Rassismus. Robert Miles P.
hat, bleibt die Idee der »Rasse« davon unberührt und einige »Wissenschaftler« behaupten weiterhin, sie könne mit einer biologischen oder genetischen Substanz unterfüttert werden. In jüngster Zeit haben Politiker »rassischen Unterschieden« eine »naturgegebene« Realität zugesprochen.
Im zweiten Kapitel wende ich mich dem analytischen Problem der Definition zu. Ich diskutiere es zum Teil vor dem Hintergrund der vorangegangenen historischen Materialien, zum Teil vor dem Hintergrund neuerer theoretischer Argumentationen, welche die konzeptuelle und explanatorische Reichweite des Begriffs auf verschiedene Weise vergrößert haben. Das wesentliche Merkmal dieser späteren Entwicklung liegt darin, dass der Begriff des Rassismus in seiner Verwendung nicht nur auf bildliche Vorstellungen und Behauptungen verwies, sondern auch auf Praxisformen, Verfahrensweisen und Ergebnisse, die von menschlichen Intentionen und einem bestimmten ideologischen Gehalt oftmals unabhängig sind. Meine Argumentation zielt darauf, dass diese begriffliche Überdehnung mehr Probleme aufwirft als löst, und dass der Begriff des Rassismus nur verwendet werden sollte, um das zu bezeichnen, was man im weitesten Sinne eine Ideologie nennen könnte. In diesem Zusammenhang werde ich mich mit den Schwierigkeiten auseinandersetzen, die Parameter einer solchen Ideologie zu bestimmen.
Nachdem ich den Rassismus begrifflich gekennzeichnet habe, untersuche ich im dritten Kapitel, auf welche Weise der Rassismus als ein Prozess der Konstruktion von Bedeutungen (signification) verstanden werden kann. Für mich besteht die »Funktionsweise« des Rassismus darin, dass bestimmten phänotypischen und/oder genetischen Eigenschaften von Menschen Bedeutungen dergestalt zugeschrieben werden, dass daraus ein System von Kategorisierungen entsteht, wobei den unter diese Kategorien subsumierten Menschen zusätzliche (negativ bewertete) Eigenschaften zugeordnet werden.
Das Ziel des vierten Kapitels besteht darin, den Rassismus als einen Prozess der Bedeutungskonstruktion innerhalb bestimmter Kontexte zu untersuchen. Die besonderen Eigenschaften einer Gruppe, die von einem mit Bedeutung aufgeladenen physischen Merkmal abgeleitet sind, spielen eine wichtige Rolle für die Zuweisung von Individuen zu bestimmten wirtschaftlichen Positionen wie auch für die Verweigerung von gewissen ökonomischen Gratifikationen und politischen Rechten. Ich untersuche, wie diese Prozesse der Allokation und Ausgrenzung in einer Reihe unterschiedlicher historischer Kontexte sich verändern und eine Dimension der Geschichtlichkeit kapitalistischer Entwicklung ausmachen.
Rassismus als politische Frage
Dieses theoretische Vorhaben rechtfertigt die Herstellung von kontextuellen Beziehungen. In der westlichen Welt des späten zwanzigsten Jahrhunderts gibt es nur kleine Minderheiten, die sich selbst aus freien Stücken und mit positiver Haltung als Rassisten bezeichnen. Es besteht ein offizieller Konsens darüber, dass diejenigen, die rassistische Überzeugungen äußern und/oder in Übereinstimmung mit solchen Überzeugungen handeln, deswegen verurteilt werden müssen, weil derlei Überzeugungen wissenschaftlich diskreditiert sind und zu moralisch unannehmbaren Verhaltensweisen führen. Dieser Konsens gründet in einer Reihe von geschichtlichen Ereignissen, die in der Öffentlichkeit weithin bekannt sind: so etwa der Sklavenhandel, der vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert in einigen europäischen Nationalstaaten vom Handelskapital organisiert wurde; der unter der faschistischen Regierung in Deutschland zwischen 1933 und 1945 durchgeführte Mord an Millionen von Juden; die in den Vereinigten Staaten vom späten neunzehnten bis zu den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts praktizierte Rassentrennung; die Einführung und Aufrechterhaltung der Apartheid in Südafrika. Alle diese Ereignisse haben zum Tod ungezählter Menschen geführt und sind – in unterschiedlichem Maße – durch den Rassismus legitimiert worden.
Es ist durchaus möglich, dass dieser Konsens in Westeuropa (und anderenorts) seit den siebziger Jahren in Auflösung begriffen ist. In nationalen und übernationalen Parlamenten sind politische Parteien vertreten, deren Forderungen und deren politisches Handeln Parallelen zu faschistischen Gruppierungen der dreißiger Jahre aufweisen (vgl. etwa Husbands 1981, Ogden 1987). Desgleichen lässt sich eine Zunahme an Gewalt gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen in Westeuropa beobachten, die oftmals mit der Behauptung gerechtfertigt wird, die Opfer seien auf die eine oder andere Weise minderwertig (EEC 1986). Doch haben sich diese expliziten Äußerungsformen von Rassismus nicht im luftleeren Raum vollzogen. Obwohl sie offiziell gegen den Rassismus Stellung bezogen, haben viele Organisationen und Institutionen, einschließlich des Staates selbst, Bevölkerungsminderheiten aktiv und passiv diskriminiert. Und eben diese Minderheiten waren, was niedrig bezahlte körperliche Arbeit, Arbeitslosigkeit und mangelhafte Wohnverhältnisse angeht, überrepräsentiert. Der Verdacht liegt nahe, dass dies seinen Grund in weit verbreiteten Ausgrenzungspraktiken findet, die rassistisch motiviert oder gerechtfertigt werden.
Ferner haben sich in den Bevölkerungsteilen, die zur Zielscheibe rassistischer Agitation und Ausgrenzung geworden sind, Gruppen gebildet, die die Konsequenzen des Rassismus anprangern und den Widerstand dagegen organisieren (vgl. etwa Altarf 1984). Sie haben auf den Widerspruch zwischen offiziellem Konsens und tatsächlicher Praxis hingewiesen und eine herausragende Rolle dabei gespielt, das Problem des Rassismus auf die politische Tagesordnung zu setzen. Sie wurden unterstützt durch andere Teile der Bevölkerung in Westeuropa, die nicht nur über den Aufstieg faschistischer Parteien und die Zunahme rassistisch motivierter Gewalt, sondern auch über andere, weniger offensichtliche Äußerungsformen des Rassismus besorgt sind. Zusammengenommen bilden sie im weiteren Sinne eine anti-rassistische Bewegung, wobei es allerdings zwischen den in diesem Kampf zusammengeschlossenen Gruppen oftmals beträchtliche Differenzen und Auseinandersetzungen über Mittel und Ziele gibt. Historisches Erbe und zeitgenössische politische Praxis wirken zusammen, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die diskriminierende Benachteiligung bestimmter Menschengruppen zu lenken. So werden die Bevölkerungen moralisch und politisch aufgerufen, sich am anti-rassistischen Kampf aktiv zu beteiligen, um zu verhindern, dass Ereignisse wie der Holocaust sich je wiederholen, und um politische und wirtschaftliche Benachteiligungen abzubauen.
Der Rassismus ist zum Gegenstand politischer und ideologischer Kämpfe geworden. In diesem Zusammenhang wird aus der einen oder anderen Ecke das Argument laut werden, die Abfassung einer weiteren theoretischen Arbeit sei eine Aufgabe von vergleichsweise geringfügiger Wichtigkeit, wo es so viele andere, praktischere Ziele zu verwirklichen gelte. Damit macht man es sich allerdings zu einfach. Einerseits nämlich gibt es in den Bildungs- und Erziehungsinstitutionen Menschen, die gerne etwas über das Wesen und den Ursprung des Rassismus lernen möchten, andererseits können auch die Behauptungen und Zielvorstellungen der in gewisser Weise amorphen anti-rassistischen Bewegungen nicht unhinterfragt bleiben, wenn über das Untier, das es niederzuringen gilt, ungerechtfertigte Thesen aufgestellt werden. Ungezählte Male ist in Bezug auf die Einheit von Theorie und Praxis hervorgehoben worden, dass die politische Strategie ihre intendierten Ziele kaum erreichen kann, wenn die zu Grunde liegende Analyse falsch ist. Von daher sehe ich keinen Grund, mich für dies Produkt der »Stubengelehrsamkeit« zu entschuldigen. Die Kämpfe, die stattgefunden haben, sind mir, ihrer Art und ihrem Verlauf nach nicht verborgen geblieben, und eben sowenig übersehe ich die Notwendigkeit zu erkennen, dass der akademische Mensch Mitglied verschiedener sozialer Gemeinschaften ist, mit allen daraus sich ergebenden Verantwortlichkeiten. Dies Buch soll – ohne Entschuldigung und Vorbehalt – Ausdruck meiner engagierten Gegnerschaft zum Rassismus sein.
Eine solche Behauptung könnte in wenigstens zweierlei Hinsicht hinterfragt werden. Zunächst werden viele, darunter auch die, die sich rassistisch äußern, dieses ausdrücklich bekundete Engagement als Zeichen politischer Voreingenommenheit betrachten. Doch sind, wie ich auf den nächsten Seiten zeigen werde, die Behauptungen der Rassisten nach und nach von der Beweiskraft der Wissenschaften widerlegt worden. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von berüchtigten Fällen, anhand derer nachgewiesen werden konnte, dass die Befürworter des Rassismus ihr Beweismaterial bewusst oder unbewusst gefälscht haben, um »wissenschaftliche« Absicherung für ihre Argumente in Anspruch zu nehmen (Gould 1984). Doch selbst wenn es wahr wäre, dass die Weltbevölkerung sich dauerhaft nach Maßgabe irgendeiner biologischen Hierarchie gliederte, bliebe die politische Anklage gegen die ungleiche Behandlung der Menschen, die das ihnen allen gemeinsame Wesen negiert, davon unberührt. Das Menschenrecht, unter wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu leben, die die ungeschmälerte Verwirklichung aller Fähigkeiten und Möglichkeiten gestattet, sollte keine Ausnahme kennen. Doch auf den