In Dankbarkeit und Freude. Adalbert Ludwig Balling
und die Werkstatt des Malermeisters (Tünchers), meines Onkels Johann Floth. Seine (ich meine Onkel Hans) Ausbildung hatte er im norddeutschen Buxtehude erhalten. Dieser Ortsname Buxtehude klang für mich immer sehr exotisch; lange konnte ich mir gar nichts darunter vorstellen außer etwas sehr Mysteriöses. Und dass man dort zum Maler ausgebildet werden konnte.
Auch waren da noch drei kleine Häuschen, ohne Bauernhof: In einem lebten zwei ledige Schwestern, im andern, wir nannten es das Schneiderhäuschen, wirkte ein alter Maßschneider, und im dritten, dem Gemeindehaus, lebte der Gemeindediener mit Frau und Kind. Letzteres ein Haus zu nennen, wäre stark übertrieben; es war eine muffige baufällige Bruchbude aus Holz, Lehm und Steinbrocken. Unten im Parterre gab es einen Ziegenstall mit zwei, drei Geißen und einem weithin stinkenden Ziegenbock. Alles in allem eher eine Zumutung, dort wohnen zu müssen. Aber für unseren Gemeindediener Josef Hügel und seine Frau Anna war das kein Problem. Sie hatten immerhin ein Dach über dem Kopf – und waren zufrieden. Wenn der Hügel schellend durchs Dorf zog, dann hatte er etwas zu verkünden; meistens war es eine Vermeldung des Bürgermeisters. Das hörte sich dann etwa so an: Bekanntmachung: Heute Nachmittag ist Frondienst. – Oder: Morgen um elf Uhr tritt die Feuerwehr an. Bitte alle Hydranten vom Eise und Schnee freihalten! – Oder: Nach dem (abendlichen) Avemarialäuten treffen sich alle Eltern, die Schulkinder haben, an der Linde. – Die Linde, ein steinalter, schon brüchiger Baum in der Dorfmitte, war das natürliche Zentrum der Ortschaft. Hier hatten schon viele Generationen miteinander palavert.
Es machte ihm Spaß, dem alten Hügel-Josef, die Aufmerksamkeit der Leute auf sich ziehen – im Dienste des Bürgermeisters und der Gemeinde. Wenn er auf der Straße vor unserem Haus seine Neuigkeit verkündet hatte, kam er meistens kurz in den Hof; denn er wusste, jetzt reichte ihm Mama ein Seidel Most, und den trank er oft in einem Zug aus. Oder, wenn es draußen eisig kalt war, erhielt er ein Gläschen Zwetschgenschnaps; den hatte er noch lieber!
Und was gab es sonst noch im Dorf? Natürlich viele Rinder, Schweine, Pferde, Hühner, Gänse, Enten, Tauben – und etliche Ziegen. Oder, in den Sommermonaten, wenn der Schäfer14, der aus der Nähe von Wemding (am Rand des Nördlinger Ries) alljährlich zu uns kam, über die Fluren zog, auch eine große Herde Schafe. Noch wesentlich früher hatte das Dorf einen eigenen Schäfer; er bewohnte ein anderes Gemeindehaus; es stand dort, wo zu meiner Zeit ein großer Garten angelegt war, unserem Wohnhaus schräg gegenüber. Aus diesem (ehemaligen und längst abgerissenen) Gemeindehaus stammte übrigens auch ein sehr jung verstorbener Frater Reginald Söder der Missionsabtei Mariannhill in Südafrika; der wohl erste junge Mann aus unserem Dorf, der Trappist werden wollte.
Fast alle Bauern besaßen Grasmäher, Heuwender und Selbstbinder; meistens mehrere Pflüge und Eggen. Drei Bauern hatten sogar schon während der Kriegsjahre Traktoren: Einen Lanz-Bulldog, einen Fahr und einen Cramer. Für uns Buben war es natürlich der Bulldog, der uns am meisten interessierte. Anfangs noch eisenbereift; mit spitzen Eisenzacken an den Rädern, wenn im Feld oder auf Feldwegen. Hartgummi und Luftreifen kamen später. Das Anlassen des Bulldogs war eine eigene Zeremonie: Zunächst wurde der Motor vorgewärmt, dann das Steuerrad nach vorne geholt, um den Motor anzuwerfen. Dies erforderte Schnelligkeit und viel Geschick. Es war nicht ungefährlich.
Mit meinem Cousin Roman, ein gutes Jahr älter als ich, durfte ich gelegentlich beim Ackern auf dem Bulldog aufsitzen. Roman hatte den Schmitt-Bauer, den stolzen Besitzer des ersten Traktors im Dorf, davon überzeugen können, dass wir dieses selbstfahrende Monstrum besteigen durften. Das war für uns brave Buben vom Dorf schon ein gewaltiges Abenteuer!
Man staune, es gab in unserem entlegenen Dorf in den 1930er Jahren auch schon ein Motorrad mit Beiwagen. Es gehörte unserem Onkel Schorsch und wurde bei Kriegsbeginn beschlagnahmt.
Vielleicht hatten außer uns noch der Lehrer und der Pfarrer einen Volksempfänger (Radio), kann sein. Aber sehr viel mehr Geräte werden es 1939 im Dorf kaum gewesen sein. Das Fernsehen kam später; viele Jahre später. Der erste TV-Apparat stand bei unserem Nachbarn Michael Kuhn – ab zirka 1951/1952. In den Sommerferien, wenn ich zu Hause auf Hof und Feldern mitarbeitete, lud Michel mich immer wieder ein, abends bei ihm fernzusehen. Das war für uns alle noch neu und aufregend! Wenn Frankenfeld auftrat oder Kulenkampff, oder wenn ein lustiges bayerisches Volksstück gespielt wurde, dann war dies ein echtes Erlebnis. Wann und wo hätte ich denn sonst fernsehen können? In den kleinen Seminaren in Miltenberg und Würzburg kannte man noch keine Fernseher. Und später, im Piusseminar in Würzburg, war unser Hausdiener Simon der einzige, der einen Apparat hatte. Den Fratres (Studenten der Philosophie und Theologie), lauter angehende Ordenspriester, war Fernsehen strikt verwehrt worden, bis Simon starb (Mitte/Ende der 1950er Jahre) und uns seinen alten TV-Apparat vermachte. Aber auch das bedeutete noch kein grundsätzlich grünes Licht: Unser Rektor musste diesbezüglich erst beim General-Superior anfragen und die offizielle Erlaubnis dazu einholen. Diese wurde zwar gewährt, aber mit der Auflage, dass der Fernsehapparat in einem eigens dafür gebastelten Schrank verschlossen werden konnte. Die alleinige Schlüsselgewalt lag beim Rektor bzw. bei seinem ihn vertretenden Assistenten.
Zuvor, als Simon noch lebte, schlichen einige von uns Fratres abends klammheimlich hinunter ins Kellergeschoss, wo das einzige TV-Gerät des großen Hauses stand, und Simon winkte uns unauffällig hinein in sein kleines Zimmerchen. Er freute sich sehr, wenn wir Interesse zeigten. Und er half selber mit, dass wir ungesehen und unbeobachtet bei ihm rein- und rausgehen konnten. Was natürlich, ohne dass es je offiziell verkündet worden wäre, strengstens verboten war. Das ging eine Zeitlang ganz gut. Dann wurden wir von einem älteren Pater, der etliche holländische Fratres auf frischer Tat erwischt hatte, beim Rektor verpetzt. Und aus war es mit dem heimlichen Fernsehen. Beim nächsten Nikolausabend, an dem gewöhnlich aktuelle Sketche aufgeführt wurden, bekam der Petzer sein Fett ab – ironisch, witzig, humorvoll, aber überdeutlich für alle, die um unsere heimlichen Fernsehabende bei Hausdiener Simon Bescheid wussten.
Das schwere Los der Landfrauen und Mütter
Aber nun gleich wieder zurück zum Leben in einem fränkischen Dorf in den Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsjahren: Nähmaschinen standen in fast allen Haushalten, aber Waschmaschinen kannte man noch lange nicht. Unsere Mama wusch noch alles per Hand; bei einem Haushalt mit vier Kindern und mehreren Erwachsenen eine schlimme Schinderei.
Auch bei meiner Schwester Rita (mit Mann und fünf Kindern), die 1958 heiratete, war es noch so. Allein das Windelwaschen war schon eine Plage; Wegwerfwindeln (Pampers) kannten erst später die Familien mit Kleinkindern. Es war dann schon eine riesige Erleichterung, als die Waschmaschine auch in die ländlichen Haushalte Eingang fand.
Natürlich war die Sorge um den Haushalt (Kochen, Waschen, Bügeln, Hausputz, Gemüsegarten etc.) für die Hausfrauen und Mütter nur ein Bruchteil der zu leistenden Arbeiten. Rita erledigte zum Beispiel zusätzlich auch die ganze Büroarbeit für das von ihrem Mann Bruno betriebene Lagerhaus. Bruno machte Außendienst, leitete die Getreide-An- und Verkäufe sowie das Trocknen der von den Bauern tonnenweise angekarrten Weizen- und Gerste-Ernte. – Bei Irene kam zum Haushalt und den vier Kindern das Textilgeschäft vor Ort, das Nähen von Vorhängen und weiterer ähnlicher Arbeiten im Laden. – Lioba, die Frau meines Bruders Georg, kümmerte sich um die drei Kinder, aber auch um den Haushalt, den Garten, die Schweine und Hühner sowie um das Melken im Kuhstall – ganz zu schweigen von den viele Monate im Jahr anfallenden Feldarbeiten.
Das sind nur drei Beispiele, wie ich es bei meinen Geschwistern beobachten konnte. Ähnlich schufteten alle Landfrauen im Dorf und im gesamten Ochsenfurter Gau, nicht selten auch jene Frauen, deren Männer ein Handwerk ausübten oder ein Geschäft führten.
Den Slogan Ora et labora (Bete und arbeite) hörte ich erstmals im Noviziat in Mönchsdeggingen, wo ich nach dem Abitur (1952) die Vorbereitungszeit auf das Ordensleben absolvierte. Da wurden wir (Anwärter auf das Ordensleben) nicht nur ins gemeinschaftliche und liturgische Beten eingeführt, sondern wir mussten nebenher, oft viele Stunden am Tag, auch körperliche Arbeiten verrichten wie Klostergänge schrubben, Holz spalten, Äpfel und Zwetschgen pflücken, im klostereigenen Forst neue Grenzzäune errichten – oder auch bei der Obsternte in der Spätberufenen-Schule