Der Ring der Niedersachsen. Cornelia Kuhnert

Der Ring der Niedersachsen - Cornelia Kuhnert


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komme gerade zurück von einem Besuch bei meinen nahe wohnenden Stammesgenossen. Sie haben Streit mit ihren Nachbarn, die ihnen Rinder stahlen. Ich empfahl ihnen, sich an dich zu wenden, Statthalter, bevor sie losziehen und blutige Rache nehmen. Das römische Rechtswesen ist gerecht und effektiv, sagte ich ihnen. So kannst du in den nächsten Tagen mit einer Delegation rechnen, die von dir eine Entscheidung will. Wenn du meine Einschätzung dazu hören möchtest: Sie sind zu Recht empört, bestrafe die anderen mit harter Hand, sonst werden sie immer für Unruhe sorgen.«

      »Guter Freund, ich danke für deine Vorschläge, aber ich werde erst beide Seiten hören, bevor ich entscheide.« Was bildete der Kerl sich ein? Indes, ich durfte ihn nicht verärgern, er stand in engem Briefkontakt mit dem Princeps. »Komme doch nachher zum Essen und schildere mir deine Erfahrungen mit diesen Stämmen, sie sind wertvoll.«

      Er lachte, tauchte im heißen Wasser unter, schüttelte die blonden Haare, als er wieder hochkam. »Gerne. Besonders, da ich ja morgen Asprenas mit meinen Reitern begleiten soll.«

      Ich regelte die Zwistigkeiten der Stämme in jenem Sommer, ich lud die lokalen Fürsten in die Civitas, zeigte ihnen römische Kultur, römische Baukunst, römisches Recht. Ich ließ meine diplomatische Erfahrung spielen, ich schloss Verträge, gewann Verbündete. Die Provinz lag ruhig. Von Asprenas hörte ich, dass seine Baumaßnahmen zügig voranschritten, die Bevölkerung murrte zwar wegen der Abgaben, doch das war normal. Sie schickten Gesandte, ich empfing sie, beruhigte sie, versprach Nahrungsmittel für den Winter. Sie gingen zufrieden wieder ihrer Wege. Meine Männer sahen voller Achtung zu mir auf, so geschickt hätte noch keiner mit den Barbaren verhandelt – außer natürlich Tiberius, den sie alle liebten. Ich ließ die Krankenversorgung im Lager verbessern und den Postverkehr. Ich richtete Festlichkeiten aus. Mein Ansehen wuchs. Meine Unterbefehlshaber sagten es mir, meine Sklaven hinterbrachten es mir, allen voran der treue Privatus, und ich bemerkte es, wenn ich bei den Übungen durch die Reihen der Zenturien schritt, wenn ich mich zu ihnen gesellte des Abends im Lager. Ich brauchte sie.

      Die Unterführer auf meine Seite zu bringen war leicht. Als altgediente Soldaten dachten sie in Gegensätzen, gut – schlecht, Freund – Feind, es gab nicht viel dazwischen. Sie hassten Ungerechtigkeit, und sie hassten es, hielt sich jemand nicht an seine eigenen Regeln. Ein paar lose Worte beim Wein über die sexuellen Vorlieben des Augustus, der Hinweis auf seinen Auftritt im Senat damals, als er sich mit Schwertgewalt zum Konsul machte, die Bosheiten und Grausamkeiten seiner Jugend und ersten Regierungszeit – von all diesem hatten sie gehört, aber nie gewagt, sich despektierlich darüber zu äußern. Nun durften sie es. Sie gaben es weiter an ihre Männer. An den Öfen, beim Essen brummte es davon, jeder wusste noch eine Geschichte zu erzählen, die er in seiner Kindheit, in seiner Jugend gehört hatte, jeder kannte plötzlich jemanden, der durch Augustus ums Leben gekommen war. Ich pries die alten Zeiten, als das Volk, also auch die Legionäre, durch Wahl bestimmen konnten, wer den Staat lenkte, ich pries die Aufteilung der Macht an zwei Männer, die sich gegenseitig kontrollierten. Sie überlegten, wen sie wählen würden, Tiberius natürlich, aber auch mich. Privatus erzählte mir, was sie des Abends in der Taverne redeten.

      Ich war bereit. Ich würde gegen den Princeps ziehen, sobald Tiberius den Aufstand in Pannonien niedergeschlagen haben würde, so schrieb ich Naso, verschlüsselt natürlich.

      Eines Tages erschien ein Einheimischer in der Civitas, verlangte mich zu sprechen. Ein Fürst sei er, habe römisches Bürgerrecht und wichtige Neuigkeiten für mich. Ich ließ ihn in das Prätorium des Lagers kommen. Ein mittelgroßer Mann trat vor mich, mit braunen Haaren, schon von grauen Streifen durchzogen. Gekleidet in der landesüblichen Tracht, Hose und gegürtetes Hemd, wirkte er nicht wie ein Fürst, nur der Goldreif um den Hals wies auf seine Stellung hin und die ihn begleitenden jungen Männer. Er verbeugte sich knapp. »Mein Name ist Segestes. Ich komme, Klage zu führen gegen einen, der in deinen Reihen dient, der die Reiter unseres Volkes für dich kämpfen lässt.«

      Oh, der Blonde. Ich horchte auf. Was hatte er getan?

      »Er entführte meine Tochter und nahm sie als Weib. Das ist gegen unsere Sitten und darf nicht toleriert werden. Doch kann ich ihn nicht seiner gerechten Strafe zuführen, da er römischer Bürger ist, so ist es an dir, Gerechtigkeit walten zu lassen.«

      Ach, diese Barbaren, man gab ihnen das Bürgerrecht und doch verhielten sie sich wie die letzten Wilden. Eine Frau zu entführen! Als Römer verhandelte man mit dem Vater, warb um das Mädchen, wenn es sein musste, oder heiratete eine andere und liierte sich mit der einen. Hätte der Blonde kein römisches Bürgerrecht, wäre er wohl samt Mädchen im Moor versunken, gebunden an Händen und Füßen. So aber musste ich mich kümmern. »Ich werde ihn zur Rede stellen, wenn er zurückkommt.«

      »Ich will mehr. Ich will die Tochter zurück, sie war einem anderen versprochen, das führt zu Unfrieden. Und ich will diesen Mann nicht mehr hier in unseren Gefilden sehen, schicke ihn fort, lass ihn in anderen Ländern kämpfen.«

      »Ho, mein Freund, wer bist du, mir Anweisungen zu erteilen? Ich werde ihn anhören und dann entscheiden.« Das würde schwierig werden, als Günstling des Princeps konnte ich Arminius nicht einfach bestrafen und wegschicken.

      »So wisse denn, dass dein Reiterführer nicht gut über dich spricht. Er reiste im Winter, als er meine Tochter entführte, zwischen den Stämmen hin und her, saß an vielen Feuern, trank viel Met mit den Fürsten. Er redet von Freiheit, von Aufstand.«

      Ich horchte auf. Entsprach das der Wahrheit oder entwuchs es dem verletzten Ehrgefühl des Mannes? Nun, ich hatte meine Spitzel, ich würde es erfahren. »Segestes, ich werde mich der Sache annehmen, sei gewiss. Ich dulde keine Übergriffe auf hier lebende Menschen seitens meiner Männer. Du kannst hier in der Civitas warten, wenn du möchtest, wir werden dir Gastfreundschaft angedeihen lassen, oder solltest du zurück zu den Deinen wollen, so werde ich dich benachrichtigen, sobald ich mit Arminius gesprochen habe und Näheres weiß. Dank für deine warnenden Worte.«

      Der Mann verbeugte sich erneut, knapp. »Ich werde zurück zu den Meinen reiten, an die Lagina. Ich warte auf deine Nachricht.«

      Asprenas kam zurück, mit ihm der Blonde, Arminius. Die Männer hatten sie zum größten Teil auf die Kastelle verteilt, um die Ruhe während des Winters zu gewährleisten. Oh ja, sagte Arminius auf meine Frage, er habe die Tochter des Segestes, doch habe er sie keineswegs entführt, sondern aus Liebe sei sie mit ihm gegangen, und weil sie nicht mit einem alten Mann verheiratet werden wolle. Das sei doch wohl nachzuvollziehen. Segestes wolle nur Unfrieden stiften zwischen Römern und Einheimischen, zwischen mir und ihm. Zum Beweis seiner Ehrenhaftigkeit habe er das Mädchen geheiratet.

      Ich tendierte dazu, ihm zu glauben. »Lass Segestes fünf Pferde, zehn Schafe samt einem schönen Bock und ein Schwert zukommen, das müsste reichen als Entschädigung«, erwiderte ich und dachte, der Gerechtigkeit sei Genüge getan.

      Im Winter erst kam die Nachricht aus Rom, dass mein Freund Ovidius Naso verbannt worden war. Wegen seines letzten Werkes, der ›Liebeskunst‹, in welcher er das leichte Leben verherrliche, habe ihn der Princeps an einen unwirtlicher Ort befohlen, nach Tomi, an das Schwarze Meer. Armer Naso. Ich war wie paralysiert. Keinen Moment lang glaubte ich, dass die ›Liebeskunst‹ der Anlass gewesen war, eher noch die ›Metamorphosen‹, am schlimmsten aber war der Gedanke, dass unsere Pläne aufgeflogen waren. Hatte Pulchra geredet? Auch von ihr hatte ich nichts gehört, weder durch einen Brief von ihrer Hand, noch von irgendjemand anderem. Ich hoffte, sie wäre in der Belgica geblieben, hätte das Kind zur Welt gebracht und traute sich nicht nach Rom. Aber ich wusste es nicht. Die Hilflosigkeit war schlimm, keinen konnte ich fragen, da die Post zensiert wurde.

      Ein Grund mehr zu handeln. Im nächsten Sommer würde ich mit drei Legionen gen Rom ziehen, Tiberius würde bis dahin Pannonien im Griff haben. Asprenas mit den beiden anderen Legionen würde ich hier lassen, er stand nicht auf unserer Seite, und auch die Provinz konnte ich nicht gänzlich entblößen. Zwar wusste ich nicht, ob in Rom alles vorbereitet sein würde, wie es abgesprochen war, aber selbst wenn nicht, ich musste es wagen.

      Der Winter war mild, es fiel wenig Schnee, meine Männer hielten die Straßen frei, und die Schiffe wurden nicht vom Eis behindert. Die Barbaren kamen, verkauften


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