifelten Versuch, ihn doch noch zu erwischen, gehen mir die anderen beiden auch noch durch die Lappen. Das ist kein Witz. Es macht mich wahnsinnig.

      Wo wir gerade dabei sind: Du hast mir in Deinem Brief eine Frage gestellt. Es ging darum, ob ich die Possen und Tollheiten, die mein Leben mit solch unerbittlicher Regelmäßigkeit begleiten, wie wunde Stellen empfinde. Ich will Dir eine Antwort darauf geben, wenn auch eine ziemlich umständliche. Beginnen möchte ich mit einer kleinen Geschichte.

      Vor zwei Wochen stellte ich mich in einer Krankenhaus-Cafeteria in der Nähe von King’s Lynn an, um mir einen Becher Kaffee zu holen. Am Anfang der Schlange bezahlten gerade ein älterer Mann und seine Frau ihr Mittagessen. Ich weiß nicht, ob Du den bezaubernden Akzent der Leute in Norfolk kennst. Er hört sich von Ort zu Ort in der Grafschaft ein wenig unterschiedlich an, aber im Allgemeinen hat er einen typischen langsamen, gemessenen Ton und auffällig gedehnte Vokale. Besonders am Ende der Sätze ist das so, wo die Stimme einen kleinen Schlenker nach oben macht, sodass sich jede Äußerung anhört wie eine Frage. Als die Frau sich noch ein Stück Obst zu ihrem belegten Brötchen aussuchte, wandte sie sich an den Mann hinter dem Tresen:

      „Ich


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