1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

1918 - Wilhelm und Wilson - Magnus Dellwig


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am Schloss Cecilienhof an. Bereits in der Türe empfing mich seine kaiserliche Hoheit mit weit geöffneten Armen und einem erfrischenden Strahlen in den Gesichtszügen. Ein wenig erleichtert betrat ich mit Kronprinz Wilhelm den großzügigen Salon, den er als Arbeits- und vor allem als Besprechungszimmer nutzte. Eine schwere Garnitur in grünem englischen Leder diente uns als bequeme Sitzgelegenheit. Im Kamin prasselte ein helles Feuer. Dank des trockenen Buchenholzes stieg kaum Rauch auf. Ein Kammerdiener servierte Tee und Kuchen. Der Kronprinz bestellte dazu Kognak und zwei Zigarren. Dann waren wir allein.

      Die nun folgende Unterredung brannte sich derart in mein Gedächtnis ein, dass ich sie noch heute Wort für Wort nacherleben kann, ganz so, als säße ich gerade eben wieder mit seiner kaiserlichen Hoheit, meinem inzwischen engen Freund Wilhelm in engster Vertraulichkeit zusammen.

      „Lieber Doktor Stresemann, haben sie vielen Dank für diesen schnell vereinbarten Termin. Ich weiß ja selbst, wie viele familiäre Verpflichtungen die Weihnachtstage und Neujahr mit sich bringen. Richten sie bitte ihrer Gemahlin meine herzlichsten Grüße und einen warmherzigen Dank dafür aus, heute auf sie zu verzichten.”

      Wilhelm spricht etwas langsamer und auch etwas leiser als bei unseren bisherigen Begegnungen. Es ist womöglich keine Niedergeschlagenheit, die ihn kennzeichnet. Ganz gewiss ist er jedoch nachdenklich und höflich. Ich bin mir sicher, es muss sich etwas ereignet haben, dass ihn tief bewegt.

      „Kaiserliche Hoheit, meiner Gattin fiel es nicht schwer, heute auf mich zu verzichten. Sie hat ihre Eltern zu Gast und weiß überdies zu erkennen, wann höhere Staatsgeschäfte über dem Familienleben stehen. Da auch sie heute Nachmittag auf ein Zusammensein mit ihren Liebsten verzichten, obgleich die baldige Rückreise zu ihrer Heeresgruppe an der Somme ansteht, wird es einen wichtigen Grund für unser Treffen geben. Zuallererst möchte ich mich für das Vertrauen bedanken, dass sie mir hiermit entgegenbringen, und ihnen meine vollkommene Verschwiegenheit zusichern.”

      „Mein lieber Stresemann, danke dafür. Sie machen es mir leicht, gleich zum Kern der Sache zu kommen. Aber eine Vorbemerkung ist mir wichtig. Sie mögen glauben, ich lüde sie als den Vorsitzenden der Nationalliberalen Reichstagsfraktion ein. Das stimmt und stimmt auch wieder nicht so ganz. Ich möchte mit ihnen sprechen, weil ich in unserem letzten Gespräch im kleinen Kreise mit dem Generalquartiermeister und Oberst Bauer tiefes Vertrauen zu ihnen gefunden habe. Zugleich war ich sehr angenehm berührt von der großen Verantwortung, die sie für die Zukunft unseres Volkes empfinden. Auch wenn wir in einer Frage - nämlich den Erzen von Longwy / Briey - nicht übereinstimmen, betrachte ich dies, vielleicht anders als die Herren Kommerzienräte Hugenberg und Stinnes, als eine Detailfrage.”

      Der Kronprinz lächelt bei diesen letzten Worten und deutet mir damit an, dass es keine vollständige Übereinstimmung in der Gewichtung der Ziele zwischen ihm und den Ruhrbaronen gibt. Ich könnte vor Freude in die Hände klatschen, so sehr erleichtert mich diese Erkenntnis, die kaum mehr ist als der Ausfluss eines einzigen Nebensatzes und einer winzigen Miene.

      „Warum ich sie heute zu mir gebeten habe, hat zunächst gar nichts mit den Herren Hugenberg und Konsorten und auch nicht mit seinen Exzellenzen Hindenburg und Ludendorff zu tun. All diese Personen spielen nur sehr mittelbar hinein. Im Kern der Sache geht es um mein Verhältnis zu meinem Herrn Vater und damit selbstverständlich um die elementaren Interessen des Deutschen Reiches und deren wirkungsvolle Wahrnehmung in der nächsten Zukunft.”

      Mir stockt der Atem und mein Puls schnellt in die Höhe. Ich spüre sogar meine rechte Halsschlagader plötzlich heftig pochen. Welch eine Gunst mir der Kronprinz erweist! Er hat eine Meinungsverschiedenheit mit Seiner Majestät und zieht mich zu Rate. Ich bin glücklich, an diesem Nachmittag im Schloss Cecilienhof sitzen zu dürfen.

      „Womit fange ich an, lieber Doktor Stresemann? Nachdem wir uns im Mai im Stadtschloss trafen, ist eine Menge passiert. Ich selbst habe im Juli eindeutig für die Entlassung Bethmann-Hollwegs votiert. Anders als sie, der sie klare Ziele für einen großartigen Frieden verfolgen, war Bethmann nur noch passiv, ja ich möchte sogar sagen resignativ. Das galt zuerst für die erzbergersche Friedensresolution, deren Umsetzung dem Reich jede Zukunft nähme. Das gleiche galt für das gleiche Wahlrecht in Preußen schon im Kriege, so dass wir bei einem leichtfertigen Nachgeben jeder Erpressung von SPD und Gewerkschaften hilflos ausgeliefert wären. Deshalb habe ich mich mit Hindenburg und Ludendorff bei meinem Vater für die Entlassung Bethmann-Hollwegs ausgesprochen. Dann hatte ich in der knappen Folgezeit nichts mit der Berufung von Michaelis zu tun. Doch der erwies sich als Bürokrat ohne Phantasie und Fortune. Ich bin froh, dass er inzwischen auch wieder entlassen ist. Und obwohl ich damit nun auch gar nichts zu tun hatte, bildete der doppelte Kanzlerwechsel des zurückliegenden Jahres den Ausgangspunkt eines Streits, den ich mit dem Kaiser hatte.”

      Wilhelm macht eine lange Pause. Er schwenkt seinen Kognak, trinkt einen kleinen Schluck, stellt das Glas ab, greift zur Zigarre, die er in aller Seelenruhe anschneidet und sich sodann anzündet. Meine Neugierde wächst. Meine Ungeduld drückt sich in dem Schweiß aus, den ich in meinen Handflächen fühle. Das zwingt mich dazu, ruhig und gleichmäßig einzuatmen und mit scheinbar gelassenem Lächeln um die Lippen abzuwarten. Dann spricht der Kronprinz weiter.

      „Es war folgendermaßen: Am ersten Weihnachtstag fand mittags das Zusammentreffen der gesamten kaiserlichen Familie im Stadtschloss statt. Wie stets zu Weihnachten waren die Kinder aufgeregt und warteten ungeduldig auf die Bescherung. Mein Vater brachte größte innere Ruhe zum Ausdruck und wahre Freude über das Wiedersehen mit all seinen Enkeln, die in den letzten Monaten zum Teil auch in Schlesien und Westpreußen ihren Aufenthalt hatten. Nach der Andacht folgte erst die Bescherung, dann das Mittagessen. In gemessenen Worten begrüßte der Kaiser die Schar und gab sich als geselliger Gastgeber. Nach dem Essen wechselten wir in den Musiksalon und hörten ein abwechslungsreiches Konzert der verschiedensten Familienmitglieder, die sich rühmen ein Instrument zu beherrschen. Es begann mit den Kleinsten, denen mein Vater mit größtem Interesse lauschte. Als aber die Enkel ihr Vorspiel beendet hatten, bedeutete er mir, mit ihm den Salon zu verlassen. Er schien zunächst bestens gelaunt und sprach mich auf dem Weg in sein Arbeitszimmer sogar mit Lieber Willi an. Dort angelangt wurde er ernster und forderte mich auf, gemeinsam mit ihm einen Rückblick auf 1917 zu halten. Ich nickte und zögerte zugleich damit, das Gespräch zu beginnen. Zu neugierig war ich darauf, ob mein Vater, den ich Ludendorff gegenüber jüngst reichlich despektierlich noch den Zauderer genannt hatte, denn wohl mit einer pointierten Bewertung starten wolle.

      Es sei vielleicht ein grober Fehler gewesen, den alten, verdienten Bethmann nach acht Jahren der Kanzlerschaft zurück auf sein Landgut in die Mark Brandenburg zu schiken. So begann mein Vater das Gespräch. Nach langer Zeit der Verlässlichkeit sei nun eine unschöne Bewegung in das Erscheinungsbild der Reichsregierung geraten. Es habe ihn geärgert, Michaelis auch schon wieder nach nur gut drei Monaten entlassen zu müssen. Was sollen nur unsere Feinde, aber ebenso unser eigenes Volk, der einfache Mann auf der Straße, von der Monarchie denken, wenn die Kanzler jetzt beginnen zu wechseln wie die Jahreszeiten.

      Ich wurde unruhig. Auch wenn es keinen direkten Vorwurf gab, fühlte ich mich herausgefordert. War ich es doch, der im Juni/Juli des zurückliegenden Jahres voller Unverständnis auf das Taktieren des Kanzlers reagiert, mich mit der OHL wechselseitig aufgepeitscht hatte. Ich hegte unbestreitbar eine nicht nur sachlich, sondern ebenso emotional unterfütterte Abneigung gegen den flauen Theobald. Und dann gingen mit mir die Pferde durch! Jawohl, ich möchte es ihnen gegenüber sehr freimütig zugeben und schildern, lieber Doktor Stresemann, im Vertrauen auf ihre absolute Verschwiegenheit. Ich war dann nicht ganz fair und habe meinen Vater geradezu angegriffen. Es tut mir sogar Leid im Nachhinein. Aber nun ja, es ist geschehen und wird auch nicht wieder rückgängig gemacht. Wir beide sollten nach meiner Schilderung freundschaftlich beraten, welche Folgen der Disput haben könnte.”

      Freundschaftlich hat Kronprinz Wilhelm gesagt. Ich fühlte mich geschmeichelt. Ich befürchtete zugleich, dass die angedeuteten Konsequenzen von großer Tragweite für das nun beginnende vierte Kriegsjahr sein würden.

      „ `Du bist der Kaiser der Unentschlossenheit! Und statt daran etwas ändern zu wollen, machst du all jenen auch noch Vorwürfe, die den Mut aufbringen, klar in die Zukunft zu schauen, und dir dafür feste Empfehlungen geben. Mache bitte weder die OHL noch mich dafür verantwortlich,


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