Jesus nach 2000 Jahren. Gerd Ludemann

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      Mk 7,1-23: Der Streit über Rein und Unrein

      (1) Und es versammeln sich bei ihm die Pharisäer und einige der Schriftgelehrten, die aus Jerusalem gekommen waren. (2) Und als sie einige der Jünger sahen, daß sie mit unreinen Händen, das bedeutet ungewaschen, die Brote essen –

      (3) denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, wenn sie nicht mit einer Faust die Hände gewaschen haben, und halten so an der Überlieferung der Ältesten fest, (4) und wenn sie vom Markt (kommen), essen sie nur, wenn sie sich (oder: es) besprengt (= gereinigt) haben. Und vieles andere gibt es, was sie übernommen haben, daran festzuhalten: Abspülungen von Bechern und Krügen und Kupfergefäßen.

      (5) Und es fragen ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten: »Warum wandeln deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Ältesten, sondern essen mit unreinen Händen das Brot?«

      (6) Er aber antwortete ihnen: »Gut hat Jesaja über euch Heuchler prophezeit, wie geschrieben ist:

      ›Dieses Volk ehrt mich mit Lippen,

       ihr Herz aber ist weit von mir entfernt.

       (7) Vergeblich verehren sie mich,

       indem sie als Lehren Menschengebote lehren.‹

      [Jes 29,13 LXX]

      (8) Indem ihr das Gebot Gottes fahren laßt, ergreift ihr die Überlieferung der Menschen.«

      (9) Und er sagte ihnen: »Gut setzt ihr das Gebot Gottes außer Kraft, damit ihr eure Überlieferung beachtet. (10) Moses nämlich sagte:

      ›Ehre deinen Vater und deine Mutter‹,

      [Ex 20,12; Dtn 5,16]

      und:

      ›Wer Vater und Mutter schmäht, soll des Todes sterben‹.

      [Ex 21,17; Lev 20,9]

      (11) Ihr aber sagt: ›Wenn ein Mensch zu Vater oder Mutter gesagt hat: ›Korban‹ – was heißt: ›Weihegeschenk sei, was dir von mir geschuldet wird‹ –, (12) dann laßt ihr ihn nichts mehr für den Vater oder die Mutter tun. (13) So hebt ihr das Wort Gottes durch eure Überlieferung auf, die ihr weitergegeben habt. Und dergleichen tut ihr noch viel mehr.«

      (14) Und wiederum rief er das Volk und sagte ihnen: »Höret mich alle und begreift! (15) Nichts gibt es, was von außerhalb des Menschen in ihn hineinkommt, das ihn verunreinigen kann; sondern diejenigen Dinge, die aus dem Menschen herauskommen, sind es, die den Menschen verunreinigen.« [V. 16 gehört nicht zum ursprünglichen Text.]

      (17) Und als er von der Volksmenge weg in ein Haus hineinging, fragten ihn seine Jünger nach dem Gleichnis. (18) Und er sagt ihnen: »So seid ihr unverständig? Begreift ihr nicht, daß alles, was von außerhalb in den Menschen hineinkommt, ihn nicht unrein machen kann, (19) weil es nicht in sein Herz geht, sondern in seinen Bauch und in den Abort hinausgeht?«

      Damit erklärte er alle Speisen für rein.

      (20) Er sagte aber: »Was aus dem Menschen herauskommt, jenes verunreinigt den Menschen. (21) Von innen nämlich, aus dem Herzen der Menschen, kommen die schlimmen Gedanken heraus: Hurereien, Diebstähle, Morde, (22) Ehebrüche, Begehrlichkeiten, Bosheiten, Arglist, Ausschweifung, böser Blick, Lästerung, Hochmut, Unverstand.

      (23) Alles dieses Böse kommt von innen heraus und verunreinigt den Menschen.«

       Redaktion

      Im Kontext des MkEv wirkt 7,1-23 wie ein grober Klotz, da nur wenige »Beziehungen zum Kontext bestehen. Die Auseinandersetzung mit Pharisäern und Schriftgelehrten ist nach hinten nur in 2 locker verbunden über das Motiv ›Brote essen‹, nach vorne ebenso locker durch dasselbe Motiv in 28, inhaltlich vielleicht etwas stärker, insofern die folgende Geschichte vom Glauben einer Heidin im Gegensatz zur Auseinandersetzung mit den Juden (3) erzählt. Insgesamt hat 1-23 die Funktion einer Erinnerung an die Gegner Jesu in Galiläa, die Pharisäer, zu denen hier auch die Schriftgelehrten aus Jerusalem treten« (Lührmann, 129).

      Mk dürfte die Parallelität des vorliegenden Abschnitts mit 2,23-28 bewußt gewesen sein. Vgl. die Entsprechungen: a) das Problem (2,23-24/7,1-2.5); b) Schriftbeweis (2,25-26/7,6b-7); c) Worte Jesu (2,27-28/7,9-23).

      V. 1-2 sind wahrscheinlich redaktionell. Mk hat diese Einleitung wohl auf der traditionellen Grundlage von V. 5 komponiert.

      V. 3-4: »Alle Juden« ist eine mk Generalisierung. Auch Lk schreibt oft so (vgl. Lk 2,1; Apg 8,1; 11,28; 18,2; 21,30). Das Stück ist eine auf Mk zurückgehende Parenthese, in der er seiner heidenchristlichen Leserschaft die jüdische Reinheitspraxis an ausgewählten Beispielen erläutert. »Mit einer Faust« ist kaum verständlich. Entweder ist der Ausdruck versehentlich in den Text geraten, oder man liest mit Hilfe einer leichten Textveränderung »oft«.

      Allerdings ist Mk, wie das Folgende zeigt, über die Unterscheidung von Reinheits- und Speisevorschriften nicht informiert. So besteht die Hauptschwierigkeit der Zusammenordnung von V. 1-13 mit V. 15 darin, daß V. 15 Speisegesetze betrifft, V. 1-13 dagegen Reinheitsgesetze. (Daher kann V. 15 historisch nicht Antwort auf das Vorhergehende gewesen sein.) Zudem ist es inkorrekt zu sagen, daß die Pharisäer sich oder gar das Eingekaufte besprengen. Vielmehr nehmen sie nach der Rückkehr vom Markt ein Taufbad. So lauten auch Lesarten zu 7,4, was aber Korrektur der schwierigeren und sachlich falschen Version »(sich) besprengen« ist.

      V. 17-18a enthalten das typisch mk Jüngerunverständnismotiv.

      V. 19c-23: V. 19c ist mk Schlußfolgerung, V. 20 Wiederholung von V. 15b. Auch V. 21-23 wurden wohl von Mk hinzugefügt: Er interpretiert den Streit über rein und unrein unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens (vgl. ähnlich die Einschaltung von V. 6-8 und V. 9-13). V. 21b-22, formgeschichtlich ein Lasterkatalog, stammen aus der Gemeinde des Mk oder von ihm selbst. Die einzelnen Sünden werden kunstvoll je sechs im Plural und im Singular aufgezählt und zeigen das negative Gegenbild zum Ideal der christlichen Lebensführung.

      Ertrag: Mk will seinen heidenchristlichen Lesern das für Pharisäer und alle Juden verbindliche Gesetz erläutern und hebt davon das für Christen geltende Gesetz ab, das jedermann einleuchte.

       Tradition

      V. 5-8: Die Polemik gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten mittels eines Jesajazitates (Jes 29,13) und einer Schlußfolgerung (V. 8) ist der Grundstock der Tradition. Doch bleibt festzuhalten: das Jesajazitat antwortet gar nicht argumentativ auf die Praxis des Essens mit unreinen Händen (V. 5).

      V. 9-13: Dies ist ein Stück traditioneller Gemeindepolemik mit der üblichen mk Anreihungsformel »und er sagte ihnen«. Das Stück bringt ein Beispiel dafür, wie sich das in V. 8 genannte Fahren-Lassen des Gebotes Gottes konkretisiert. Vgl. »außer Kraft setzen« (V. 9) und »aufheben« (V. 13) mit »fahren lassen« (V. 8).

      Ein weiteres Traditionselement schloß Mk mit V. 15 an. V. 18b-19 entstammen ebenfalls der Tradition.

       Historisches

      V. 5-8: Das Traditionsstück antwortet auf ein Verhalten der Jünger und ist deswegen nicht geschichtlich.

      V. 9-13: Die Überlieferung konkretisiert V. 5-8 und ist deswegen genauso ungeschichtlich wie das Stück V. 5-8 selbst.

      V. 15: Das Logion ist rätselhaft, denn es begründet im Kontext des MkEv, warum die Jünger mit unreinen Händen Brot essen dürfen (Mk 7,5). Das ist verwunderlich, da das Wort selbst Speisegesetze kritisiert und nicht Reinheitsgesetze. Reinheitsvorschriften haben, modern gesprochen, mit Hygiene zu tun und betreffen z.B. menstruierende Frauen, Aussätzige sowie Ausfluß am männlichen Geschlechtsorgan (vgl. Lev 12-15). Speisegesetze beziehen sich auf die Ernährung und regeln den Verzehr von reinen und unreinen Tieren (Lev 11). Das Wort Mk 7,15 dürfte daher von Haus aus isoliert überliefert und erst nachträglich von Mk in das Textstück eingefügt worden sein. Er wurde dazu wohl durch die Überlegung veranlaßt,


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