Jesus nach 2000 Jahren. Gerd Ludemann

Jesus nach 2000 Jahren - Gerd Ludemann


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z.B. Jesus historisch nicht auferstand, dann kann man die urchristlichen Aussagen, die solches behaupten, nicht durch rezeptionsgeschichtliche Überlegungen retten, auch wenn die Wirkung dieser Verkündigung noch so mächtig war und noch so vielen Menschen Trost gespendet hat.

      Zu e): Mit diesem theologischen Argument läßt sich jegliche historische Arbeit bekämpfen. Eine historische Vorgehensweise muß die Berufung auf den auferstandenen Christus als außerhalb ihrer Kompetenz befindlich ansehen. Wie soll hier mit nachvollziehbaren Argumenten wahrscheinlich gemacht werden, daß der »Auferstandene« dieses oder jenes gesagt oder gar bestimmte Dinge getan hat? Mit anderen Worten, in diesem Bereich ist für die historische Kritik direkt gar nichts zu gewinnen. Wohl aber mag gefragt werden, ob dieses oder jenes Wort des Auferstandenen auf den geschichtlichen Jesus zurückgeht. Und umgekehrt ist zu prüfen, ob nicht Worte des Auferstandenen zu Worten des historischen Jesus gemacht worden sind. Sollte letzteres der Fall sein, wäre automatisch ein negatives Urteil über ihre Echtheit fällig. Wer den Jesus der Geschichte und den Christus des Glaubens vereinerleit, versucht faktisch, das historische Bewußtsein der Moderne umzukrempeln, das aber nach wie vor Geltung hat. Es ist lebensnotwendig und, nachdem die großen Konfessionen und Religionen versagt haben, allein fähig, Frieden zwischen den Menschen und ihren Ideologien oder Religionen anzubahnen. Das historische Bewußtsein bildet überhaupt einen festen Bestandteil unserer heutigen Welt. Ohne diese Errungenschaft menschlicher Kultur wäre ein vernünftiger Dialog weder in der Politik noch in der Wirtschaft, noch im privaten Bereich möglich. Wie kann es da angehen, daß wir, sobald wir den Bereich der Religion betreten, davon ablassen sollen? Das Ergebnis ist bekannt: eine innere Spaltung bzw. ein Auseinandertreten von Wissenschaft und Religion, das zu Lasten von beiden geht.

      Im folgenden seien die Grundlagen und Voraussetzungen meiner Arbeit genannt:

      Bezüglich des Verhältnisses der drei ältesten neutestamentlichen Evangelien zueinander liegt den Analysen eine modifizierte Zweiquellentheorie zugrunde. Diese besagt: Das MkEv ist das älteste erhaltene Evangelium und stammt ungefähr aus dem Jahre 70. Mt und Lk benutzten etwa zwanzig Jahre später unabhängig voneinander sowohl das MkEv als auch eine Redenquelle (= Q), die etwa genauso alt wie jenes sein dürfte. Darüber hinaus haben sie jeweils ihre eigenen Sonderüberlieferungen verwendet. Eine Kurzeinleitung auf der Grundlage von Gerd Lüdemann / Frank Schleritt: Arbeitsübersetzung des Neuen Testaments, 2008, ist den Einzelanalysen der Synoptiker jeweils vorangestellt.

      Das ThEv aus dem Fund bei Nag Hammadi in Oberägypten im Dezember 1945 gehört unbedingt zu den hier zu untersuchenden Quellenschriften, da es, wie immer deutlicher wird, zum Teil eine gegenüber dem Neuen Testament unabhängige Tradition widerspiegelt (vgl. die Einführung zu Kapitel IV).

      Vor der Analyse der Traditionen möchte ich die Kriterien für die Urteile über a) Unechtheit und b) Echtheit von Jesusworten und -taten nennen, die sich mir freilich – das sei hier betont – erst nach der Analyse sämtlicher Texte wie von selbst ergeben haben. Methodenreflexion folgt nämlich organisch arbeitender Methode immer erst nach. Allerdings habe ich nicht zu jeder einzelnen Perikope ausdrücklich gesagt, welches Kriterium mich beim abschließenden Urteil über Echtheit bzw. Unechtheit geleitet hat. Das mag sich der Leser jeweils erschließen.

       a) Unechtheitskriterien

      Erstens sind solche Worte und Taten unecht, in denen der auferstandene Herr redet und handelt bzw. als Sprecher und Akteur vorausgesetzt wird. Denn Jesus redete und handelte nach seinem Tod nicht mehr selbst. Da aber nicht auszuschließen ist, daß dem »Auferstandenen« Worte oder Taten des historischen Jesus zugeschrieben wurden – historischer Jesus und Christus des Glaubens waren für die frühen Christen identisch –, ist jeweils zu prüfen, ob nicht vielleicht den jeweiligen Worten des Erhöhten ein Wort des Irdischen zugrunde liegt.

      Zweitens sind diejenigen Taten unhistorisch, die eine Durchbrechung von Naturgesetzen voraussetzen. Dabei ist es unwichtig, daß die Menschen zur Zeit Jesu diese Gesetze nicht kannten bzw. nicht in naturwissenschaftlichen Kategorien gedacht haben.

      Drittens besteht bei sämtlichen Worten Jesu, die Antworten auf Gemeindesituationen einer späteren Zeit geben, ein Verdacht auf Unechtheit.

      Viertens – eng mit dem zuletzt genannten Kriterium zusammenhängend – unter dem dringenden Verdacht, unecht zu sein, stehen diejenigen Worte und Taten Jesu, die sich der redaktionellen, d.h. schriftstellerischen Arbeit des Endverfassers der jeweiligen Quelle verdanken.

      Fünftens sind diejenigen Worte und Taten unecht, die eine heidnische (und nicht jüdische) Zuhörerschaft voraussetzen. Denn es steht fest, daß Jesus ausschließlich im jüdischen Bereich tätig war.

       b) Echtheitskriterien

      Erstens dürften viele Worte und Taten Jesu auf der Grundlage des Anstößigkeitskriteriums als echt zu erweisen sein.

      Bezüglich der Taten Jesu gehört hierher beispielsweise sein Entschluß, sich von Johannes taufen zu lassen. Die Taufe Jesu war den Christen seit der allerältesten Zeit anstößig, und sie wurde von Anfang an auf verschiedene Weise umgedeutet, vollständig verschwiegen oder von »Jesus« selbst zurückgewiesen.

      Bezüglich der Worte Jesu gehören hierher Gleichnisse, in denen »unmoralische Helden« (Schramm / Löwenstein) erscheinen: der Mann, der einen Schatz im Acker findet und das Grundstück kauft, ohne seinen Fund zu melden (Mt 13,44), oder der ungerechte Haushalter, der seinen Rechenschaft fordernden Herrn betrügt, um bei den Schuldnern seines Herrn Unterschlupf zu finden (Lk 16,1b-7). Schließlich handelt Jesus oftmals selbst als unmoralischer Held und pflegt geselligen Verkehr mit Prostituierten und Zöllnern. Auch dies wurde in der jüngeren Tradition verändert bzw. »interpretiert«.

      Zweitens ist das Differenzkriterium ein plausibler Weg, echtes Jesusgut zu ermitteln. Bei seiner Anwendung geht es um die Frage, ob Jesusworte und -taten aus den nachösterlichen Gemeinden abgeleitet werden können. Im negativen Fall, bei einer Differenz zwischen den Gemeinden und Jesus, kommt letzterer als Sprecher des jeweiligen Wortes bzw. als Urheber der Tat in Betracht.

      Drittens bietet das Wachstumskriterium eine gute Chance, authentisches Jesusgut zu identifizieren. Die Endgestalt bestimmter Texte läßt sich mit einer Zwiebel vergleichen, von der sich eine Haut nach der anderen abziehen läßt. Je älter eine Texteinheit ist, desto stärker ist sie überlagert von jüngerer Überlieferung. Beispiele dafür liegen in den ethischen Radikalismen der Bergpredigt vor.

      Viertens sei das Seltenheitskriterium genannt, das sich auf diejenigen Taten und Worte Jesu bezieht, die nur wenige Parallelen im jüdischen Bereich haben.

      Fünftens bietet das Kriterium der breiten Bezeugung eine gewisse Gewähr, daß Worte und Taten Jesu echt sind, die unabhängig voneinander mehrfach überliefert wurden.

      Sechstens läßt sich zur Eruierung echter Worte Jesu das Kohärenzkriterium verwenden, das jeweils die Frage stellt, ob sich eine bestimmte Aussage oder Tat sicherem Jesusgut nahtlos zuordnen läßt.

      Aus all dem wird klar: Wer zu Jesus vordringen will – nicht zu dem Jesus, wie ihn die frühen Christen gezeichnet haben, sondern zu dem Mann aus Nazareth, wie er wirklich war –, muß mit der Schärfe des Verstandes zunächst einmal all das abtragen, was sich nachträglich um die Worte Jesu gelegt hat – in der Hoffnung, so das Urgestein der echten Worte Jesu zu erreichen.

      Mit dem Ausdruck »Hoffnung« räume ich ein, daß eine solche Rekonstruktion, wie jede wissenschaftliche Arbeit, immer verbesserungsbedürftig bleibt. Das Bild des Urgesteins macht gleichzeitig deutlich: Nur eine hohe Annäherung an die Worte Jesu ist im günstigsten Fall zu erreichen, nicht aber ihre ursprüngliche Form. Wir stoßen auf das Urgestein, die unmittelbare Nähe, nicht aber auf die Worte Jesu selbst. Das ist ja auch deswegen auszuschließen, weil Jesus aramäisch sprach und seine Worte nur in griechischer Übersetzung erhalten sind.

      Gleiches gilt für die Taten Jesu: Auch hier kann es sich, wenn gesagt wird, dies oder jenes sei historisch zutreffend, nur um eine große Nähe zu dem handeln, was damals wirklich geschah. Denn mehr noch als die Überlieferung


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